Digitales Lernen:Das Ende der Kreidezeit

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Anita und Markus Stangl wollen weniger Papierwust - und entwickeln darum "Digibooks". (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Firma "MedienLB" aus Starnberg hat ein ganz spezielles Schulbuch entwickelt, das Lerninhalte mit Animationen, Filmen und vor allem Interaktion vermittelt. Für das Erstlingswerk ist die Zulassung beantragt

Von Otto Fritscher, Starnberg

Ein Wust aus lose herumfliegenden Arbeitszetteln, ein Haufen mehr oder weniger mitgenommene Bücher, eine Vielzahl von Heften - Markus und Anita Stangl kennen den Schüleralltag aus eigener Erfahrung, denn sie, mittlerweile getrennt, haben 13-jährige Zwillinge.

"Die schleppen in ihrem Schulranzen bis zu 20 Kilogramm herum, wir haben nachgewogen", sagt Markus Stangl, und: "Das müsste aber wirklich nicht mehr sein." Und zwar dann, wenn das viel zitierte "digitale Klassenzimmer" nicht nur in den Reden von Politikern wie jüngst von Ministerpräsident Markus Söder vorkäme, sondern auch in den Schulen Einzug hielte. "Dann bräuchten die Schüler nur noch einen Tablet oder einen Laptop, dann könnten sie auch mit einem digitalen Schulbuch lernen - und zwar auf äußerst interaktive Weise. Genau an solchen "Digibooks" arbeitet ein Team bei der MedienLB, dem Starnberger Unternehmen der Stangls. Doch dabei geht es weniger um die Gewichtsersparnis, als um neue Formen des Unterrichtens und Lernens - die Schlüsselworte heißen digital und interaktiv. "Die Schule entspricht doch nicht mehr der realen Erlebniswelt der Schüler, der Unterricht hat sich aber seit meiner Schulzeit kaum verändert", kritisiert Markus Stangl: "Einer steht vorn und erzählt was, und schreibt mit Kreide auf eine Tafel." Stangl sitzt vor einem großen Whiteboard und demonstriert, wie seiner Meinung nach zeitgemäßer Schulunterricht aussehen könnte. Etwa, wenn es im Biologieunterricht um die Entwicklungsstadien von Libellen geht, oder um das Knochengerüst des Menschen. Auf der großen digitalen Tafel sind Libellen in verschiedenen Stadien zu sehen, die in die richtige Reihenfolge gebracht werden müssen, indem sie - wie auf dem Touchscreen eines Smartphones oder Tablets - mit der Fingerspitze berührt und hin- und hergeschoben werden. Dazu gibt es bei fast allen Themen Animationen oder erklärende Videos. Das Digibook enthält auch Testaufgaben für die Schüler, und es gibt auch das, was man früher ein "Begleitheft für Lehrer" genannt hätte, natürlich auch in digitaler Form. "So wird das Lernen viel spannender und nachhaltiger", ist Markus Stangl überzeugt. Und auch preisgünstiger. Digibooks seien nicht nur billiger als herkömmliche Schulbücher - ein Exemplar kostet durchschnittlich gut 20 Euro -, sondern sie könnten auch jederzeit aktualisiert werden. Und: "Sie schaffen Chancengleichheit, weil jeder Schüler sein eigenes Lerntempo finden kann", ist Anita Stangl überzeugt.

Schließlich hat auch die Zettelwirtschaft ein Ende. "Schulalltag sieht ja so aus: Zahlreiche kopierte Arbeitsblätter, viele Schulhefte, die Hefteinträge, der Schüler schreibt noch immer das von der Kreidetafel ab und in die Hausaufgabenhefte", sagt Anita Stangl. All dies sei im DigiBook enthalten. Der Schüler schreibe gleich in sein digitales Schulheft. Die Hausaufgaben kann der Lehrer online korrigieren.

Seit drei Jahren arbeitet ein Team unter der Leitung von Bernd Brockhaus bei der MedienLB am Digibook. Es ist eine höchst komplizierte Angelegenheit, weil dank des Bildungsföderalismus in allen 16 deutschen Bundesländern unterschiedliche Lehrpläne gelten - und somit andere Lehrmittel verwendet werden. Erstes Projekt ist ein Biologiebuch für die fünfte Klasse. Auf das - und auch auf Digibooks für andere Fächer - ein Schulverbund in Augsburg schon sehnsüchtig wartet. "Die sind mit modernster Technik ausgestattet, aber es gibt keine Inhalte für digitales Lernen", sagt Markus Stangl. Und stellt gleich noch klar: Eine DVD ist ja schön und gut, aber Filme sind nur ein Bestandteil eines Digibooks." Und was von manchen Schulbuchverlagen als digitales Schulbuch angepriesen wird, hält Stangl für eine Mogelpackung: "Da wurden die Seiten eines normalen Schulbuchs eingescannt und als pdf-Dateien abgespeichert. Sonst nichts, keine Videos, keine Animationen, keine Interaktivität."

Die Produktion eines Digibooks darf man aber durchaus als aufwendig bezeichnen. Zunächst wird der Lehrplan des jeweiligen Bundeslands studiert und ausgewertet, dann die erforderlichen Inhalte konzipiert und diese schließlich multimedial und interaktiv aufbereitet. Dazu wird ein Filmteam losgeschickt, die Dreharbeiten können durchaus auch einmal ein Jahr brauchen, wenn etwa der Vegetationszyklus eines Baumes im Wandel der Jahreszeiten dargestellt werden soll. Die Texte werden von zumeist besonders erfahrenen Lehrern geschrieben.

Ein Unterricht mit Digibooks liefe so ab: Ein Lehrer oder eine Schule bestellt etwa 30 Lizenzen von einem Bio- oder Geografie-Lehrbuch, die Schüler schalten ihre Version online frei, und sie haben zusätzlich Zugriff auf den Unterrichtsstoff der letzten zwei Klassen, um selbständig Stoff wiederholen zu können. Eine Lizenz soll pro Jahr und Schüler zirka einen Euro kosten, hat Markus Stangl kalkuliert. Die Daten sind auf Servern in Deutschland gespeichert, im Unterricht können Sie online abgerufen oder auch auf das jeweilige Endgerät heruntergeladen werden. "Es ist eine Investition in die Zukunft", sagt Anita Stangl. Und damit meint sie nicht nur die neuen Unterrichtsmittel, sondern auch die Entwicklungskosten der Firma MedienLB für die Digibooks. "Weil wir an dieses Projekt glauben, haben wir schon viel Geld investiert", wie viel genau, bleibt Geschäftsgeheimnis. Aktuell sind Digibooks für den Mathematik- und Englischunterricht an den Grundschulen in der Vorbereitung. Denn Digibooks sollen für alle Schularten von der ersten bis zur dreizehnten Klasse verwendet werden können.

Für ihr Biologie-Digibook für die fünfte Klasse, das Erstlingswerk sozusagen, haben die Stangls nun beim Bayerischen Kultusministerium die Zulassung beantragt. Und wie war die Reaktion der Beamten? "Die haben erst mal drei Ausdrucke angefordert", sagt Markus Stangl und schmunzelt.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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