Dießen:Geschichte auf der Spur

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Aktionskünstler Wolfram Kastner spricht über seine Motivation

Von Anna Gleiser, Dießen

"Den Kastner, den find ich gut, der macht peppige Sachen, aber ist das wirklich Kunst?", zitierte Claus-Peter Lieckfeld in seiner Anmoderation für Wolfram P. Kastner am Mittwoch im Blauen Haus in Dießen einen Bekannten. Weiter stellte er die Frage in den Raum, ob es denn wirklich skandalös sei, als Papst und Hitler verkleidet durch die Straßen Münchens zu laufen, selbst wenn man damit auf den wahren Skandal, das noch gültige Konkordat zwischen Kirche und NS-Regime, hinweisen wolle? Kastner scheint mit seiner Kunst einen Nerv zu treffen.

Der Münchner Aktionskünstler hatte neben Fotos von seinen Aktionen, in denen er vorwiegend politische Themen aufgreift, noch Erzählungen von skurrilen Erlebnissen mit Behörden im Gepäck. Außerdem berichtete er, was ihn seit Jahrzehnten antreibt, sich immer wieder am Umgang mit der blutigen deutschen Vergangenheit aufzureiben.

Kastner will Dinge in der Öffentlichkeit sichtbar machen, die sonst nicht wahrgenommen würden. Beispielsweise den Umstand, dass ein verurteilter und hingerichteter NS-Kriegsverbrecher ein öffentliches Denkmal hat: Ganze vier Aktionen widmete er dem Denkmal Alfred Jodls - und trotzdem steht es immer noch. Aber nun, dank Kastner, nicht mehr von der Öffentlichkeit unbemerkt.

Eine andere Aktion brachte Kastner eine Anzeige wegen des Verdachts auf Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes ein: Verkleidet als Papst spazierte er gemeinsam mit einem Hitlerdarsteller durch München. Ziel war es, das 1933 zwischen Nazi-Deutschland und Vatikan geschlossene Konkordat ins Bewusstsein der Leute zurück zu bringen. Und darauf hinzuweisen, dass dieser Vertrag bis heute offiziell gültig sei.

Kriegerdenkmäler sind häufig Anlass für Kastners Aktionen. Aber nicht, weil man die Gefallenen nicht betrauern soll, wie er betonte, sondern weil die Denkmäler für ihn eine Mahnung für Frieden darstellen und nicht Ehre und Ruhm für Deutschland propagieren sollen. Ihm fehlt der aufklärerische Aspekt. So brachte er beispielsweise unter den Schriftzug "Es starben für Deutschlands Ruhm und Ehre - den Toten der Bayerischen Eisenbahntruppe im Weltkrieg 1914-18" am Kriegerdenkmal an der Dachauer Straße einen Alternativvorschlag an: "Wir trauern um alle, die im Weltkrieg 1914-1918 grausam und sinnlos ihr Leben verloren. Die Toten mahnen uns, mit allen Kräften für Frieden zu sorgen und Kriege zu verhindern."

Durch Kastners konstante Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte könnte man den Eindruck gewinnen, er lebe in der Vergangenheit. Aber dies weist er vehement zurück, das Gegenteil sei der Fall: "Ich interessiere mich nur für die Gegenwart, denn Geschichte ist Teil unserer Gegenwart. Mich interessiert, was heute in den Köpfen der Menschen los ist. Ich möchte eine bessere Zukunft als die Vergangenheit. Und wenn Leute heute noch Hindenburg gut finden, dann zeigt es doch, wie wir mit der Geschichte falsch umgehen."

© SZ vom 02.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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