Ausstellung:Richtung Vergangenheit

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Fenstergitter als Tisch: Martin Wöhrl, Martin Fengel und Andreas Neumeister (v.li.) stellen in Starnberg aus. (Foto: Georgine Treybal)

Das Künstlertrio Fengel, Wöhrl und Neumeister zeigt Fundstücke, Fotos und Poesie im Seebahnhof

Von Katja Sebald, Starnberg

Wer meint, er könnte in dieser Ausstellung einfach von Bild zu Bild oder von Objekt zu Objekt gehen und jedes einzelne mit "schön" oder "nicht schön" abnicken, der hat sich gründlich getäuscht. Der Münchner Fotograf und Künstler Martin Fengel, der Bildhauer Martin Wöhrl und der Schriftsteller Andreas Neumeister haben in der ehemaligen Schalterhalle des historischen Bahnhofs am See in Starnberg einen Parcours aufgebaut, der den Betrachter in die Randbereiche seines Schönheitsempfindens führt und ihn im kleinsten Moment der Unaufmerksamkeit in die eigene - oder noch schlimmer: in die deutsche - Vergangenheit katapultiert. Am Vernissagenabend hatte das Organisationsteam der Ausstellungsreihe "nah - fern" als Hilfestellung ein buntes Siebzigerjahre-Zeitreisen-Büffet mit heißen Würstchen auf Papptellern, Käsespießchen und Ahoibrause aufgebaut, jetzt aber ist der Ausstellungsbesucher ganz sich selbst überlassen.

Der Ausstellungstitel "modisch matt" bezieht sich auf eine alte Farbdose, die Martin Wöhrl, Jahrgang 1974, in der Werkstatt seines Vaters fand. Der Zusatz "Teil 2" hingegen verweist darauf, dass es diese Ausstellung vor ein paar Jahren schon einmal an einem anderen Ort gab. Ein "Ready Made" ist jedoch nicht nur der Ausstellungstitel, sondern auch der einstmals schicke Stehtisch mit integriertem Mülleimer, den Wöhrl an einem Imbissstand fand und zum Kunstwerk erklärte. Mit den übrigen Objekten, die er in dieser Ausstellung zeigt, zitiert er zum einen die künstlerische Praxis, Fundstücke und Alltagsgegenstände zu überhöhen, zum anderen aber zitiert er die Ästhetik und den Zeitgeist der Jahre, in denen etwa die Schalterhalle des Bahnhofs ihren grün gemusterten Fliesenboden erhalten hat.

Seine Objekte aus Betonguss und Metall sind Materialzitate, seine minimalistischen Metallskulpturen könnten Reste von Schaukästen und Vitrinenschränken aus den Siebzigern sein, sind aber neu angefertigt und einem künstlichen Alterungsprozess ausgesetzt worden. "Echt" hingegen ist ein weiß gestrichenes Fenstergitter aus Schmiedeeisen, das mit Einsätzen aus grünem Holzimitat als Sockel für zwei plastikummantelte Zweiliter-Weinflaschen dient.

Eine lange künstlerische Freundschaft verbindet Wöhrl mit dem zehn Jahre älteren Fotografen, Illustrator und Installationskünstler Martin Fengel. Kennengelernt haben sie sich während eines Studienaufenthaltes in Edinburgh, mittlerweile leben beide wieder in München, wo sie zahlreiche gemeinsame Ausstellungsprojekte realisierten. Fengel greift mit seinen Fotografien den lapidaren Ton auf, den Wöhrl anschlägt: Es sind Bilder von Supermarktregalen, abgestellten Kisten und Schachteln, merkwürdig geformten Ästen. Bilder deren gedämpfte Farbigkeit aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Und eigentlich Bilder, auf denen nichts zu sehen ist, weil die Motive angeschnitten sind, als hätte der Fotograf nur versehentlich auf den Auslöser gedrückt. Unwillkürlich denkt man an die Fototüte mit den Abzügen, aus der man früher die misslungenen Bilder aussortierte. Und schon ist man so gut wie eingestiegen in den Zug Richtung Vergangenheit.

Man kann von Glück sprechen, wenn man noch schnell das Schild mit dem Hinweis auf die Winterlandschaft in Wildbad Kreuth liest oder beim Verlassen der Schalterhalle in Richtung Gleise die Bildunterschrift zu dem Foto, auf dem man die GIs "relaxing at the Kampfhäusl" sehen könnte, wenn auch das Bild dazu ausgestellt wäre. Die Texttafeln, mit denen Andreas Neumeister die Ausstellung ergänzt, sind ebenso kryptisch wie poetisch, sie sind sozusagen die Ereigniskarten für die Zeitreise der Merkwürdigkeiten. Eigens für die SUV-Fahrer seiner Heimatstadt hat der gebürtige Starnberger die Tafel mit der Aufschrift "My Home is my Castle, my Car is my Tank" entworfen. Mit Textpaaren wie "it's hell - es ist hell" fordert er sie heraus, ebenso mit den alternativen Reiserouten "Minimalism Rules OK" oder "Maxima Amoralia Click Here!".

Die Ausstellung "modisch matt (Teil 2)" ist noch an diesem Wochenende zu sehen und am Samstag und Sonntag jeweils in der Zeit von 14 bis 18 Uhr geöffnet.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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