Volleyball:Spiel für die Seele

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"Innere Leere": Roy Friedrich (re.) tröstet TSV-Zuspieler Patrick Steuerwald mit einer tadellosen Leistung. (Foto: Johannes Simon)

Patrick Steuerwald führt Herrsching zum Sieg über Königs Wusterhausen - und hadert mit dem Olympia-Aus

Von Sebastian Winter, Herrsching

Patrick Steuerwald hat es hinter sich gebracht, dieses erste Ligaspiel des neuen Jahres, irgendwie. Und der Zuspieler des TSV Herrsching war am Mittwochabend gut gegen Königs Wusterhausen, den Konkurrenten im Kampf um die Playoffs, so gut, wie kaum jemand das erwarten durfte. Auch offiziell wertvollster Herrschinger beim 3:0 (25:15, 25:20, 25:21)-Heimerfolg über die Randberliner, zwei Asse, ein Block, drei Angriffspunkte, letzteres ist erstaunlich für einen, dessen Job es ist, Angreifer in Szene zu setzen.

Der 29-Jährige feuerte die Mitspieler an, beschwerte sich beim Schiedsgericht, wo es angebracht war, lachte, auch mal aus purem Sarkasmus, wobei man nie genau weiß, ob das nicht doch eine Grimasse ist, die er gerade zeigt. Auf dem Feld wirkt der Antreiber Steuerwald oft wie ein Getriebener. Doch nach dem Spiel war alle Energie aus ihm entwichen, da war keine Freude mehr in seinem Blick. "Es geht noch nicht. Die Enttäuschung ist größer geworden, da ist eine innere Leere, die man nicht beschreiben kann", sagte Steuerwald.

Wer sportliche Grenzerfahrungen machen möchte, der hat vielfältige Möglichkeiten. Bergsteiger erklimmen Achttausender, Basejumper fliegen in aerodynamischen Wingsuit-Anzügen mit bis zu 250 Kilometern pro Stunde durch wenige Meter breite Felslöcher. Immer klappen diese waghalsigen Aktionen nicht, Steuerwald ist ohnehin weit davon entfernt, so etwas je auszuprobieren, zumal er seit November eine Tochter hat. Auch wenn der 29-Jährige auf dem Feld ebenfalls ein Zocker ist.

Der Nationalspieler hat am Sonntag aber eine andere Art von sportlicher Grenzerfahrung erlebt, eine mentale, die sich tief eingegraben hat in seine Seele. Tiefer, als er das selbst gedacht hätte. Mit den deutschen Volleyballern hatten Steuerwald und TSV-Libero Ferdinand Tille nach dem verlorenen Drama um Platz drei bei der Olympia-Qualifikation gegen Polen die Spiele von Rio verpasst, nachdem sie im vierten Satz schon Matchball gehabt hatten. "Es wären ihre ersten Spiele gewesen, am Tag danach hatte sich Steuerwald auf der Fahrt von Berlin nach München ans Steuer gesetzt, dort hatte er etwas zu tun, Tille saß daneben. "Der Ferdl kriegt das alles gerade besser hin als ich", sagte Steuerwald, in der Nacht von Montag auf Dienstag schlief er 13 Stunden am Stück, "doch als ich aufgewacht bin, war mein Unterkiefer völlig verspannt". Der Unterkiefer hatte gemahlen in der Nacht, weil Steuerwald langsam dämmert, dass eine solche Chance wohl nie mehr kommen und Olympia sein Sehnsuchtsort bleiben wird.

Ferdinand Tille stand nach dem Spiel Herrschings ein paar Meter neben Steuerwald am Feldrand, auch der 27-Jährige hatte überzeugt mit seinen exakten Annahmen und den starken Reflexen in der Abwehr. Er trank gemütlich ein Radler, hielt Smalltalk und wirkte auch nicht gerade euphorisch, aber gefasster als Steuerwald. Beide sind Profis, sie haben ihr Unglück während des Spiels einfach ausgeblendet, wer weiß, wo der Klub ohne sie, die problemlos bei einem internationalen Topverein spielen könnten, stehen würde. TSV-Teammanager Fritz Frömming lobte Steuerwald überschwänglich als "besten Spieler auf dem Platz und besten Kapitän der Liga". Steuerwald selbst sagte nach diesem für ihn so ambivalenten Abend: "Die Mannschaft hat es mir sehr einfach gemacht, mich nicht noch mehr zu ärgern."

TSV-Hauptangreifer Daniel Malescha spielte dabei neben Tille und Julius Höfer eine Rolle, mit 18 Punkten war er mal wieder punktbester Spieler auf dem Feld. Aber vor allem entlastete Roy Friedrich Steuerwalds Nerven, der langjährige Gefährte von Tille und Steuerwald in Unterhaching und dreimalige Pokalsieger, der als Mittelblocker nicht immer im Fokus steht. Friedrich kam auf 13 Punkte, darunter vier Blocks - so viele gelangen dem Gegner Königs Wusterhausen insgesamt. "Ich habe beim Einschlagen schon gemerkt, dass ich gut drauf bin", sagte Friedrich, der wegen des Jobs und seiner Familie nur noch dreimal pro Woche trainiert, aber viel Erfahrung besitzt, die Herrsching weiterhilft. Dass das ausgerechnet gegen Königs Wusterhausen, wo er seine Erstliga-Karriere vor fast zehn Jahren begann, so gut gelang, machte den 27-Jährigen glücklich.

Die Herrschinger haben durch das überzeugende 3:0 in Abwesenheit ihres Trainers Max Hauser (Magen-Darm-Grippe) Platz acht gefestigt, den letzten Rang also, der zu den Playoffs berechtigt. Königs Wusterhausen hat auf Platz neun bereits fünf Punkte Rückstand. Am Samstag spielt der Klub vom Ammersee beim Letzten Mitteldeutschland. Der Klub aus Leuna hat Herrsching vergangene Saison in den Pre-Playoffs bezwungen. Außerdem stehen dort sieben Polen im Kader. Es wird ein Déjà-vu-Erlebnis für Tille und Steuerwald. Auch wenn sie wissen, dass es keine Revanche für den schwarzen Sonntag geben wird.

© SZ vom 15.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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