Tischtennis:Es werde Licht!

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Seine Eltern waren Nationalspieler, die Mutter im Westen, der Vater im Osten. Auch Carsten Matthias hat es in die Bundesliga gebracht. Seit zwei Jahrzehnten lenkt er nun als Geschäftsführer von München aus den größten Landesverband - immer forsch und durchaus innovativ

Von Andreas Liebmann, München

Draußen scheint die Sonne, doch der Weg führt durch einen düsteren Gang. Irgendwie bezeichnend. Am Ende des unbeleuchteten Flurs im Münchner Haus des Sports, vierter Stock, liegt das Büro von Carsten Matthias, dem Geschäftsführer des Bayerischen Tischtennis-Verbandes (BTTV), und natürlich wird sich ein Gespräch mit ihm unweigerlich auch um das Thema Licht drehen - das Licht der Öffentlichkeit, an dem es seiner Sportart so oft fehlt. Immerhin: In den Räumen der Geschäftsstelle ist es hell. Der Chef, ein großer, kräftiger Mann mit Dreitagebart, wirkt gut gelaunt. Eine Mitarbeiterin stellt Kaffee auf den Tisch. Es ist Krisztina Toth, die hier als Leistungssport-Referentin arbeitet, eine mehrmalige Europameisterin.

Vor fast 20 Jahren hat sich Carsten Matthias, 52, auf diese Stelle beworben, seitdem ist er hauptamtlicher Manager eines weitgehend ehrenamtlich geführten Landesverbandes, des größten im Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB). Er ist zuständig für 55 000 Spielberechtigte in 1600 Vereinen, beim Bayerischen Landes-Sportverband sind sogar 100 000 Aktive erfasst. Matthias ist in Hannover geboren, ein promovierter Chemiker. Weil es damals nicht so leicht war mit Stellen im Pharma-Bereich, hat er sich eine Alternative gesucht.

Matthias war Bundesligaspieler, heute ist er die Nummer eins des TSV Ottobrunn in der Landesliga. Tischtennis gilt als Lifetime-Sportart, also eine, die man auch in höherem Alter betreiben kann. Nicht nur Matthias ist darauf stolz. Seine Spielweise ist ungewöhnlich, sie setzt darauf, gegnerische Attacken nah am Tisch zu blocken, auf der Rückhand mit einer Kurznoppe. "Wer weiß, wie man dagegen spielt, lacht sich ins Fäustchen", behauptet er. Bis in die Landesliga scheint sich das Rezept aber nicht herumgesprochen zu haben. Seit Jahren ist Matthias dort einer der besten Spieler, seine jüngste Saisonbilanz: 32:3 Siege.

Um Tischtennis wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, sagt Carsten Matthias, "müssen wir bei unseren eigenen Leuten ansetzen" (Foto: Baumann/Imago)

Selbst zu seinen besten Zeiten sah seine Spielweise etwas ungelenk aus, doch Carsten Matthias hat erste Liga gespielt, in Steinhagen, Mülheim, Bad Hamm. Vom TSV Ottobrunn, seinem Jugendverein, ging er 1982 zum Zweitligisten Fürstenfeldbruck. Er brachte Milan Orlowski an den Rand der Niederlage, damals Europameister. Und den Tschechen Petr Korbel. Am häufigsten wird er auf sein Match gegen den deutschen Nationalspieler Peter Franz angesprochen, weil man davon Ausschnitte auf Youtube sehen kann. Franz, 21, war Mitfavorit bei den deutschen Meisterschaften 1992 in Rostock, Matthias, mit riesiger Pilotenbrille, stand als Nachrücker in Runde eins. Man sieht Matthias offensiver als sonst, sieht ihn fluchen, hadern, Fäuste ballen, Brille werfen, jubelnd in die Luft springen - und siegen: 21:19 im fünften Satz.

Die Sportart hat sich enorm verändert, sie ist rasanter und physischer geworden. Weder größere Bälle noch Frischklebeverbot haben das stoppen können. "Wir haben damals Ball über die Schnur gespielt", sagt Matthias. Für seine Art, mal zu schauen, wie man den Gegner ausblocken kann, bliebe heute gar keine Zeit mehr, selbst Jörg Roßkopf "hätte heute keine Chance mehr".

Längst ist undenkbar, was Anfang der Fünfziger einer gewissen Uschi Fiedler gelang: Mit 16 anfangen, mit 17 deutsche Jugendmeisterin sein, ohne allzu intensives Systemtraining fünfmal deutsche Meisterin werden. Später, als Fiedler Ottobrunns Jugendarbeit anschob, hieß sie Uschi Matthias. Die WM-Teilnehmerin hatte den ehemaligen DDR-Spitzenspieler Günter Matthias geheiratet, der ihretwegen 1957 in den Westen zog. Carsten Matthias und seine Schwester Christiane hatten also zwei ehemalige Nationalspieler als Eltern. Günter Matthias ist diesen Sommer gestorben.

Als Funktionär macht sich Carsten Matthias nicht nur Freunde, das sei Teil des Jobs: "Wer etwas bewegen will, wird anecken." Einerseits sei er "das Gesicht nach außen", andererseits nur ausführendes Organ von Verbandsbeschlüssen, er müsse andere von seinen Ideen überzeugen. Weil er ungeduldig ist, fällt es ihm manchmal schwer, die Masse der Ehrenamtlichen mitzunehmen. Einer muss vorpreschen, findet er. "Es wäre nur fatal, wenn wir so weit vorausrennen, dass wir keinen mehr sehen, wenn wir uns umdrehen."

"Wer etwas bewegen will, wird anecken." Als Spieler agiert Carsten Matthias, 52, eher abwartend, als Funktionär prescht er gerne mal voraus. (Foto: oh)

Dieser Vorwurf wurde ihm schon gemacht. Vor vier Jahren trat Alfons Biller vom TTC Langweid gegen den BTTV-Präsidenten Claus Wagner an, dabei ging es ihm weniger gegen Wagner; er wolle die Macht des Geschäftsführers beschränken, sagte Biller. Der sei "fachlich hervorragend" und einer der klügsten Köpfe, aber eben forsch.

Matthias hat die Geschäftsstelle einem Qualitätsmanagement unterzogen und zertifizieren lassen, er hat den BTTV zur treibenden Kraft gemacht bei der Einführung eines bundesweiten Internet-Ergebnisdiensts, er hat vor Jahren angestoßen, dass sich der süddeutsche Verband als unnötige Zwischeninstanz selbst abschafft. Kürzlich ist eine Strukturreform gescheitert. Vielen kleineren Tischtennis-Kreisen in Bayern fehlen Funktionäre, also schlug Matthias vor, alles umzuverteilen und aus 63 verschiedengroßen 32 gleichgroße Kreise zu bilden. Die großen Kreise waren dagegen. "Wir erkennen solche Trends, aber wir hätten besser überzeugen müssen."

Tischtennis ist gemessen an den Mitgliedern Nummer vier in Bayern, hinter Fußball, Turnen und Tennis. Doch die Zahlen sinken, der Altersschnitt steigt, nicht rapide, aber merklich. Ein Mausklick, und Matthias zeigt das passende Diagramm. Viele binden sich nicht mehr so gerne in einem Maß, wie es Vereins- und Ligenbetrieb erfordern, erklärt er. Und die öffentliche Präsenz ist gleich Null. Dass Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov in der Weltspitze mitmischen, hat sie in Asien zu Stars gemacht, in Deutschland haben sie keinen Boom ausgelöst, nicht mal ein Boomchen. Vor vielen Jahren lief die Bundesliga mal im DSF, 600 000 Mark zahlte der DTTB dafür. "Die Einschaltquoten lagen an der Grenze der Messbarkeit", sagt Matthias. Heute ist der Sport fast nur in Online-Streams zu sehen.

BTTV-Präsident Wagner fordert, man müsse "kampagnenfähiger" werden. Als der Verband vor drei Jahren das Licht der Öffentlichkeit suchte, wählte er das Kunstlicht einer Münchner U-Bahn. Die hatte er gemietet, um darin während der Fahrt ein Turnier auszutragen. PR im Untergrund?

Ja, sagt Matthias, man sei da sehr innovativ. Der aktuelle Erfolg, auf den alle stolz sind, ist das Bavarian TT-Race, eine Serie von Blitzturnieren, die jeder Verein mit kurzem Vorlauf für neun bis 16 Spieler ausrichten kann. Manche sammeln Hunderte Teilnahmen. Das Finale der Eifrigsten findet im November statt, schon im Juli meldete der BTTV 445 Turniere und 1000 Starter, mehr als im Premieren-Vorjahr. Und der Kontakt zu den Sponsoren dieser Serie sei durch die U-Bahn-Geschichte entstanden, betont Matthias. "Beim Finale 2014 waren drei Fernsehteams!" Dass diese dann eher Kreisligasport sendeten und der listig hinzugeholte Jungprofi Florian Schreiner im Rücken des Moderators Rundlauf spielen musste - sei's drum. Matthias geht davon aus, dass weder Fernsehsender noch Sponsoren seiner Sportart helfen werden. "Wir müssen bei unseren eigenen Leuten ansetzen." Die Hallen und die Tribünen müssten voll sein. Niemand von außen wird das Licht anknipsen, erst recht keine Scheinwerfer. Sein Sport soll von innen leuchten.

© SZ vom 01.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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