Tischtennis:Ein Schubs aus der Wohlfühlzone

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Gute Technik, beachtliche Intuition, aber auch etwas Angst vor der neuen Aufgabe: Sarah Mantz. (Foto: Nils Rack/BTTV)

Zweitligist TSV Schwabhausen startet mit der 17-jährigen Sarah Mantz als Stammkraft in die Rückrunde.

Von Andreas Liebmann, Schwabhausen

Ziemlich chaotisch geht es zu in der Heinrich-Loder-Sporthalle. Unten wird Hallenfußball gespielt, oben auf einer kleinen Empore stehen Tischtennisplatten, in kaum einem Meter Abstand voneinander, alle mit drei, vier Spielern belegt. Bälle fliegen kreuz und quer. In jedem Winter muss die Tischtennisabteilung des TSV Schwabhausen, zugleich Landesstützpunkt, Platz machen für den Fußball, ganz gleich, dass ihr Frauenteam in der zweiten Bundesliga spielt. Sie müssen improvisieren. Zehnjährige üben Seite an Seite etwa mit dem Slowenen Tom Sfiligoj von den Regionalliga-Männern. Gerade kommt Zweitligaspielerin Eva-Maria Maier die Treppe herauf, etwas verspätet, weil sie arbeiten musste. Fast stürzt sie über die Sporttaschen, die sich am Treppenende türmen.

In all dem Gewusel fällt noch mehr auf, wie ruhig sich am mittleren Tisch eine junge Spielerin mit blondem Pferdeschwanz bewegt. Zweimal Vorhand, zweimal Rückhand, jeweils von verschiedenen Punkten des Tisches, eigentlich eine Laufübung. Doch ihre Bewegungen sind so ökonomisch, dass es mühelos aussieht. "Das ist es", erklärt Trainer Alexander Yahmed leise: "Super Technik, aber manchmal fehlt ihr ein bisschen Dynamik." Auf dem Rücken des blauen Trikots steht C. Mantz, "C" für Chantal. 2011 Jugend-, 2017 U21-Europameisterin, zurzeit Profi in Frankreich. Nur steckt die ehemalige Schwabhauserin gar nicht in diesem Trikot, sondern ihre vier Jahre jüngere Schwester Sarah.

Sarah Mantz steht neuerdings sehr im Mittelpunkt beim Zweitliga-Tabellenführer. Denn Yahmed hat sie überraschend befördert: von der Ergänzungsspielerin, die überwiegend in der dritten Liga antrat, zur Zweitliga-Stammkraft. Und zwar gleich auf Position drei. Weil die Chinesin Yang Ting in dieser Saison kaum eingesetzt werden kann, wird sie meist sogar die Nummer zwei sein, und als solche trifft sie immer zuerst auf die Spitzenspielerin des Gegners. Die 17-Jährige wird es also mit vielen gestandenen Profis zu tun bekommen.

Vor dem Training erzählt sie darüber. Überrascht sei sie gewesen, als sie die neue Rangliste im Internet gesehen habe - zuvor habe sie nämlich nur gewusst, dass sie Stammspielerin werden solle. Und ja: "Ich habe schon etwas Angst, dass ich abgeschossen werde." Der Verein geht mit diesem Schritt durchaus ein Risiko ein. Denn noch hält er sich nach zweimaligem Verzicht die Rückkehr in die erste Liga offen - dazu darf er freilich die sportliche Qualifikation nicht verspielen. Mantz weiß das. Der TSV Schwabhausen meint es eben ernst, wenn er erklärt, den eigenen Nachwuchs fördern zu wollen.

Sarah Mantz hat eine große Chance, an der Jugend-EM im Juli im rumänischen Cluj teilzunehmen, es wäre ihr bisher größter Auftritt. "Das war unser Ziel, und wenn sie Profi werden will, muss sie sich auch höheren Aufgaben stellen", erklärt Yahmed lapidar. Natürlich traut er ihr diesen Schritt zu, sonst hätte er sein Team nicht so aufgestellt. Sarah Mantz habe neben ihrer Technik "eine unglaublich hohe intuitive Spielintelligenz", sagt er. Ohne es taktisch genau zu analysieren, erkenne sie oft von alleine, womit sie ihrer Gegnerin wehtun könne. Es gebe nicht wenige, die in ihr das größere Talent sehen im Vergleich mit der älteren Schwester, doch Yahmed sieht das skeptischer. Immer, wenn er über Sarah Mantz spricht, kommt da ein Aber, und dieses Aber ist seit Jahren dasselbe: Er vermisst etwas Ernsthaftigkeit, die Bereitschaft, sich in jedem Training alles abzuverlangen. Auch deshalb verlangt er ihr in der Liga nun einiges mehr ab. "Du darfst dich nicht ausruhen!", "Du musst für dein Glück arbeiten!", solche Sätze hört er sich immer wieder sagen. An diesem Samstag (10.30 Uhr) steht Mantz im Heimspiel gegen Tostedt die erste große Aufgabe bevor.

"Stimmt schon", gibt Sarah Mantz zu, "ich bin ein bisschen bequem." Es sei besser geworden, findet sie. Aber nicht stetig. Sondern schwankend. Dabei führt sie zurzeit selbst eine Art Profileben. Sie leistet im Verein ein Jahr lang Bundesfreiwilligendienst ab - sie muss dafür zwar im Jugendtraining helfen, kann aber jeden Tag alles ihrem Tischtennis unterordnen. Auch eine Art Probelauf, ob sie wie ihre Schwester Chantal dazu bereit wäre, ans Bundesleistungszentrum nach Düsseldorf zu ziehen und Tischtennis zum Beruf zu machen.

Das Spielen mit rechts hat sie sich von der Schwester abgeschaut. Eigentlich ist sie Linkshänderin

Fast wäre alles anders gekommen. Sarah Mantz hatte vor knapp drei Jahren mit Fußball begonnen, denn in Kolbermoor, wo sie ausgebildet wurde und schon mit zwölf in der ersten Frauenliga debütierte, hatte sie am Tischtennis die Lust verloren. Bis dahin war dieser Sport unausweichlich gewesen: Die ältere Schwester war früh erfolgreich, weshalb die ganze Familie nach Kolbermoor in eine Villa zog, die der Bayerische Tischtennis-Verband als Internat mietete: Chantal als Kadermitglied, Vater und Mutter als Herbergseltern für den Verband, und Sarah, damals knapp zehn, als kleine Schwester. Ein Jahr dauerte es, dann verließ die Familie die Villa wieder. Den Eltern war der 24-Stunden-Job zu viel.

Der Wechsel nach Schwabhausen 2015 änderte für Sarah Mantz alles. Es ging wieder voran. Zuletzt hatte die Bundestrainerin Druck gemacht, ihr beim Top-48-Bundesranglistenturnier einen Podestplatz abverlangt, doch sie unterlag nach Matchbällen der Düsseldorferin Qian Wan. Das Top 24 gewann sie dann aber gegen die Rivalin. Sie hatte dem Druck standgehalten.

Dass überall, wohin sie selbst strebt, ihre Schwester Chantal schon war, stört Sarah Mantz übrigens nicht, es gebe da keine Rivalität. "Chantal sagt, es wäre doch cool, wenn ich auch Europameisterin werden würde", erzählt Sarah. Auch deshalb ist es kein Problem, wenn sie mal versehentlich das Trikot ihrer Schwester überstreift. Vermutlich hat es sogar mit der Orientierung an der Älteren zu tun, dass sie Tischtennis mit rechts gelernt hat. Denn sobald sie die Halle verlässt, ist Sarah Mantz eine Linkshänderin.

© SZ vom 12.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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