Tennis:Der Schwede vom Zuckerhut

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"Es war eine brutale Zeit für mich": Eine Rückenblessur hinderte Christian Lindell zuletzt an seinem Spiel Nun ist er schmerzfrei. (Foto: Claus Schunk)

Christian Lindell fühlt sich wohl in Großhesselohe. Dort muss er nicht ständig die Tennistradition seines Landes retten

Von Matthias Schmid, München

Die letzten Tage hat Christian Lindell in Schweden verbracht, genauer in Bastad, einer Gemeinde in der südlichsten Provinz des Landes mit dem schönen Namen Skåne län. Lindell, 24, ist nicht allzu oft in Schweden. Streng genommen ist der Tennisspieler, der bei der Spielerorganisation ATP als Schwede geführt wird, überhaupt nie in der Heimat seines Vaters. Er ist in Rio de Janeiro geboren und aufgewachsen, er lebt und trainiert im Geburtsland seiner Mutter. "Ich spreche viel besser Portugiesisch als Schwedisch", erzählt Lindell. Wer sich mit ihm also über die schwedische Misere im Tennissport unterhalten möchte, dem begegnet er mit einem erstaunten Lächeln und antwortet dann: "Da müssen Sie schon einen schwedischen Trainer fragen."

Von 1974 bis 1992 haben schwedische Spieler die Tenniswelt dominiert, Björn Borg, Mats Wilander und Stefan Edberg sammelten in dieser Zeit 24 Grand-Slam-Titel. Sie waren Ikonen ihres Sports. Tennis made in Sweden war eine Gütesiegel, eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte. In diesem Jahr schaffte es nun überhaupt kein Schwede mehr in das Hauptfeld eines der vier großen Major-Turniere. Die beiden besten Spieler des Landes, Elias Ymer und Christian Lindell, werden in der Weltrangliste auf den Rängen 155 respektive 326 geführt, und beide sind Schweden mit ausländischen Wurzeln.

Wenn Lindell an diesem Samstag in München ankommt, muss er mal nicht das schwedische Tennis retten, er wird nicht mit der großen Vergangenheit konfrontiert wie zuvor in Bastad. Er ist ganz froh darüber. Er soll nur als Spitzenspieler dazu beitragen, dass der TC Großhesselohe in seiner 13. Zweitligasaison in Serie "eine gute Rolle spielt", wie es Teammanager Christopher Kas ausdrückt. Am Sonntag (11 Uhr, Pullacher Straße) steht das erste von acht Ligaspielen gegen den TC Ludwigshafen auf dem Programm. "Ich freue mich seit Wochen auf die Jungs", sagt Lindell, "weil sie mich im vergangenen Jahr so gut aufgenommen haben."

Es war das erste Mal, dass er als Aktiver außerhalb Brasiliens Klubtennis für eine Mannschaft spielte. Ihm gefiel der besondere Zusammenhalt. "Mit den anderen mitzufiebern war großartig", erzählt er. In drei Partien war der schwedische Brasilianer Teil der Großhesseloher Mannschaft, die mit vier Siegen und vier Niederlagen die Saison auf dem vierte Platz beendete. Auch in diesem Jahr will der Klub aus dem Münchner Süden mit dem Abstieg nichts zu tun haben. "Wir wollen gleich gut in die Saison starten und die ersten Spiele gewinnen", sagt Kas. Lindell will in drei Begegnungen mithelfen, dass "wir möglichst viele Spiele gewinnen", wie er sagt. Der Rechtshänder mit der beidhändigen Rückhand fühlt sich langsam wieder in der Form, die ihn im vergangenen Jahr ins Hauptfeld der French Open und auf Rang 177 der Weltrangliste getragen hatte - seiner bisher besten Platzierung im Ranking. Das vergangene halbe Jahr war dagegen ziemlich deprimierend verlaufen. Lindell hatte den Albtraum eines jeden Sportlers kennen lernen müssen: zahlreiche Verletzungen. Sein unterer Rücken schmerzte so schlimm, dass er kaum noch aufschlagen konnte. Dabei ist der Aufschlag sein stärkster Schlag. Er spielte kaum noch Turniere. Wenn er mal auf dem Platz stand, verlor er gleich wieder. In der Weltrangliste stürzte er auf Rang 326 ab. Ein Teufelskreis.

"Es war eine brutale Zeit für mich", gibt Lindell zu. Seit ein paar Wochen ist er fast schmerzfrei, "ich bin wieder bei 90 Prozent", sagt er selbst. Er spüre, dass das zweite Halbjahr viel besser für ihn laufen werde. Zuversicht gibt ihm dabei sein Auftritt beim ATP-Turnier in Bastad in dieser Woche, wo er sich durch die Qualifikation ins Hauptfeld spielte und dort dem Portugiesen Gastao Elias unterlag. Es war ein gutes Turnier. "Ich habe wieder sehr ordentlich gespielt", sagt Lindell. Er sehnt deshalb die Spiele in der zweiten Bundesliga Süd herbei. Er braucht nach seiner Verletzung vor allem eines: Spielpraxis. Lindell spielt ein aufregendes Tennis mit wuchtigen Grundschlägen und einem mächtigen Aufschlag. "Die Zuschauer schauen ihm gerne zu", sagt Kas. Im vergangenen Jahr traten sie noch gemeinsam im Doppel an. Doch seit diesem Sommer widmet sich Kas, der mittlerweile Mona Barthel und nicht mehr Sabine Lisicki trainiert, beim TC Großhesselohe nur noch der Mannschaftsaufstellung - als Spieler hat er sich seinem Heimatverein TSV 1860 Rosenheim in der Regionalliga angeschlossen.

Kas hat Deutschland vor vier Jahren bei den Sommerspielen in London im Mixed vertreten. Der Traum von Christian Lindell, in seiner Heimatstadt Rio die Olympischen Spiele als Sportler zu erleben, wird sich dagegen nicht erfüllen. Er wird die Sommerspiele nur als Tourist erleben können. Ein anderes Ziel soll aber noch Wirklichkeit werden. "Eines Tages", sagt Lindell, "will ich zu den besten 100 Tennisspielern gehören." Für das einst so erfolgsverwöhnte schwedische Tennis wäre das schon eine Schlagzeile in den Hauptnachrichten wert.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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