Ski alpin:Kontrollierter Ehrgeizling

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Sie war kurz davor aufzuhören: zu viel Druck, zu viele Selbstzweifel. Nach dem Rücktritt von Maria Höfl-Riesch ist Barbara Wirth die neue, alte DSV-Hoffnung und muss plötzlich Auskünfte zur Lage der Ski-Nation geben

Von Johannes Knuth

Mit dem Skifahren, das hat Barbara Wirth zu Beginn der neuen Saison schon einmal festgestellt, mit dem Skifahren ist das ja so: "Das Skifahren verlernt man nicht." Wirth ist hauptberuflich für das Weltcup-Team des Deutschen Skiverbands (DSV) unterwegs. In der vergangenen Saison zählte sie zu den zuverlässigsten Fachkräften in den Technik-Disziplinen, und nach jüngsten Erkenntnissen lässt sich mit relativ großer Wahrscheinlichkeit sagen: Die Skifahrerin Barbara Wirth vom SC Lenggries hat das Skifahren nicht verlernt. Auch sonst ist jene Rennfahrerin Wirth, 24, aus der Vorsaison weitgehend identisch mit der Skifahrerin Barbara Wirth, 25, die am Wochenende in Levi in die neue Weltcup-Saison startete. Allein die Ergebnisse aus Vergangenheit und Gegenwart, die waren nicht ganz deckungsgleich. Im vergangenen März hatte Wirth den letzten Slalom der Saison in Lenzerheide als 13. und damit beste Deutsche abgeschlossen. Am vergangenen Samstag war Wirth beim Slalom in Levi erneut beste Deutsche, diesmal allerdings auf dem mauen 24. Rang. "Ich hatte mir schon etwas mehr erwartet", gesteht Wirth, im zweiten Durchgang sei sie mit "einer gewissen Zurückhaltung" gefahren. So, wie es eben ist, wenn man ein paar lästige Gedanken mit in die neue Saison schleppt.

Wirth hat mit 25 Jahren in ihrer Athletenkarriere schon einiges erlebt; die Rolle, die ihr im DSV-Kosmos nun zufällt, ist allerdings auch für sie herausfordernd. Bis vor einem Jahr galt sie im DSV als großes Talent, das nie so recht die Weltcup-Ergebnisse abgeliefert hatte, die man von ihm bestellt hatte. Wirth ließ sich von den Erwartungen beeindrucken, sie verkrampfte meistens dann, wenn es wichtig wurde. Sie stellte sich die Sinnfrage, nahm ein Frühjahr lang Abstand von ihrem Ehrgeiz, ihrem Sport, stellte dabei fest, dass sie dem Sport doch wieder nahe sein wollte.

Vor Beginn der vergangenen Saison verlor Wirth ihren Status als Weltcup-Kadermitglied. Sie musste ihren Sport weitgehend selbst finanzieren, Unterkünfte, Trainingslager, Trainer, Betreuer. Aber sie war entspannter im Kopf, schrieb zum Ausgleich Gedichte, und mit der Freiheit im Kopf fuhr sie plötzlich befreiter auf. Wirth wurde Neunte in Bormio, ihr bestes Weltcupergebnis, sie qualifizierte sich für die Winterspiele in Sotschi, wurde gute 14. im Slalom, 25. im Riesenslalom. "Sotschi war ein extremer Höhepunkt", sagt Wirth heute. Sie hat aber auch festgestellt: "In der letzten Saison ist viel passiert, was ich im Sommer erst einmal verarbeiten musste."

"Das Skifahren verlernt man nicht": Slalom-Spezialistin Barbara Wirth, SC Lenggries, kommt beim Weltcup-Auftakt im finnischen Levi als 24. ins Ziel. (Foto: Imago)

Hinzu kam eine neue Lage vor der neuen Saison. Maria Höfl-Riesch, die dreimalige Olympiasiegerin und große Konstante im DSV, zog sich aus dem Weltcupbetrieb zurück. "Wir sind in einer total neuen Situation", sagt Wirth. Früher gab Höfl-Riesch im Training das Tempo vor, "daran konnte man sich messen", erinnert sich Wirth. Jetzt verfügen sie im DSV über eine junge Frauen-Mannschaft mit viel Potenzial, die aber noch immer ein Selbstfindungsprozess durchläuft. In der Vorsaison hatte Wirth die Rolle als beste deutsche Slalomfahrerin immer mal wieder in Vertretung ausgefüllt, wenn Höfl-Riesch ausschied oder verletzungsbedingt verhindert war. Jetzt arbeitet Wirth hauptamtlich als beste deutsche Slalomfahrerin, sie muss plötzlich Auskünfte zur Lage der DSV-Mannschaft geben. "Ich war kurz vor dem Aufhören", sagt Wirth, "jetzt gehe ich in die Saison als beste Deutsche. Da hat man natürlich Erwartungen."

Wirth spricht jetzt von ihrem Ehrgeiz, sie redet von ihm wie von einem Begleiter, den man mal an seiner Seite dulden darf, mal zurechtweisen, mal ignorieren muss. In der Vorsaison hatte Wirth ihren Ehrgeiz im Griff, doch jetzt, mit der neuen Rolle, haben sich wieder ein paar belastende Gedanken eingeschlichen, die sie eigentlich schon beiseite geschoben hatte. Sie hat die Skimarke gewechselt, sie kann jetzt auf einen Servicemann zurückgreifen, da wachsen die Ansprüche wieder. "Barbara ist sehr selbstkritisch, manchmal ein wenig zu kritisch", sagt Wolfgang Maier, Sportdirektor im DSV. Wirth bestätigt: "Ich muss lernen, den Ehrgeiz auch mal zur Seite zu legen."

Ende November zieht der Weltcup-Tross nach Nordamerika weiter, Wirth will dort die Grundlage legen, um sich in dieser Saison unter den besten 15 der Welt festzusetzen. Sie glaubt, dass sie sich die entsprechenden Qualifikationen mittlerweile angeeignet hat. "In dem Jahr, in dem ich alles selbst machen musste, habe ich viel gelernt", sagt sie, was sie weiterbringe, welche Feinheiten sie zu beachten habe, bei Ausrüstung, Training und Material. "Ich habe gelernt, auf mich zu hören, meinen Weg zu gehen", sagt Wirth. Früher wäre sie nach einem bescheidenen Resultat wie im ersten Saisonrennen vermutlich verkrampft. Heute sagt Wirth: "Es gibt ja noch acht Rennen. Es geht immer weiter."

© SZ vom 20.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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