Schwimmen:Versunken im Motivationsloch

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Florian Vogel, hier in Rio 2016, galt als Nachfolger von Paul Biedermann. Nun hat er, neun Monate nach dem Freund, seine Karriere beendet. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Der Rücktritt von Olympia-Teilnehmer Florian Vogel ist ein schwerer Schlag für die SG München. Der DSV muss sich fragen, warum ein solches Weltklasse-Talent schon mit 22 aufhört.

Von Sebastian Winter, München

Florian Vogel verbreitete die Nachricht am späten Freitagnachmittag in einer Videobotschaft auf seiner Facebook-Seite, es fiel ihm schwer, Worte zu finden. Der Schwimmer der SG Stadtwerke München, Olympia-Neunter von Rio, atmete durch, biss auf die Lippen, kräuselte die Stirn, dann sagte er: "Ich habe mich dazu entschlossen, nach monatelangem Überlegen, mit dem Schwimmsport aufzuhören. Ich werde den Leistungssport nicht mehr weitermachen." Es war eine Rücktrittserklärung, die Vogel da mühsam formulierte. Seine Rücktrittserklärung. Mit 22.

Hauptgrund sei die "fehlende Motivation", die nächsten drei Jahre noch mal so hart zu arbeiten, um wieder ganz vorne in der Weltspitze mitschwimmen zu können. "Ich habe in den letzten zwei Jahren vor Olympia gesehen, was das bedeutet, was das für Einbußen sind", sagte Vogel. Es habe noch andere Gründe gegeben, das Studium zum Beispiel, an dem er wieder sehr viel Spaß gefunden habe. Und natürlich, das sagt er nicht, dieser Skiunfall im Januar. Vogel hatte sich bei einem Sturz einen Kreuzbandriss zugezogen, die Saison war für ihn schon damals gelaufen. Ihm war völlig bewusst, dass er nicht rechtzeitig zur deutschen Meisterschaft in Berlin fit wird, die am Mittwoch beginnt und die zugleich die einzige Qualifikationschance für die Weltmeisterschaft im Juli in Budapest ist.

"Ich halte seine Entscheidung für absolut vernünftig", sagt Vogels Stützpunktleiter Olaf Bünde

Vogels Rücktritt ist ein schwerer Schlag für die SG, aber auch bitter für den Deutschen Schwimm-Verband (DSV). Über 400 Meter Freistil war der gebürtige Bayreuther sowohl bei den Spielen in Rio als auch bei der WM 2015 auf Platz neun geschwommen. Vor zwei Jahren wurde er deutscher Meister über 400 und 800 Meter Freistil. Im selben Jahr unterbot er in 7:33,44 Minuten den deutschen Kurzbahnrekord seines Freundes und Trainingspartners Paul Biedermann über 800 Meter Freistil. Jene Saison wird Vogel ohnehin nicht vergessen. Denn als sich der Bauingenieur-Student damals am 24. Juni wegen eines Fotoshootings an der Isar aufhielt, sah er eine hilflose Frau im reißenden, Hochwasser führenden Fluss treiben - und rettete sie aus den Fluten. Danach überrollten ihn die Medienanfragen förmlich, was Spuren in der WM-Vorbereitung hinterließ.

Vogel wurde immer als Nachfolger für Biedermann gehandelt, des zurückgetretenen Weltmeisters und Weltrekordhalters. Mit Biedermann und der 4×200-Meter-Freistilstaffel schwamm Vogel in Rio auf Platz sechs - sie hatten sich mehr erträumt. Nun muss Biedermann miterleben, wie neun Monate nach ihm einer abtritt, der gerade dabei war, in die Weltspitze zu schwimmen. "Paul", sagte Vogel in seiner Videobotschaft, "du weißt, dass du mein größtes Idol warst und bist, sportlich und persönlich. Mit dir hatte ich in den letzten zwei Jahren einen Weltrekordhalter und Weltmeister neben mir auf der Trainingsbahn. Wir sind auch persönlich wahnsinnig gute Freunde geworden."

Vogel hat immer über die Enge des Beckens hinausgeschaut, er konnte im Trainingslager nie einfach nur im Hotelzimmer liegen. Er wusste, dass sein Sport ihn nicht ernähren kann. Schon nach den Spielen in Rio hatte er Zweifel, wie es weitergeht. Vogel machte dann eine Weltreise, postete Bilder von sich aus Südafrika und Neuseeland, er sah glücklich aus - und frei. Als er nach Deutschland zurückkehrte, riss sein Kreuzband. "Florian hat mir schon vor längerer Zeit gesagt, dass er Schwierigkeiten hat, sich zu motivieren. Nun kam diese Hängepartie wegen seiner Verletzung dazu. Ich halte seine Entscheidung für absolut vernünftig, auch wenn ich es schade finde", sagt Vogels Trainer Olaf Bünde, Stützpunktleiter in München.

Bünde kennt Vogel seit vielen Jahren, den Bruder, die Eltern. Er hat ihn auch von Bayreuth nach München mitgenommen. Bünde spürte zuletzt, dass kein Signal mehr von Vogel in Richtung Tokio 2020 kommen würde, seine Gedanken waren längst bei den Studienprüfungen, der Frage: Was kommt nach dem Leistungssport? Zweite Spiele wird es für Vogel nicht geben. Auch seinem Trainer Bünde dankte Vogel: "Ich habe dich zur Weißglut gebracht, du mich. Wir hatten viele Momente, wo wir wahnsinnig glücklich waren."

Der DSV muss sich die Frage stellen, wie ein solches Weltklasse-Talent so früh aufhören kann. Vogel hätte problemlos noch acht Jahre schwimmen können, zwei Olympia-Zyklen, er wäre dann 30 - so alt wie Biedermann bei seinem Rücktritt.

Vogel hat nun viele Studienprüfungen vor sich, aber nicht mehr den Druck, 20 bis 25 Stunden pro Woche trainieren zu müssen. Er hat die Planungssicherheit, die er haben wollte - für später. Und wenn das Studium vorbei ist, kann sich der Familienmensch Florian Vogel, der oft ein Basecap mit seinem Spitznamen Birdy trägt, eines gut vorstellen: In seine geliebte Heimat zurückzukehren, nach Bayreuth.

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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