Schwimmen:Lernen von Lochte

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Marius Kusch versöhnt die SG München mit DM-Gold über 100 Meter Schmetterling. Der 24-Jährige profitiert vom Training in den USA - und perfekten Maßen.

Von Sebastian Winter, Berlin/München

Es waren Welten, die Marius Kusch am Ende von seinen Konkurrenten trennten. Jedenfalls im kleinen Kosmos der Profischwimmer, in dem oft Hundertstelsekunden über Sieg und Niederlage entscheiden, also Wimpernschläge. Kusch deklassierte bei der deutschen Meisterschaft in Berlin jedoch über 100 Meter Schmetterling die Konkurrenz. In persönlicher Bestzeit von 51,83 Sekunden schlug der 24-Jährige an, 1,24 Sekunden vor Alexander Kunert (Gelnhausen) auf Platz zwei.

Kuschs Erfolg auf der 50-Meter-Bahn war weitreichend, und das in doppelter Hinsicht. Für seinen Verein SG Stadtwerke München war es nach fetten Jahren der einzige DM-Titel - Kusch holte noch Silber über 100 Meter Freistil, Johanna Roas einen zweiten und dritten Platz über 50 und 100 Meter Rücken und Andreas Wiesner Rang zwei über 200 Meter Rücken. Kusch selbst hat sich mit dem Sieg, seinem ersten auf der langen Bahn, zugleich wohl für die Weltmeisterschaft in Budapest qualifiziert. "Ich bin super happy mit der Zeit. Im Vorfeld habe ich Richtung Budapest geschielt und hoffe, dass es für die Lagenstaffel reicht", sagte Kusch, der noch die Nominierung durch Bundestrainer Henning Lambertz abwarten muss. Sollte Kusch Ende Juli in Ungarn dabei sein, ist sogar ein Einzelstart über seine Paradestrecke denkbar, obwohl er die von Lambertz vorgegebene WM-Norm knapp verpasst hat. Immerhin ist er mit seiner Zeit Weltranglisten-Achter, die weniger strenge Norm des Weltverbandes Fina hat er auch geknackt. "Ich gehe davon aus, dass Marius auch im Einzel schwimmt, sollte er in Budapest starten", sagt SG-Trainer Benedikt Schubert.

Rückkehr der Amerika-Auswanderer: Marius Kusch schwimmt über 100 Meter Schmetterling der Konkurrenz auf und davon. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Natürlich schmälert Kuschs Erfolg ein wenig, dass er sich nicht mit seinen beiden größten Rivalen messen musste. Der Hamburger Weltrekordhalter Steffen Deibler ist im November 2016 zurückgetreten, der Olympiasechste Philip Heintz (Heidelberg) konzentrierte sich auf die 200 Meter Lagen und schwamm dort mit einer fabelhaften Zeit auf Platz eins der Weltrangliste. Dennoch ist der DM-Titel für Kusch, der am Montag schon auf der A 24 zur Leistungsdiagnostik des Nationalkaders nach Hamburg fuhr, ein schöner Erfolg. Und auch ein kleiner Befreiungsschlag für seinen in letzter Zeit ziemlich gebeutelten Verein.

Die Münchner Schwimmstart-Gemeinschaft musste vor nicht einmal zwei Wochen den Rücktritt ihres Freistilexperten und Olympiateilnehmers Florian Vogel verkraften. Die weiteren SG-Topschwimmer Alexandra Wenk und Philipp Wolf waren auch nicht bei der DM am Start; Wenk wegen des Trainingsrückstandes nach ihrer Schulterverletzung, Wolf aus Studiengründen. "Wir sind diesmal mit deutlich weniger Medaillenchancen angereist", sagt Schubert: "Das nacholympische Jahr macht sich bemerkbar, wir sind gerade in einem kleinen Loch." Dass die Olympiaschwimmhalle noch bis weit ins kommende Jahr hinein saniert wird und im Mai für drei Wochen komplett gesperrt war, macht die Trainingssituation nicht einfacher.

Rückenspezialistin Johanna Roas gewinnt Silber und Bronze für die SG Stadtwerke München. (Foto: imago)

Für Kusch spielte das immerhin kaum eine Rolle. Der gebürtige Essener, der vor ein paar Jahren auch wegen einer - mittlerweile beendeten - Liaison mit Alexandra Wenk nach München gezogen war, studiert seit mittlerweile 18 Monaten in den USA. An der Queens University in Charlotte, North Carolina, ist er Teil eines ziemlich elitären Schwimmprogramms. Er trainiert dort zusammen mit einem Dutzend Olympiaschwimmern, unter ihnen ist auch der 18-malige Weltmeister und sechsfache Olympiasieger Ryan Lochte. "Das hat ihm sehr viel gebracht, auch wenn das in Berlin jetzt keine Leistungsexplosion war", sagt SG-Trainer Schubert. Schon 2015 war Kusch bei der Kurzbahn-Europameisterschaft Achter geworden, ein Jahr später gelang ihm bei der Kurzbahn-WM dasselbe starke Ergebnis.

Anders als Johanna Roas, die nach vier Jahren in den USA nun mit einem Bachelor-Abschluss nach München zurückkehrt, kann Kusch noch die komplette Olympia-Vorbereitung in den Vereinigten Staaten unter besten Bedingungen absolvieren. Dies ist jedoch nur einer von mehreren Gründen, warum Kusch, der vor zwei Jahren wegen einer Verletzung in ein sportliches und mentales Tief geschlittert war, sich seither zum Perspektivschwimmer für Tokio 2020 entwickelt hat. "Marius hat das Talent und die körperlichen Voraussetzungen: Er ist gut über 1,90 Meter lang, hat Hände, die groß wie Teller sind, große Füße und eine Armspannweite von 2,10 Meter", sagt Schubert - perfekte Maße und Hebel also für einen möglichst kräftigen und ausladenden Vortrieb im Wasser - gerade auf den Delfinstrecken. "Außerdem kann er sich sehr gut selbst einschätzen, ist extrem fokussiert und würde alles andere seinem großen Ziel unterordnen."

Sein Ziel ist neben Olympia zunächst die WM in Budapest. Nach dem Leistungsdiagnostik-Test in Hamburg reist Kusch dazu nicht wie die meisten anderen deutschen Spitzenschwimmer zum traditionsreichen Wettkampf Sette Colli in Rom, sondern lässt die Stadt der sieben Hügel ganz bewusst links liegen. Einfach deshalb, um möglichst schnell wieder bei seiner Trainingsgruppe in Charlotte zu sein, wo Marius Kusch mit den Weltbesten üben darf.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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