Leichtathletik:Stagnation auf hohem Niveau

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Früher reichte Korbinian Suckfüll seine Schnelligkeit. Jetzt sind auch turnerische Elemente gefragt. (Foto: Claus Schunk)

Vor anderthalb Jahren überquerte Korbinian Suckfüll erstmals 4,70 Meter. Seitdem kommt der 18-jährige Gräfelfinger keinen Zentimeter weiter. Mit verändertem Sprungstil soll es nun wieder aufwärts gehen

Von Alexander Mühlbach, Gräfelfing

Vertrauen, sagt Korbinian Suckfüll, ist im Stabhochsprung alles. Das Vertrauen in den eigenen Körper, in den handgefertigten Stab, vor allem aber in sich selbst. Es gibt dem Körper den Mut, sich zwei Stockwerke hoch in die Luft zu katapultieren. Und es beruhigt den Kopf, der immer wieder feststellt, dass es doch total irrsinnig ist, mit dem Stab in der Hand auf eine Matte loszurennen. Manchmal, sagt der Athlet des TSV Gräfelfing, ist das Vertrauen da. Wie damals vor anderthalb Jahren, als er mit 16 schon über 4,70 Meter sprang, plötzlich als eines der größten deutschen Talente galt und sich auf Platz sechs der deutschen Jahresbestenliste einreihte. Seitdem aber hätte der 18-Jährige allen Grund gehabt, das Selbstvertrauen zu verlieren.

Suckfüll ist zu Hause, als er die vergangenen anderthalb Jahre noch einmal rekapituliert. Er hat Zeit, das Abitur hat er schon vor ein paar Monaten gemacht, seitdem hat er sich vollständig auf seinen Sport fokussiert. Er will endlich wieder vorankommen. Seit jenem 4,70-Meter Sprung ist ihm keine Steigerung mehr gelungen, eine komplette Stagnation, nachdem er sich bislang in jedem Jahr um 30 Zentimeter gesteigert hatte. Ausgerechnet jetzt, wo die Konkurrenten davoneilen. Der Leverkusener: 5,15 Meter; die beiden Jungs aus Bremen: 5,10 Meter. Sie alle machten den nächsten großen Schritt, der in diesem Alter, da die Athleten ausgewachsen sind und kräftiger werden, normal ist. Nur eben Korbinian Suckfüll nicht.

Suckfülls Trainer Matthias Schimmelpfennig sagt, dass junge Athleten an solchen Phasen zerbrechen können. "Es ist schwer zu vermitteln, dass es nicht immer nur bergauf gehen kann", sagt Schimmelpfennig, weswegen er es lieber hat, wenn sich seine Athleten langsam steigern. "Sicher, die Situation ist in den vergangenen 19 Monaten nicht immer leicht gewesen", gibt Suckfüll zu. Besonders in den Momenten, in denen er so nah an der nächsten Höhe dran war: in Gräfelfing, in Aichach, in München. Immer sprang er 4,70 Meter, bevor er dreimal an 4,80 Meter scheiterte. Als gäbe es ein Limit nur für ihn. "Aber wissen Sie", sagt Suckfüll, "ich wusste, dass ich um diese Phase in meiner Karriere nie herumkommen würde."

Denn Suckfüll war mit den 4,70 Metern an einem Maximum angelangt. Nicht was die Höhe angeht, aber was seine Technik betrifft. Suckfüll sprang bislang nur so hoch, weil er schnell anlief. Er sagt, dass die Schnelligkeit vom Fußball komme. Zehn Jahre hat er im Verein gespielt. Danach aber sind eher turnerische Elemente gefragt, die er allesamt falsch oder nur teilweise richtig machte: Er hielt den Stab falsch, nahm den Schwung aus dem Anlauf nicht mit, war nie wirklich vorbereitet auf das, was kam. "Er stand nach dem Anlauf beinahe", sagt Schimmelpfennig, weswegen seine Versuche immer ein reines Zufallsprodukt waren: mal gut, mal schlecht. Sowohl Schimmelpfennig als auch Suckfüll wussten, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Nicht, wenn man mal irgendwann in der deutschen Spitze mithalten möchte. Also fingen sie an, Suckfülls Sprünge zu verändern.

Das hört sich so einfach an, als wäre es nur ein Kniff, den man anwenden müsste. Eine Sache von Tagen, vielleicht Wochen. Aber Suckfüll arbeitet seit anderthalb Jahren an der Umstellung. Der Sprung ist wie ein fragiles Gebilde, wie einer dieser Holzklötzchentürme, die zu zerbrechen drohen, sobald man ein Klötzchen herausnimmt. Es gibt so viele Dinge, die zu beachten sind, die in den Kopf müssen. Das braucht Zeit.

Es ist die Ironie dieser Geschichte, dass Suckfüll seinen Sport gerade deswegen so faszinierend findet, weil so viele Puzzleteile darin vorkommen.

So langsam, glaubt Schimmelpfennig, hat Suckfüll das Gebilde wieder stabilisiert. Sein Kopf, der zwar nie das Vertrauen in den Sport verloren hatte, wohl aber die neue Technik argwöhnisch aufnahm, akzeptiert den neuen Sprungstil so langsam. Die Ergebnisse, sagt der Trainer, spiegeln das zwar noch nicht ganz wider, aber sein Athlet sei konstanter geworden, es gebe kaum noch Zufallssprünge. "Er springt jetzt öfter mal 4,70 Meter." Am vergangenen Wochenende konnte Suckfüll die Höhe sogar so selbstverständlich abrufen, dass er bayerischer Meister wurde. "Das hat schon gut getan", sagt Suckfüll. "Aber klar, das soll noch nicht alles gewesen sein." Der Gräfelfinger traut sich in den nächsten Wochen eine neue persönliche Bestleistung zu. "Ich sehe mich bei fünf Metern am Ende des Sommers", sagt er. Es klingt nach Vertrauen. In den Kopf, in den Körper. Vor allem aber in die neue Technik.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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