Leichtathletik:46 Jahre minus einen Tag

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Vier für Deutschland: Selina Dantzler, Elisabeth Hafenrichter, Amelie Döbler und Yannick Wolf (v. li.) rechtfertigten ihre Nominierungen beim Länderkampf. (Foto: privat)

Der Münchner Weitspringer Yannick Wolf, 17, verbessert beim Ländervergleichskampf mit Italien und Frankreich in Nantes einen Uralt-Rekord.

Von Andreas Liebmann, München

Die Watergate-Affäre. Das Transitabkommen zwischen Bundesrepublik und DDR. Die Olympischen Spiele in München. Vielleicht hat Yannick Wolf das eine oder andere mal gehört aus dem Jahr 1972. Von seiner Mutter eher nicht, die kam in jenem Jahr überhaupt erst zur Welt. Aber vielleicht aus dem Geschichtsunterricht. Oder von seinem Trainer Richard Kick, der 1972 deutscher Dreisprung-Meister war und knapp die Olympianorm verpasste. Kick ist inzwischen 70, ein recht gehobenes Alter für einen aktiven Trainer, Yannick Wolf dagegen ist erst 17. Man muss sich all das kurz vor Augen führen, um besser einordnen zu können, was der junge Weitspringer von der LG Stadtwerke München am vergangenen Wochenende im französischen Nantes geschafft hat.

Yannick Wolf hat dort bei einem Ländervergleichskampf mit Italien und Frankreich die Weitsprung-Konkurrenz gewonnen. Er hat dabei eine neue persönliche Bestleistung aufgestellt, 7,62 Meter. Er hat sich damit selbst gleich um 21 Zentimeter verbessert. Und er hat (mit 17, wie gesagt) einen neuen bayerischen Hallenrekord für die Altersklasse U20 geschafft. Der alte war sieben Zentimeter kürzer, von einem gewissen Gunnar Kaiser aus Coburg. Aufgestellt in Böblingen, 4. März 1972. 46 Jahre (minus einen Tag) lang hatte die alte Marke Bestand. "Ich habe das erst am Dienstag erfahren, ich hatte es gar nicht auf dem Schirm", sagte Wolf und fügte an: "Ist doch schön, dass da jetzt mal was Neues steht."

Richard Kick war nicht überrascht. Er war nicht mit dabei in Nantes, Heimtrainer sind bei solchen Gelegenheiten nicht vorgesehen. "Man schaut dann da auch nur blöd durch den Zaun", sagt er. Doch eine Woche zuvor bei den deutschen Jugendmeisterschaften in Halle hatte er live mitbekommen, wie sein Schüler mit 7,39 Meter Zweiter geworden war, "zehn Zentimeter vor dem Brett" sei er da schon abgesprungen. Kick war also klar, dass Yannick Wolf trotz einer längeren Trainingspause wegen muskulärer Probleme diese Weite draufhabe.

Der innerdeutsche Zweikampf mit Ole Grammann geht weiter. Im Juli steht die U20-WM an

Dass sich der Teenager in so kurzer Zeit "in dieser Deutlichkeit" verbessern würde, hätte allerdings auch sein Trainer nicht unbedingt erwartet. "Es ist noch nicht so lange her, dass er bei 5,56 Meter war", erinnert sich Kick. Ein außerordentlich schnelles Fußgelenk habe Wolf, auch im Anlauf sei er sehr schnell, 10,5 Meter pro Sekunde. Technisch gehe es eben darum, diese Geschwindigkeit in Weite umzusetzen, alle Schwungelemente in Einklang zu bringen. Kick erwartet, dass Wolf in diesem Sommer vielleicht sogar an die 7,80 Meter herankommt. "Für einen noch nicht ganz 18-Jährigen wäre das schon sehr weit."

In Nantes gelang Yannick Wolf nur dieser eine gültige Versuch, doch der reichte, um Ole Grammann (Bayer Uerdingen/Dormagen) auf Rang zwei zu verweisen. Das war die andere Geschichte hinter dem Rekordsprung: Wolf und Grammann duellieren sich schon seit geraumer Zeit. Im vergangenen Jahr hatte der Münchner die Norm für die U18-Weltmeisterschaft in Nairobi erfüllt, doch der Verband nominierte Grammann. Wolf revanchierte sich später in Ulm, als er deutscher Jugendmeister wurde. Bei den Hallenmeisterschaften in der Vorwoche hatte dann wieder Grammann den besseren Versuch (7,46 m), und nun hatte Wolf erneut gekontert. "Das hat mich besonders gefreut", sagt Trainer Kick. Wolf habe die Fähigkeit, im Wettkampf nicht mehr über irgendwelche Feinheiten im Ablauf zu grübeln, sondern selbstbewusst zu sagen: "Jetzt zeig ich was, jetzt hau' ich einen raus."

Der Zweikampf mit Grammann wird weitergehen. Im Sommer steht die U20-Weltmeisterschaft in Tampere, Finnland, an. Noch einmal will Wolf ein solches Großereignis nicht verpassen. Nantes war überhaupt sein allererster Auftritt in Schwarz-Rot-Gold, den deutschen Adler auf der Brust. "Das ist schon eine Ehre", findet er. Die WM-Norm, 7,55 Meter, hat er in Nantes bereits deutlich übertroffen, aber er wird sie im Freien bestätigen müssen. Kick wäre dann wohl auch live dabei. Tampere, sagt er, "könnte man vielleicht mit einem Sommerurlaub verbinden". Für eine WM würde er zur Not auch mal durch einen Zaun schauen.

© SZ vom 08.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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