Leichtathletik:Freier Blick bis Berlin

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Der Arzt Clemens Bleistein hat über 3000 Meter die Norm für die Hallen-WM geknackt - nach einer Auszeit, die ihn nach Jerusalem und an den Kilimandscharo führte.

Von Andreas Liebmann, München

Der Winter war mild in Jerusalem, eigentlich perfektes Laufwetter. Trotzdem gesteht Clemens Bleistein, dass er morgens manchmal lieber im Bett blieb, als mit den neuen Freunden Sport zu treiben. Der Jerusalem Breakfast Club trägt seinen Namen, weil seine Läufer schon vor dem Frühstück starten, oft kurz nach fünf. Nach einem Tag Arbeit im Krankenhaus nicht einfach, da mitzuhalten. Meist gelang es Clemens Bleistein trotzdem, die Lust am Laufen trieb ihn an. Und wer weiß: Vielleicht stünde er ohne die Jungs vom Jerusalem Breakfast Club nun nicht kurz vor seinem zweiten Einsatz im Nationaltrikot.

Vor drei Jahren trug er erstmals das deutsche Trikot. Er lief eine neue Bestzeit - und schied aus

Der Weg zur Rückkehr: Clemens Bleistein 2017 auf einer Expedition am Fuße des Kilimandscharo. (Foto: privat)

Das Jahr hat noch kaum begonnen, doch es steht jetzt schon fest: Bleistein ist zurück, stärker als je zuvor. "Für mich hat es sich jetzt schon gelohnt, wieder anzufangen", sagt der angehende Internist, der für die LG Stadtwerke München als Einzelkämpfer die Langstrecken besetzt. Im vergangenen August hat er sich zurückgemeldet, hat wieder angefangen, seine Bahnen zu drehen. Am vergangenen Wochenende bei einem Meeting in Metz ist er Zweiter geworden über 3000 Meter, seine Lieblingsstrecke - über 1500 hatte er erst eine Woche zuvor in Luxemburg eine deutsche Jahresbestleistung aufgestellt (3:41,53 Minuten). Er habe gewusst, dass er gut in Form war, er hatte gute Beine, und im Hinterkopf hatte er eine Marke: Sieben Minuten und 52 Sekunden - die Norm für die Hallen-Weltmeisterschaft in Birmingham Anfang März. "Sechs Runden vor Schluss waren nur noch vier Afrikaner vor mir", erzählt er, "da dachte ich: Wow, jetzt fängt es an, Spaß zu machen." Als er zwei Runden vor Schluss merkte, dass das Tempo nachließ, ging der 27-Jährige sogar in Führung, 500 Meter vor dem Ziel wurde er dann vom späteren Sieger Thierry Ndikumwenayo aus Burundi überholt. Doch auch für den Münchner auf Rang zwei reichte es: 7:51,51 Minuten, persönliche Bestleistung, wie schon in der Vorwoche über 1500 Meter. Das dürfte das Ticket für Birmingham sein. "Das freut mich riesig, denn ich habe das letzte halbe Jahr viel Arbeit reingesteckt", sagt Bleistein. Sein eigentliches Ziel ist die Europameisterschaft im Sommer, doch die Hallen-WM nimmt er nun "sehr gerne mit". Dabei hatte er mit seinem Sport schon fast abgeschlossen.

Bleisteins bislang einziger Auftritt bei einem internationalen Großereignis liegt drei Jahre zurück, Hallen-Europameisterschaft 2015 in Prag. Erst sieben Jahre zuvor hatte er sich, damals noch Jugendfußballer bei der SpVgg Cannstatt ("ich war spielerisch limitiert, konditionell weniger") der Leichtathletik zugewandt, nun hatte er es also zu internationalen Ehren gebracht. Er lief Bestzeit im Vorlauf über 3000 Meter, dennoch schied er aus. "Natürlich hatte ich gehofft, dass ich ins Finale rutsche", erinnert er sich. "Jeder hat mir gesagt, dass man sich nichts vorwerfen kann, wenn man Bestzeit läuft, trotzdem war ich enttäuscht, es war ernüchternd."

Dann kam 2016, das Jahr der Europameisterschaft in Amsterdam, der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Seinen Traum hatte er sich bereits erfüllt, das sei immer ein Auftritt im Nationaltrikot gewesen. Aber klar träume man dann auch von Olympia, gesteht er, und als dann die nationalen Normen gesenkt wurden, da schien dieser Traum plötzlich greifbar zu werden. Doch es kam anders. "Ich war ein bisschen krank, ein bisschen verletzt, im Mai habe ich mein Examen geschrieben", erzählt er - sportlich sei nichts so gelaufen wie erhofft. "Ich war ziemlich unglücklich", erzählt Bleistein. Irgendwann hat er sich dann die entscheidende Frage gestellt: "Ist es das alles wert?"

Clemens Bleistein 2015 bei der Hallen-EM, für ihn die Erfüllung eines Traums und derbe Enttäuschung zugleich. (Foto: Chai v.d. Laage/imago)

Es war damals nicht die Zeit, in der sich Clemens Bleistein zu einem klaren "Ja" hätte durchringen können. "Man opfert sehr viel", weiß er, und wenn dann der Ertrag ausbleibt, der in seiner Sportart ohnehin kein finanzieller sein kann, wird es schwer. Er beschloss, eine Pause zu machen, wie er es nennt. Eine, bei der es offen blieb, ob er sie eines Tages wieder beendet.

Clemens Bleistein, ein knapp 1,80 Meter großes Leichtgewicht mit kurzen, blonden Haaren, hat schon eine Menge in seinen Sport investiert. Er hat ihn mit einem Medizinstudium in Einklang gebracht, "das war nicht immer einfach zu vereinbaren", sagt er. Im November hat er das Studium beendet, er ist jetzt Arzt, schreibt an seiner Doktorarbeit, will Internist werden mit Schwerpunkt Hämatologie/Onkologie. Im Moment kann er sich seine Zeit recht gut einteilen, er kann besonders viel investieren.

Fast ein Jahr bestritt Bleistein keinen Wettkampf auf der Bahn, er hat in dieser Zeit sein Praktisches Jahr als Arzt damit verbunden, etwas von der Welt zu sehen. Vier Monate lang arbeitete er in einem Krankenhaus in Jerusalem, vier in Köln und vier weitere in Tansania, unmittelbar am Fuße des Kilimandscharo. "Das war eines der besten Krankenhäuser Tansanias", sagt er, "aber das heißt nicht viel." Eine "viel manuellere Art der Medizin" habe er dort erlebt, ohne CT, ohne MRT. Spannend sei es gewesen. Jerusalem habe ihn vor allem kulturell fasziniert, "es gab so viel zu sehen, die Leute hatten alle so spannende Geschichten". Überall habe er vor allem durchs Laufen Menschen kennengelernt und Anschluss gefunden. Und viele dieser Menschen hätten ihn ermuntert, es doch noch einmal ernsthaft zu probieren mit der Leichtathletik. Wie etwa die Läufer vom Jerusalem Breakfast Club, die ihn gleich beim Kennenlernen fragten, ob er nicht Lust hätte, in einigen Tagen an einem Wettkampf teilzunehmen. Israelische Halbmarathon-Meisterschaften, Bleistein wurde außer Konkurrenz Vierter.

Nun ist er also zurück. Sein Hauptziel ist die Europameisterschaft 2018 in Berlin, im selben Stadion, in dem er zehn Jahre zuvor erstmals an deutschen Jugendmeisterschaften teilnahm. "Da könnte sich ein Kreis schließen", sagt er. Vielleicht erreicht er diesmal ein Finale, vielleicht auch schon bei der Hallen-WM. Wie es danach weitergeht? Darüber will er sich noch keine Gedanken machen. So viel Zeit wie jetzt wird er als Assistenzarzt sicher nicht mehr haben, aber er mag das nun nicht als Abschiedsjahr sehen. "Die Pause hat mir gut getan, ich habe Abstand bekommen und wieder richtig Lust zu laufen", sagt er. Wenn er aber etwas mache, dann brauche er auch konkrete Ziele. So wie an diesem Wochenende bei den deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund. "Auf jeden Fall eine Medaille!", hat er sich vorgenommen. Vier hat er schon: Einmal im Freien Silber über 5000 Meter (2015), und in der Halle über 3000 Meter einmal Silber (2013) und zweimal Bronze (2015, 2016). "Aber klar", ergänzt er: "Eigentlich will man gewinnen."

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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