Leichtathletik:Ein Turm aus Möglichkeiten

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Keiner stößt von so weit oben wie er, doch im Kraftbereich hat Christian Zimmermann noch große Reserven. (Foto: Imago)

Christian Zimmermann vom Kirchheimer SC wäre bestimmt ein prima Basketballer geworden, nicht nur wegen seiner 2,13 Meter. Doch er will als Kugelstoßer und Diskuswerfer an die Spitze. Die Zeit spielt für ihn - wenn er die Geduld nicht verliert

Von Andreas Liebmann, Kirchheim

Christian Zimmermann kochte innerlich, dabei war es recht unterhaltsam, dort, wo er gerade saß. Alle Sieger der deutschen Leichtathletik-Meisterschaften flanierten vergnügt an ihm vorbei, der 1500-Meter-Gewinner Florian Orth, der Kugelstoßer David Storl, alle hatten damit gerechnet, dass sie nun im Bauch des Nürnberger Frankenstadions noch einen kleineren Aufenthalt hätten. Nur Zimmermann, der Kugelstoßer und Diskuswerfer vom Kirchheimer SC, hatte das nicht geplant.

Eben war der 21-Jährige noch fluchend durchs Stadion gelaufen, wo er "beide Disziplinen verkackt" hatte, wie er fand. Plötzlich sei ein Kerl aufgetaucht, um ihn zur Dopingkontrolle zu bitten, der ersten seiner Laufbahn. "Ich hab' gefragt, ob er mich verarschen will", erinnert sich Zimmermann. Offenbar nicht. Also ging er mit. Und wartete. Zwei Liter Wasser lang. Einen Liter Apfelschorle. Storl habe ihn noch angegrinst. "Und du denkst dir: Super, ich bin auch da! Ich war zwar nicht gut, aber ich sitze trotzdem hier." Nach drei Stunden, das Stadion sei bereits leer gewesen, die Sieger waren weg, habe auch er seine Probe abgeben können. "Das einzige, was mir den Tag gerettet hat, waren drei Mädchen, die mich um ein Autogramm gebeten haben. Nicht, weil sie mich kannten, sondern weil ich ausgesehen habe wie einer, der gut sein könnte."

Christian Zimmermann sieht nicht ganz so aus wie Storl oder Robert Harting, sein Brustkorb ist nicht derart gewaltig, beim Bankdrücken, erzählt er, schafft er 140 Kilogramm - Konkurrenten wie der Neubrandenburger Christian Jagusch packten da mal eben 70 weitere Kilo drauf. Doch auch Zimmermann wirkt nicht gerade zerbrechlich, wenn er so vor einem steht, sich streckt und dabei die Nachmittagssonne über dem Kirchheimer Sportplatz verdeckt: Er ist 2,13 Meter groß.

An schlechten Tagen, erzählt er, denke er schon mal darüber nach, ob er nicht besser Basketballer geworden wäre, "immer, wenn es mal nicht läuft in der Leichtathletik". Keiner stößt die Kugel aus einer solchen Höhe wie er, auch fürs Diskuswerfen sind lange Hebel von Vorteil, aber natürlich hätte er im Basketball viel mehr von seiner Länge profitiert; in einer Sportart, in der sich mit dieser Statur schnell Geld verdienen ließe. Aber so viele schlechte Tage hatte Zimmermann zuletzt nicht, trotz der Enttäuschung bei den deutschen Meisterschaften. Immerhin war er ja für beide Bewerbe qualifiziert gewesen, als bayerischer Außenseiter in Disziplinen, die von Sportschülern aus dem Osten dominiert werden. Zufrieden war er damit nicht.

56 Meter hätten mit dem Diskus für den Endkampf gereicht, knapp über seiner persönlichen Bestleistung; mit 17,44 Meter wäre er beim Kugelstoßen dabei gewesen, "das habe ich dieses Jahr immer gestoßen", sagt er, "aber es ging nichts, meine Füße wollten nicht". 47,92 Meter und 17,32 Meter brachten ihm die Ränge 15 und neun - einmal Letzter, einmal Vorletzter. "Ich hatte deutlich mehr erwartet." Woran es lag? "Vielleicht war es der Kopf", sagt Zimmermann, wie schon öfter - 25 000 Zuschauer, ein riesiges Stadion, einige der besten Werfer der Welt im Ring, da kann man schon verkrampfen. "Vielleicht waren wir auch müde, wir wissen es nicht."

Es ist eine ulkige Marotte, dieses Wir: Immer wieder sagt Zimmermann Sätze wie: "Wir wussten, dass wir es können", die schwer nach einer multiplen Persönlichkeitsstörung klingen. Doch Zimmermann bezieht damit seinen Wurftrainer Joachim Lipske ein; wann immer er stößt, stößt sein Trainer quasi mit. "Er ist auch der Erste, der ,Wir' sagt, wenn es schlecht läuft."

Verbandstrainer Lipske ist viel zufriedener mit Zimmermann als der 21-Jährige mit sich selbst. Die Zeit spielt für ihn, so sieht es Lipske, auch wenn sein Schüler noch nie eine deutsche Medaille gewann. Es sei eine knifflige und langwierige Sache, einen jungen Athleten dieser Länge so weit zu bringen, dass er seinen Körper richtig verspannen könne. Er sagt: "Wer einen hohen Turm bauen will, muss sich mehr Gedanken machen als einer, der ein Zelt aufstellt." Technisch, athletisch und vom Kopf her habe Zimmermann große Fortschritte gemacht, "und im Kraftbereich haben wir Riesenreserven" - man müsse nur aufpassen, durch Muskelaufbau seine Schnellkraft nicht zu gefährden. "Ich sage ihm immer: Dir gehört die Perspektive." Wären nur die ständigen Zweifel nicht.

Christian Zimmermann wäre gerne weiter. Im Winter hat er in der Werner-von-Linde-Halle, wo er mit Lipske trainiert, mal so richtig einen rausgehauen, die Kugel landete bei 18,32 Meter, "ich war komplett voller Adrenalin, alles hat gezittert", sagt er. 18 Meter, die Bundeskader-Norm, hatten sie sich als Ziel für dieses Jahr gesetzt, "und plötzlich ging es um die EM". Acht Zentimeter fehlten noch zur Norm für die U23-Europameisterschaften in Tallinn. Wahrscheinlich hätte er nicht mitfahren dürfen, weil es drei stärkere Deutsche gibt, "aber ich hätte diese Weite gerne gestoßen." Das misslang. In Wetzlar, bei den deutschen U23-Meisterschaften, war er zweimal Vierter. Die Kugel landete bei 18,01 Meter, dafür lief es mit dem Diskus unverhofft gut. "Ich habe den anderen vorher gesagt, dass ich weit werfen kann, und wenn sie Pech haben, geht es richtig weit", erzählt er grinsend. Dann warf er gleich 55,27 Meter. "Ich habe meinen Dad auf der Tribüne bis unten schreien gehört", sein Trainer habe sich zufrieden grinsend zurückgelehnt. Dennoch sagt Zimmermann Sätze wie: "Es nervt schon, ich würde wirklich gerne mal im Deutschland-Trikot werfen." Das nächste Jahr in der U23 wird sein letztes, da findet keine internationale Meisterschaft statt. Also hofft er, dass sein Trainer Recht hat: "Die anderen", sagt er, "die werden irgendwann stehenbleiben."

Wenn er nicht gerade an sich zweifelt, kann Zimmermann, viele lustige Dinge erzählen. Wie er sich noch unter dem damaligen Kirchheimer Trainer Andreas Streng als Zehnkämpfer probierte und nur zwei seiner vier Wettkämpfe beendete - die anderen brach er wegen des quälenden 1500-Meter-Laufs ab. Oder wie er mal beim Stabhochsprung in Vaterstetten von allen Konkurrenten angefeuert wurde - für seine Höhe von 2,90 Meter hatten sich die anderen noch gar nicht aufgewärmt. Und wie er in Hausham die Konkurrenz mit einem 60-Meter-Speerwurf verblüffte, ohne jedes Training. Manchmal spürt er selbst, welches Potenzial er hat.

Basketball hat er übrigens probiert: Dreimal trainierte er beim FC Bayern mit, einmal im Audi Dome, dreimal seien die Trainer begeistert gewesen. Nur Zimmermann nicht. "Ich weiß, was ich mit dem Ball anfangen muss", sagt er, er habe die anderen oft blöd aussehen lassen. Aber wenn, dann hätte er das früher anfangen müssen. Und wer wisse, ob er dann so beweglich und athletisch geworden wäre - und verletzungsfrei. Er denkt wirklich nur an schlechten Tagen darüber nach. Er studiert an der TU München Technologie- und Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre, damit will er später Geld verdienen.

Früher hat er mit dem Hochspringer Tobias Potye Dunkings geübt, erzählt er, damit hat er aufgehört. Aber sie hätten noch einen Plan: ein Foto, er in Diskus-Pose, Potye über seinen Kopf springend. "Er muss dann halt zuverlässig 2,13 Meter schaffen."

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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