Leichtathletik:Auf der Suche nach Perfektion

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Beim Munich-Indoor-Meeting sind die meisten Leichtathleten noch ein ganzes Stück von ihrer Normalform entfernt. Kugelstoßer Martin Knauer geht es nicht anders. Obwohl er neuerdings mit schwererem Gerät arbeiten muss, verfolgt der 17-Jährige ehrgeizige Ziele

Von Alexander Mühlbach, München

Martin Knauer wirkte verloren. Ratlos stand der 17-Jährige im Kugelstoßring, zuckte immer wieder mit den Schultern, schaute seinen Trainer Hilfe suchend an. Für den Zweiten der deutschen U18-Meisterschaften lief beim Munich Indoor zunächst rein gar nichts zusammen. Der erste Versuch landete bei 16,25 Meter - einer Weite, die der Athlet der LG Stadtwerke München inzwischen auch mit geschlossenen Augen kurz nach dem Aufstehen stoßen könnte. Der zweite: so missraten, dass Knauer ihn ungültig machte. Der dritte: im Aus. Nach dem vierten missglückten Versuch konnte sich auch Knauers Trainer Andreas Bücheler nicht mehr zurückhalten. "Du musst mal so langsam dein Hirn einschalten!", rief er.

Knauer brauchte nach dem Wettkampf eine Weile, um seinen Frust zu vergessen. Dabei dürfte er nicht der einzige der 645 Teilnehmer beim Munich Indoor gewesen sein, der unzufrieden mit seiner Leistung war. Viele Leichtathleten suchen zu diesem Zeitpunkt des Jahres noch ihre Form, die Saison hat ja gerade erst begonnen. Kein Athlet weiß wirklich, wie er aus dem Wintertraining herauskommt. Das kann manchmal gut ausgehen, wie bei Pedro Garcia Fernandez. Der neue 60-Meter-Hürdenläufer der LG Stadtwerke München setzte sich in 8,04 Sekunden am Samstag an die Spitze der deutschen Bestenliste. Es kann aber auch ernüchternd ausgehen, wie bei Paul Bobinger vom TSV 1860 München, der hinter Fernandez zwar Zweiter wurde, aber die Qualifikation für die deutschen Meisterschaften in 8,37 Sekunden um sieben Hundertstel verpasste.

Die besten Münchner Athleten schieben den Moment des Saisonauftakts deswegen zu Gunsten weiterer Trainingswochen noch etwas vor sich her. Christina Hering, die 800-Meter-Spezialistin, zum Beispiel kam erst am vergangenen Donnerstag aus dem Trainingslager zurück und verzichtete deshalb auf einen Start beim Meeting in München. Genauso wie Clemens Bleistein, der zweite der deutschen Meisterschaften über 5000 Meter. Auch deswegen legten die Veranstalter das Munich Indoor hauptsächlich auf den Nachwuchs aus.

Martin Knauer nahm das dankbar an. Auch, weil er gerade größere Probleme hat, als nur in die neue Saison hineinzufinden. Seit dem Jahreswechsel muss er eine schwerere Kugel verwenden, weil er nun der Altersklasse U20 angehört. Fünf statt sechs Kilo muss er jetzt durch die Gegend wuchten. Knauer will das nicht als Ausrede gelten lassen: "Die schwere Kugel liegt mir eher." Im fünften Versuch hatte Knauer das auch gezeigt, als die Kugel 17,21 Meter weit flog. Persönliche Bestleistung mit dem neuen Gerät, U20-Sieg. Trotzdem urteilte Knauer: "Ich habe heute nur einen Stoß getroffen. Der Rest war miserabel."

Büchele weiß, dass sein Athlet perfektionistisch veranlagt ist. Manchmal schadet ihm das, weil im Kugelstoßen so viel zusammenpassen muss: der Halt der Kugel in der Hand, der Beschleunigungsweg, die Koordination der Beine und des Oberkörpers. Für einen Perfektionisten wie Knauer gibt es viele mögliche Ursachen, schulterzuckend im Ring zu stehen. Gerade jetzt, sagt Büchele, wo die Kugel schwerer geworden ist: "Ehrlich gesagt war es am Anfang doch ganz schön schwierig für ihn, auf das schwerere Gewicht umzusteigen."

Knauer muss sich anpassen. Sie sind derzeit dabei, die Technik komplett zu verändern. Was allerdings dauert, die Abläufe müssen schließlich stimmen. Das kostet Kraft, klar. " Aber alle Konkurrenten in meinem Alter müssen damit umgehen können", sagt er, deswegen sei das schon in Ordnung. Außerdem habe er sich ja schon mal neuen Rahmenbedingungen angepasst. Damals, vor anderthalb Jahren nämlich, als Knauer noch ein unbeschriebenes Blatt in Deutschlands Kugelstoßszene war und bei der LAG Mittlere Isar trainierte. Dort, wo er seit seinem siebten Lebensjahr war, vom Sprint zum Weitsprung wechselte und dann schließlich beim Kugelstoßen landete; wo er plötzlich von der Leistung her stagnierte. Knauer wusste, dass es an den Rahmenbedingungen lag. Daran, dass er keine richtige Trainingsgruppe hatte, keinen Trainingsplan, nach dem er trainieren konnte. Also änderte er die Rahmenbedingungen und wechselte zur größten Leichtathletikvereinigung Münchens, der LG Stadtwerke.

Knauer steht nun sechs bis sieben Mal in der Woche in der Halle, legt an Kraft zu, optimiert seine Technik. "Was mir vor allem geholfen hat, ist, dass wir uns hier im Wurfteam immer gegenseitig pushen", sagt Knauer. "Wir versuchen alle das Maximum rauszuholen." Von seiner ursprünglichen Bestleistung von 15,38 Meter ging es rauf auf 16,62 Meter, dann auf 17,56 Meter. Knauer steigerte sich fast im Wochentakt, aber ihm reichte das nicht, er feilte weiter an Abläufen, gewann Silber bei den deutschen U18-Meisterschaften. Im Dezember stieß Knauer dann 19,92 Meter weit.

"Am Ende geht es einfach nur darum, dass ich vorne mithalten kann", sagt Knauer. Er hatte den Blick schon längst wieder in die Zukunft gerichtet. Er schaute auf und gab all seinen Anstrengungen ein ziemlich exaktes Ziel: "In den nächsten zwei Jahren will ich im Nationaltrikot starten." Plötzlich wirkt er gar nicht mehr so ratlos.

© SZ vom 18.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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