Judo:Pep im Kampfanzug

Lesezeit: 3 min

"Die Einstellung stimmt": Lorenz Trautmann ist vor dem Bundesliga-Finale zuversichtlich. Sein Team (li. Maria Ertl) tritt nahezu in Bestbesetzung an. (Foto: Claus Schunk)

Nach einer verlorenen Saison hat Lorenz Trautmann Großhaderns Frauen das Siegen wieder beigebracht. Der Meister von 2014 steht vor seinem zweiten Titel

Von Julian Ignatowitsch, München

Teambesprechung nach der letzten Kampfeinheit. Die Judo-Frauen des TSV Großhadern sitzen im Kreis um ihren Trainer Lorenz Trautmann. Sie sehen müde aus, die Haare nass, Schweiß rinnt ihnen von der Stirn. Die weißen Judogis, ihre Kampfanzüge, sitzen längst nicht mehr so akkurat wie zu Beginn des Trainings.

Trautmann ist vor dem Bundesliga-Finale an diesem Samstag in Backnang zufrieden: "Wir haben gut trainiert, die Einstellung stimmt." Das sagt er auch seiner Mannschaft. Lob also. Er wirkt ruhig, spricht klar und abgeklärt. Auch wenn alle erschöpft sind, tauscht man sich noch einmal angeregt aus. "Laut werden muss ich eigentlich nie", sagt Trautmann. Eher mache er mal einen Witz. Die Kämpferinnen schmunzeln, zwischendrin melden sie sich selbst zu Wort. Von Frontalansprache hält Trautmann genauso wenig wie von übertriebenem Autoritätsgehabe. "Ich bin da wie Pep Guardiola", sagt er.

Trautmann, 43, blonde Locken, kräftige Statur, ist optisch der Gegenentwurf zum asketischen Spanier. Trotzdem verzieht er keine Miene angesichts der Dimension, die seine Aussage besitzt. Der Vergleich mit den großen Fußballklubs und deren Personal - das ist selbst für einen der erfahrensten Trainer bei einem der größten deutschen Judo-Vereine gewagt. Trautmann arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Judo-Trainer in München. Seit vielen Jahren betreut er die Frauen- und Nachwuchs-Mannschaften in Großhadern. Letztlich zeigen seine Worte nur, wie ernst er seinen Beruf nimmt. Und wie sehr er damit beschäftigt ist, die richtige Taktik, Ansprache und Umgangsform für seine Athleten zu finden. "Judo ist ein extrem taktischer Sport", erklärt er. "Ein Außenseiter kann einen Favoriten durch eine einzige gute Szene schlagen. Motivation, Ausdauer, Kraft, Kampfintelligenz - all das spielt dabei eine Rolle."

In der Endrunde geht es jetzt um die deutsche Meisterschaft. Trautmann und seine Mannschaft sind deshalb im Training noch fokussierter als sonst. Großhadern gehört zu den Titelkandidaten. Vor zwei Jahren waren die Frauen erstmals Meister, im vergangenen Jahr verpassten sie den Sprung unter die besten Sechs. Diesmal verlief die Hauptrunde wegen Verletzungen und Ausfällen ebenfalls nicht optimal, als Dritte der Gruppe Süd schafften sie gerade so die Qualifikation. Trotzdem geht Großhadern jetzt als klarer Favorit in das Duell gegen Witten. "Wenn wir weiterkommen, stehen die Chancen 50:50", sagt Trautmann. Speyer und Backnang sind die größten Rivalen im Meisterschaftsrennen. "Wir müssen auch einen guten Tag erwischen", meint der Trainer. Denn wie so oft im Judo finden auch beim Meisterschafts-Finale alle Kämpfe innerhalb von zwölf Stunden statt. Im besten Fall dürfen die Athleten also in sechs Kämpfen (je zwei in drei Partien) ran.

"Wir können fast in Bestbesetzung antreten", sagt Trautmann. Nur die Schwergewichtlerin Carolin Weiß (Angina) fällt krankheitsbedingt aus. Ein gravierender Ausfall, ja, aber dafür ist die Olympia-Dritte Laura Vargas Koch wieder mit dabei. Sie fehlte das ganze Jahr wegen der Sommerspiele. Im letzten Vorrundenkampf gegen Leipzig kehrte sie zurück und führte das Team direkt zu einem klaren 9:5-Sieg, der die Finalteilnahme sicherte. Dazu haben sich junge Kämpferinnen wie die Zwillingsschwestern Theresa und Amelie Stoll in diesem Jahr extrem weiterentwickelt, mit Viola Wächter steht eine weitere Olympia-Teilnehmerin im Team. Und in der Serbin Milica Nikolic hat Großhadern außerdem endlich eine schlagkräftige Leichtgewichtlerin verpflichten können, die bislang in der Bundesliga ungeschlagen ist. Großhadern ist also - bis aufs Schwergewicht - diesmal auf jeder Position erstklassig besetzt. Nach der vertanen Saison im vergangenen Jahr wurde der Kader aufgestockt und verstärkt. Die letztjährige Betreuerin Theresa Diermeier, die das Team aus beruflichen Gründen wieder in die Hände von Trautmann zurückgab, hatte die Aufgabe auch ein wenig unterschätzt. "Der organisatorische Aufwand ist schon groß", sagt Trautmann. Kämpfer anmelden, Berichte abgeben, Training, Fahrten und Wettkämpfe organisieren, das alles gehört zu seinen Aufgaben. Für die Zeit, die er investiert, erwartet er von seinen Athletinnen absolute Professionalität.

"Bei den Frauen ist das eigentlich kein Problem. Die sind diszipliniert und wissen genau, was sie wollen", meint Trautmann. Im Nachwuchsbereich seien die Mädchen sowieso zielstrebiger als die Jungs, schildert er seine Erfahrung. "Aber wenn sie merken, dass sie ihre Ziele nicht erreichen, ist auch schneller Schluss." Seine eigene Karriere musste Trautmann nach frühen Erfolgen wegen eines Bandscheibenvorfalls vorzeitig beenden. Die großen Titel im Profi-Bereich konnte er deshalb nicht erringen. Wer ihn am Mattenrand mitgehen sieht, leidenschaftlich wie Pep Guardiola, der könnte meinen, er habe nie aufgehört zu kämpfen. Hat er wohl auch nicht. Er kämpft jetzt eben mit und für sein Team.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: