Judo:Ohne drei

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Alexander Wieczerzak, Igor Wandtke und Aaron Hildebrand verlassen den deutschen Meister TSV Großhadern. Das Klima zwischen Klub und Kämpfern galt als belastet. Die Titelverteidigung dürfte nun schwierig werden

Von Julian Ignatowitsch, München

Ralf Matusche hat es zunächst selbst nur "durch die Buschtrommel erfahren", wie er sagt. Dann erhielt er einen Anruf. Dann noch einen, dann noch einen. Jetzt weiß der Trainer des Judo-Bundesligisten TSV Großhadern, dass er in der kommenden Saison ohne drei Leistungsträger planen muss. Alexander Wieczerzak, Igor Wandtke und Aaron Hildebrand wechseln von Großhadern nach Hamburg. Alle drei waren vor zwei Jahren nach München gekommen, nun verlassen sie die Landeshauptstadt wieder zu dritt. "Das Ganze ist schon etwas komisch gelaufen", findet Matusche. In Judokreisen hatte das Gerücht bereits seit ein paar Wochen die Runde gemacht, ehe Matusche - relativ spät - direkt von seinen Athleten informiert wurde. Einer nach dem anderen teilte telefonisch seinen Wechsel mit. "Ich bin keinem böse", sagt Matusche, "so läuft das Geschäft."

Die Trennung, so viel scheint festzustehen, erfolgt auf Betreiben Wieczerzaks. Der 24-Jährige, deutscher Meister in der Klasse bis 81 Kilo, hatte sich während der vergangenen Saison, in der die Münchner erstmals nach 14 Jahren wieder den deutschen Mannschaftstitel holten, mit dem Sponsor des Klubs überworfen. Es ging um die Zahlung seines Gehalts, dabei spielte auch Wieczerzaks Haltung gegenüber dem Klub eine Rolle. Zweimal war er kurzfristig zu einem Kampf nicht erschienen, die offizielle Entschuldigung lautete einmal Bahnstreik, einmal gesundheitliche Probleme. Das gefiel Sponsor Hendrik Schumacher, selbst ehemaliger Spitzenjudoka und heute Unternehmenschef, überhaupt nicht. Auch das Verhältnis zwischen Wieczerzak und Matusche blieb davon nicht unberührt.

Der zweite Anzug muss ran: Alexander Wieczerzak, links im Viertelfinale 2015 gegen Potsdam, hat seine Klamotten gepackt und zieht nach Hamburg. (Foto: Claus Schunk)

Wieczerzak, Wandtke und Hildebrand machten ihre Ankündigung also wahr. "Wir sind gute Freunde und wollen immer beim gleichen Verein kämpfen", hatte das Trio während der Zeit in München stets betont. Sie trainieren am Judostützpunkt in Köln, fahren zu dritt auf internationale Turniere, wollen gemeinsam zu den Sommerspielen. Ihre Loyalität untereinander ist ungebrochen. Freundschaftliche Verbundenheit geht über Vereinstreue - entsprechend wechseln die drei Olympia-Kandidaten nun gemeinsam nach Hamburg, wo ihr Salär noch einmal aufgestockt werden dürfte.

Großhadern fehlt damit in drei Gewichtsklassen die nominelle Nummer eins. Sportlich ist das ein großer Verlust für den Titelverteidiger. Oder wie Matusche auf gut Bairisch sagt: "Ein Solo beim Schafkopf ohne drei Laufende ist schwer zu gewinnen." Der klare Titelfavorit heißt nun: Hamburg. Großhadern wird in diesem Jahr noch mehr auf die eigene Jugend setzen müssen.

Kämpfer wie David Karle, Niklas Blöchl oder Tim Güther tragen plötzlich mehr Verantwortung. Sie haben zwar schon Bundesligaerfahrung gesammelt, sind aber gerade erst auf dem Sprung in die Erwachsenenklasse. Die Meisterschaft entschieden haben andere, eben Wieczerzak oder Hildebrand. Ohne sie wird schon die Qualifikation für die Endrunde schwierig, zumal auch Leipzig und Esslingen zugelegt haben.

Immerhin einen Trumpf behalten die Münchner: Schwergewichtler Karl-Richard Frey bleibt. Der WM-Zweite von 2015 ist aktuell wohl der beste deutsche Judoka und hat in Rio gute Medaillenchancen. Er fühlt sich seinem Verein mehr verbunden als den Kölner Kollegen. Wie oft er in diesem Jahr zur Verfügung steht, ist allerdings offen.

Die Möglichkeiten, selbst noch einmal nachzubessern, sind begrenzt. Deutsche Kämpfer, die Großhadern sofort weiterhelfen würden, sind nicht frei. Beim Versuch, den Hamburgern im Gegenzug den in München wohnhaften Dominic Ressel abzuwerben, scheiterte der TSV. "Der sieht ja auch, wo er jetzt die besten Titelchancen hat", sagt Matusche, der sich noch auf dem internationalen Markt umschauen will. Hoffnung dürfte den Münchnern machen, dass in der Bundesliga auch immer der enge Wettkampfplan und Verletzungen eine große Rolle spielen. Insofern ist der nach wie vor große und ausgeglichene Kader von Vorteil. Beim Blick in die Kristallkugel sind die Titelchancen in dieser Saison sicher noch einmal besser als in absehbarer Zukunft. Denn schon 2017 kehrt voraussichtlich der Rekordsieger zurück, der seine Mannschaft zuletzt abgemeldet hatte: Und den TSV Abensberg hat Großhadern seit mehr als zehn Jahren nicht geschlagen.

© SZ vom 15.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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