Judo:Die Multitasker

Lesezeit: 2 min

4300 Kilometer entfernt von Großhadern gewinnt Alexander Wieczerzak (rechts) bei den Europaspielen in Aserbaidschan die Bronzemedaille. (Foto: Robert Ghement/dpa)

Judo-Männer des TSV Großhadern ziehen nach dem Sieg in Speyer vorzeitig ins DM-Viertelfinale ein. Weil das erneut ohne einige der besten Kämpfer gelingt, ist die Mannschaft der große Meisterschaftsfavorit

Von Julian Ignatowitsch, München

Wer Ralf Matusches Aufgabenbereich verstehen will, der muss global denken. So wie der Trainer selbst. Vom fernen Aserbaidschan bis ins beschauliche Rheinland reichte Matusches Tätigkeit am vergangenen Wochenende - über fast 4300 Kilometer Luftlinie und sieben Länder hinweg. In der Doppelfunktion als bayerischer Stützpunktrainer sowie als Verantwortlicher des Bundesligisten TSV Großhadern war Matusche quasi an zwei Orten gleichzeitig: Physisch und hauptverantwortlich beim Bundesligakampf in Speyer, gedanklich und planerisch bei den Europaspielen in Baku.

"Dass im Judo zu einem Zeitpunkt nur eine Maßnahme stattfindet, das ist lange her", sagt Matusche. Gerade die Trainer seien echte Multitasker, wie das neudeutsch heißt. Auch die Athleten müssen ihre Termine genauestens koordinieren. Die Arbeit in einem Verein, zumal einem Bundesligisten, macht das nicht leicht, umso wichtiger sind Erfolgserlebnisse. Großhadern hat jetzt den ersten Schritt zum Ziel Meisterschaft getan: Mit einem 10:4-Sieg gegen den Tabellenletzten JSV Speyer haben sich die Münchner vorzeitig für die Endrunde qualifiziert.

Und das, obwohl wieder zahlreiche Athleten fehlten, eben wegen der Europaspiele in Baku, die bei den Judoka gleichzeitig die Europameisterschaft waren. Auf Tobias Englmaier (bis 60 kg), Alexander Wieczerzak (bis 81 kg) und Karl-Richard Frey (bis 100 kg) musste Matusche verzichten, seine Besten in der jeweiligen Gewichtsklasse. Dafür betreute er sie in Teilen noch aus der Ferne. Am Mittwoch und Donnerstag sichtete er noch Videos für seine bayerischen Kämpfer in Baku und schickte die wichtigsten Informationen per Mail, insbesondere für seinen Vereinsschützling Englmaier. Der scheiterte bei der EM allerdings im Viertelfinale am späteren Sieger Beslan Mudranov. Besser machte es Sebastian Seidl, der Bronze gewann. Am Samstag durfte sich der in Großhadern kämpfende Wieczerzak die gleiche Medaille um den Hals hängen.

"Wir sind das ja mittlerweile gewohnt", sagte Matusche über die personelle Notsituation. Diese ist in der Hauptrunde ein Dauerzustand. Immerhin konnte der Trainer die Bundeskader-Kämpfer Julian Kolein, Igor Wandtke ( beide bis 73 kg) und Aaron Hildebrand (bis 90 kg) in der Bundesliga aufbieten, die letzten beiden traten aufgrund des Engpasses - mal wieder - in einer höheren Gewichstklasse an. Auch hier hat man sich in Großhadern längst an innovative Lösungen gewöhnt. Die anwesenden drei deutschen Top-Kämpfer erfüllten dennoch souverän ihre Pflicht und gewannen alle ihre Kämpfe, womit sie allein die Hälfte der Punkte (fünf von zehn) für den TSV erzielten.

Daneben waren wieder viele Youngster im Einsatz: Mal erfolgreich wie der 19-jährige Tim Güther (bis 90 kg) oder der 18-jährige Maximilian Heyder (bis 60 kg), der bei seinem Bundesligadebüt eine anspruchsvolle Leistung zeigte; mal weniger erfolgreich wie Hugo Murphy (bis 90 kg); oder je einmal erfolgreich und einmal nicht wie Lukas Vennekold (bis 66 kg). Auf einen internationalen Kämpfer verzichtetet das Team diesmal komplett. Die große Kaderbreite mit einer Mischung aus erfahrenen Top-Leuten und talentierten Nachwuchskräften kommt Großhadern zugute und macht die Mannschaft in diesem Jahr trotz aller Schwierigkeiten zum Titel-Favoriten.

"Bis jetzt ist unser Plan aufgegangen", urteilte Matusche über den bisherigen Saisonverlauf, "die heiße Phase kommt aber erst noch." Nach dem letzten regulären Saisonkampf am kommenden Samstag gegen den JC Ettlingen steht nach einer kurzen Sommerpause die K.o.-Runde an. Im Viertelfinale der Playoffs ist Großhadern gegen eines der schwächeren Teams aus der Nordgruppe sowieso Favorit und ein Weiterkommen Pflicht. Spätestens in der Finalrunde der letzten Vier im Oktober möchte der Trainer dann nach Möglichkeit alle deutschen Spitzenkämpfer mit an Bord haben. In diesem Fall wäre Großhadern wohl kaum zu schlagen, denn der größte Konkurrent und Serienmeister TSV Abensberg hat bekanntlich aufgrund der hohen Belastung vor den Olympischen Spielen sein Team zurückgezogen.

Matusche kann das nach wie vor nicht verstehen: "Alles eine Frage der Organisation", sagt er. Auch weltweite Mehrfachbelastung sei schließlich planbar.

© SZ vom 01.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: