Judo:Aus Hoffnung wird Verantwortung

Lesezeit: 3 min

Nach drei Kämpfen ohne Sieg muss Meister Großhadern einsehen, dass Talent allein in der Bundesliga nicht reicht

Von Julian Ignatowitsch, München

Zwei kurze Schläge, dann lag David Karle besiegt am Boden und vergrub sein Gesicht in der Matte. Das Gästeteam aus Leipzig brüllte in Ekstase, Großhaderns Judoka standen stumm mit verschränkten Armen auf der anderen Seite, auch das Publikum war jetzt ganz leise. Der verlorene Kampf von Karle, den er durch Abklopfen nach einer schmerzhaften Hebeltechnik des Gegners aufgab, war die Vorentscheidung im Heimkampf zwischen dem TSV Großhadern und dem JC Leipzig in der Judo-Bundesliga. Am Ende unterlag Großhadern mit 5:8 Punkten und einer Wertung von 33:74. Der Titelverteidiger steht nach drei Kämpfen noch ohne Sieg da und belegt in der Gruppe Süd mit nur einem Punkt den vorletzten Platz.

"Das haben wir uns schon anders vorgestellt", räumte Teamleiter Gerhard Dempf später ein. Dass die Saison für Großhadern nach dem Weggang der drei Bundeskader-Athleten Aaron Hildebrand, Igor Wandtke und Alexander Wieczerzak nicht so glatt verlaufen würde wie das Meisterjahr zuletzt, war absehbar; dass die Münchner nun aber sogar um die Qualifikation für die Endrunde bangen müssen, ist dennoch sehr überraschend. "Wir brauchen jetzt zwei Siege in den verbleibenden zwei Kämpfen, um es noch zu schaffen", erklärte Dempf. Er hält das für "machbar", allerdings müsse sich das Team steigern. Gerade die jungen Kämpfer stünden nun in der Verantwortung. Kämpfer wie David Karle.

Karles Niederlage zeigte symptomatisch, was bei Großhadern in diesem Jahr das Problem ist. Das Trainerteam begriff die namhaften Verluste vor der Saison als Chance für die Talente, die gerade den Übergang von den Junioren zu den Erwachsenen absolvieren. Sie sollten jetzt auch in der Bundesliga von der zweiten in die erste Reihe treten. Kämpfer wie Karle (-73 kg), Lukas Vennekold (-66 kg), Niklas Blöchl (-81 kg) oder Tim Günther (-90 kg) sind allesamt nicht älter als 21 Jahre und können am Stützpunkt in Großhadern unter besten Bedingungen trainieren. Sie sind die Judo-Hoffnungen von morgen. Allerdings zeigen die Ergebnisse in der Bundesliga, dass sich die Jungen noch schwer tun und der Schritt vielleicht zu früh kommt. Hat sich Großhadern verspekuliert? "Man kann nicht ewig Talent bleiben", sagt Dempf. "Irgendwann ist der Punkt gekommen, wo die jungen Kämpfer den Gegner einfach mal auf den Rücken werfen und zeigen müssen, dass sie nicht mehr nur Talente sind."

Gegen Leipzig ließ die junge Garde durchweg die Punkte liegen. Zwar kämpften die Youngster lange auf Augenhöhe gegen ihre Kontrahenten mit und gingen zumeist über die volle Länge von fünf Minuten. Aber der entscheidende Wurf oder Griff gelang eben einmal mehr nicht. Die Punkte holten stattdessen die eingekauften internationalen Judoka wie Matjaz Trbovc (-60 kg) oder Andreas Tiefgräber (-66 kg). Differenziert beurteilen muss man die diesmal schwache Leistung von Punktegarant Karl-Richard Frey (-100 kg), der einen seiner zwei Kämpfe völlig überraschend verlor - Freys erste Niederlage überhaupt, seit er in Großhadern ist. Aber der Schwergewichtler bereitet sich schon auf die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro vor, sein Trainingsrhythmus ist nicht auf die Bundesliga abgestimmt. Entsprechend wirkte der 24-Jährige müde und nicht in Bestform. Als WM-Zweiter ist Frey jedoch ein Vorbild für die jungen Athleten im Großhaderner Team, seine Entwicklung in den vergangenen Jahren verlief mustergültig.

Die Sommerspiele sind so gesehen aber die zweite Schwierigkeit in diesem Jahr für das Bundesligateam aus Großhadern. Denn Olympia-Kämpfer wie Frey, der Schwede Marcus Nyman (-90 kg) oder der momentan verletzte Tobias Englmaier (-60 kg) richten ihre Planung natürlich auf das sportliche Highlight im August aus. Die eigene Karriere geht im Einzelsport Judo generell vor.

Wie es unter diesen Umständen möglich ist, in der Bundesliga trotzdem erfolgreich zu sein, zeigten an diesem Wochenende beim Doppel-Heimkampf Großhaderns Frauen. Sie besiegten den JC Wiesbaden 10:4 und liegen auf Finalrunden-Kurs. In den 20-jährigen Zwillingen Amelie und Theresa Stoll sowie der 19-jährigen Jana Bauernfeind holten gerade die jungen Kämpferinnen entscheidende Siege und überzeugten gegen gestandene Gegnerinnen. Die TSV-Frauen hatten im vergangenen Jahr als deutscher Meister die Endrunde verpasst. Den Männern droht das vorzeitige Aus jetzt schon im nächsten Kampf gegen Erlangen (25. Juni).

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: