Eishockey-Nationalmannschaft:"Da knallt's im Kopf"

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Nach dem Silberrausch: Frank Mauer und Yannic Seidenberg über die neue Eishockey-Euphorie - und Physios am Kronleuchter.

Interview von Johannes Schnitzler

Empfang mit Blaskapelle am Flughafen, Auftritt im ZDF-Sportstudio, Handabdruck auf dem "Munich Walk of Stars" im Olympiapark: Seit dem Gewinn der Silbermedaille in Pyeongchang vor zwei Wochen ist für die sieben Nationalspieler des EHC Red Bull München nichts mehr wie vorher. Fast nichts: Am Mittwoch beginnt die Mission Titelverteidigung, Gegner im Playoff-Viertelfinale sind - wie im Vorjahr - die Fischtown Pinguins aus Bremerhaven. Verteidiger Yannic Seidenberg und Stürmer Frank Mauer über den größten Erfolg der deutschen Eishockey-Geschichte, Erwartungsdruck und einen schlafenden Riesen.

SZ: Herr Seidenberg, mal wieder was von Lindsey Vonn gehört? Sie saßen auf dem Hinflug neben ihr, Ihr gemeinsames Selfie bezeichnete die "Bild" als "ersten Höhepunkt" der Spiele.

Yannic Seidenberg: (schmunzelt) Die Nummer muss ich erst wieder besorgen, die habe ich grade verloren ...

Sie waren in den ersten Tagen in Südkorea als Zuschauer beim Biathlon und beim Skispringen, der Bundespräsident war beim Training zu Gast. War das Olympia, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Frank Mauer: Die meisten von uns waren das erste Mal bei Olympia. Am Anfang hatten wir noch viel Leerlauf, und dann haben wir uns verschiedene Disziplinen angeschaut. Wir wollten dieses Gemeinschaftsgefühl spüren, von dem alle reden. Und das hat uns dann auch gleich gut gepackt.

Sie haben Laura Dahlmeier und Andreas Wellinger zu Gold angefeuert.

Mauer: Ja, anscheinend waren wir Glücksbringer. Dieser Geist wurde aber erst nach und nach stärker, als wir selbst ins Turnier eingestiegen sind. Davor haben wir uns gefühlt wie Touristen.

Da konnten Sie ja auch noch nicht ahnen, dass Sie mit einer Silbermedaille heimkommen würden. 55,5 Sekunden fehlten im Finale gegen Russland zu Gold!

Seidenberg: Wir wussten, dass wir an einem guten Tag auch gute Gegner schlagen können. Dass wir das so oft hintereinander geschafft haben, das war wie ein Film. Wir wollten den nächsten Schritt gehen. Dass der Schritt dann so weit geht, damit haben wir auch nicht gerechnet.

In der Kabine hing das Wort "Glaube". Ab wann haben Sie wirklich geglaubt, dieses Turnier könnte ein besonderes werden?

Mauer: Bei mir war das nach dem ersten Spiel gegen die Schweden (0:1), als wir sie am Rand der Niederlage hatten. Wann gab es das, dass du bei einem großen Turnier besser warst als Schweden? Da hab' ich mir gesagt: Da ist mehr drin. Auf einmal kam eins zum anderen und wir haben uns in so einen Turnierrausch gespielt. Wir waren eine der besten Mannschaften in diesem Turnier! Vielleicht nicht von der individuellen Klasse her. Aber vom Kollektiv.

Seidenberg: Wenn bei Schweden oder Kanada von A bis Z alles dabei ist aus der NHL, wird es schon schwieriger, die alle wegzuputzen. Aber bei diesem Turnier war das anders. Der Glaube hat sich von Spiel zu Spiel aufgebaut.

"Wir haben verrückte Sachen gemacht": Frank Mauer zum Beispiel erzielte das 3:0 spektakulär im Halbfinale gegen Kanada. (Foto: Getty Images)

2:1 im Achtelfinale gegen die Schweiz, 4:3 im Viertelfinale gegen Weltmeister Schweden, 4:3 im Halbfinale gegen Rekordolympiasieger Kanada, Finale gegen Rekordweltmeister Russland. Herr Seidenberg, als Sie in der Verlängerung gegen die Schweiz das 2:1 schossen, was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?

Seidenberg: Da knallt's nur noch im Kopf. Da kommt alles raus, die Freude, man schreit nur noch. Ich hab zweimal die Säge ausgepackt, mir fast das Knie zerrissen beim Jubeln - ein unglaubliches Gefühl. Das Drumherum ist da kurzzeitig ausgeblendet. So wichtige Tore schießt man nicht allzu oft im Leben.

Ihr 3:0 gegen Kanada, Herr Mauer, war der schönste Treffer im Turnier. Mal ehrlich: Wie oft haben Sie sich die Szene seitdem angeschaut?

Mauer: Ich hab's erst relativ spät nach dem Spiel mal geschafft ...

Seidenberg: Ich wusste gar nicht, wie er das Tor geschossen hat. Ich war mit den Mannheimern auf dem Zimmer. Abends im Olympia-TV haben wir die Highlights gesehen, und dann haben wir erst mal das Tor gefeiert: "Boah, wie hat denn der das gemacht, das ist ja brutal!"

Mauer: Also ich hab's mir schon ein paar Mal angeschaut, muss ich ehrlich sagen. So ein Ding hab ich auch noch nicht oft gemacht. Aber das passt zu diesem Turnier. Wir haben verrückte Sachen gemacht.

Was noch?

Mauer: Wir waren im olympischen Finale! Wenn das mal nicht verrückt war.

Ihr Münchner Kollege Patrick Hager war der beste deutsche Scorer, Danny aus den Birken wurde zum besten Torwart des Turniers gewählt, Dominik Kahun hat die halbe NHL auf sich aufmerksam gemacht. Zufall, dass gerade die Münchner zentrale Rollen gespielt haben?

Seidenberg: Wir leben das hier jeden Tag, jedes Spiel gewinnen zu wollen. Ich will nicht sagen, das wäre Routine. Aber wir sind eben erst zufrieden, wenn wir gewinnen. Klar ist es auch Glück, dass mir gegen die Schweiz die Scheibe genau aufs Blatt fällt beim Rebound. Es geht auch gar nicht nur um München oder Mannheim. Wir waren ein Team. Wir sind jetzt seit vielen Jahren zusammen bei Weltmeisterschaften, das ist nicht erst bei Olympia so zusammengewachsen.

Wie ist das dann zu verstehen, wenn Patrick Hager vor dem Spiel ruft: "Auf geht's, Ihr geilen Typen - und Frank"?

Mauer: (lacht) Hagi und ich foppen uns immer ein bisschen. Das hat irgendwann hier angefangen, und ich hab irgendwann so hinterhergeschmissen: "Auf geht's, ich!" Wir machen das mittlerweile vor jedem Spiel, das ist ein bisschen Aberglaube geworden. Wir beide finden das witzig.

Offenbar nicht nur Sie. Der Clip ging viral.

Mauer: Schön, dass ein paar Leute drüber lachen können. Ich kann's. Das schafft auch Lockerheit.

Nehmen Sie uns bitte mit in die Kabine: Wir war das bei den Spielen?

Seidenberg: Eigentlich wie immer. Klar, wenn du gewinnst, ist die Stimmung besser. Wenn du so einen Lauf hast, bist du locker. Wir waren so drin, dass die Beine von alleine gelaufen sind. Wenn was weh getan hat, hast du's nicht gespürt. Als wir angefangen haben zu gewinnen ... die ganzen Tage, das ging so schnell. Das ist immer noch wie ein Traum.

Würden Sie sich gerne ein paar Tage zurückbeamen lassen?

Seidenberg: Schon. Deswegen ist es auch so schön, die Highlights noch mal zu sehen. Bis jetzt hatte ich noch nicht die Ruhe.

Mauer erzielte das schönste Tor des Turniers. Es war ein Kunstschuss durch die eigenen Beine. (Foto: imago/Sven Simon)

Nach dem Sieg gegen Kanada hatten Sie eine Medaille sicher, Christian Ehrhoff ist wie ein Flummi übers Eis gehüpft, Moritz Müller hat einen inoffiziellen Hochsprungweltrekord aufgestellt. Zwei Tage später nach dem 3:4 im Finale haben dann erst mal alle geheult.

Mauer: Das war im ersten Moment schon hart. Wir waren so dicht dran! Wenn man ein olympisches Finale spielt, will man gewinnen, egal gegen wen. Auch gegen die Russen. Aber hätte einer vor dem Turnier gesagt, du gewinnst Silber, hätte jeder sofort gesagt: Okay, nehmen wir.

Wie schnell hat sich die Sichtweise durchgesetzt, dass Sie etwas gewonnen haben statt verloren?

Mauer: Bei mir ging das relativ schnell, dass da wirklich die Freude überwiegt. Ich denke nicht mehr nach über hätte, wäre, wenn. Auch auf Silber kann man sehr, sehr stolz sein.

Wo ist die Medaille jetzt? Haben Sie zu Hause schon einen Schrein gebaut?

Mauer: Die sucht noch einen Platz. So was will ja wohl überlegt sein. Am liebsten hätte ich sie noch den ganzen Tag um.

Seidenberg: Ich hab sie oft in der Hosentasche dabei.

In der Hosentasche?

Seidenberg: Ja, falls Kinder kommen oder Freunde und ein Foto machen wollen.

Sehr umsichtig von Ihnen. Beim Finale am Sonntagmorgen um 5 Uhr haben fast sechs Millionen Deutsche zugeschaut. Haben Sie in Südkorea mitbekommen, was Sie da angerichtet haben?

Seidenberg: Nach dem Halbfinale. Meine Frau hat mir am Telefon erzählt, dass die ganze Nachbarschaft, nun ja, nicht durchdreht, aber dass alle mitfiebern. Wir waren auf allen Titelseiten!

Mauer: Am Schluss sind auch die ganzen anderen deutschen Athleten gekommen und haben uns unterstützt. Das war schon ein Zusammen und Miteinander.

Seidenberg: Das war cool, das ganze Team Deutschland mit seinen orangen Jacken im Stadion zu sehen. Aber so richtig realisiert haben wir das erst am Flughafen in Frankfurt und dann in München, wie groß die Freude bei den Leuten ist.

So einen Empfang wie Sie erhalten sonst nur die Fußballer nach einem WM-Titel.

Mauer: Vielleicht können wir in ein paar Jahren sagen, dass das ein Wendepunkt für den Sport war, dass jetzt mehr Kinder zum Eishockey gehen.

Seidenberg: Ich glaube schon, dass das gerade auch viele Kinder im Fernsehen mitbekommen haben und zu Mama oder Papa sagen: Das will ich auch mal ausprobieren.

Kinder sitzen sonntags morgens ja eh vor dem Fernseher ...

Seidenberg: Stimmt, die haben sicher auf die "Sesamstraße" gewartet.

Mauer: Oder "Tabaluga Tivi".

Die Feier nach dem Finale soll recht lustig gewesen sein ...

Seidenberg: Das hat ganz ruhig angefangen. Direkt nach dem Spiel waren wir noch nicht in Feierlaune, wenn man das damit vergleicht, was nach dem Sieg gegen Kanada abging. Wir waren bei der Abschlussfeier, und erst danach im Deutschen Haus ging das so langsam los. Erst wurden die Bobfahrer geehrt, dann wir. Und dann hat alles seinen Lauf genommen ...

DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat die Party so beschrieben: Nach zehn Minuten hing der Erste am Kronleuchter, aber sonst war's ganz gesittet.

Mauer: Das war der Physio!

Seidenberg: Echt? Hab ich gar nicht mitbekommen.

Yannic Seidenberg während der Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang. (Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/Imago)

Bei Olympia waren Sie der Underdog. Jetzt im Klub sind Sie als Titelverteidiger wieder Favorit, jeder erwartet von München die Meisterschaft.

Seidenberg: Ich denke nicht daran, ob ich Underdog oder Favorit bin. Wir gehen ins Spiel und versuchen das umzusetzen, was wir das ganze Jahr über besprechen. Wir erwarten selbst von uns, dass wir wieder den Titel holen. Wir glauben an unsere Stärke und wissen, dass wir gute Chancen haben, den Pokal zu holen.

Mauer: Bremerhaven ist eine gute Mannschaft. Aber wir können selbstbewusst in die Serie gehen. Wie Yannic sagt: Wir haben durch die erfolgreichen Jahre diese Siegermentalität. Wir nehmen jeden Gegner gerne. Das soll nicht überheblich klingen. Aber wir wissen, was zu tun ist.

Kein Motivationsproblem? Wäre ja menschlich, nach diesem Großerlebnis Olympia in ein kleines Loch zu fallen.

Seidenberg: Es gibt nichts Schöneres, als am Ende der Saison zu wissen, dass du der Beste warst. Da muss ich mich nicht groß motivieren. Ich muss nur daran denken, was wir wieder für eine Party haben werden in München, wenn wir gewinnen.

Eben noch hieß es "Wir für Deutschland". Ab Mittwoch geht es wieder gegeneinander, auswärts werden Sie herzlich ausgepfiffen werden. Wie ist das, wenn man einem Freund wie dem Mannheimer Marcus Kink begegnet und weiß: Den muss ich jetzt leider umhauen?

Seidenberg: Dann ist das so. (lacht) Wir sind beide Hitzköpfe, da kann es auf dem Eis schon mal krachen. Aber wir sind so gute Freunde, haben so oft gegeneinander gespielt, das ist kein Problem.

Mauer: Solange es fair bleibt, kann alles passieren. Dann gibt man sich die Hand - und wir sagen "Schönen Urlaub" (grinst).

Nach den Playoffs kommt schon wieder die Weltmeisterschaft. Die Erwartungen an die Mannschaft werden andere sein.

Seidenberg: Die Erwartungen der Medien vielleicht, und von Leuten, die Eishockey jetzt zum ersten Mal verfolgt haben und nicht wissen, wie es normal bei uns ausschaut. Wir werden auch dort wieder unser Top-Eishockey spielen müssen, um ins Viertelfinale zu kommen.

Mauer: Olympia war eine Riesensache. Aber man kann jetzt nicht erwarten, dass wir jedes Jahr da oben mitspielen. Wir sind immer noch Deutschland. Es fehlt in vielerlei Hinsicht die Basis. Die Nachwuchsarbeit muss intensiviert werden. Bis sich da ein Effekt in der Breite einstellt, wird es ein paar Jahre dauern. Das hat man auch im Fußball gesehen nach der EM 2000.

Red Bull baut bis "spätestens 2021", wie es heißt, eine Halle für 10 000 Zuschauer. Wird München Eishockey-Boomtown?

Mauer: München ist ein schlafender Riese. Es gibt König Fußball, und das ist in Ordnung, aber auch Eishockey hat seinen Platz in dieser Stadt verdient. Uns macht es Riesenspaß, hier zu spielen. Und wir hoffen natürlich, dass wir die neue Halle noch erleben können.

© SZ vom 12.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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