Hockey:Nächste Brücke nach Rio

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Münchner Schaltzentrale: Dass Anissa Korth nicht zur jüngsten Testspielreise des DHB geladen war, kommt ihrem Verein nun in der Halle zugute. (Foto: Claus Schunk)

Die Münchnerin Anissa Korth sucht ihre Chance in der Halle

Von Katrin Freiburghaus, München

Obwohl Rio de Janeiro nur aufgrund einer geografischen Fehleinschätzung seiner Namensgeber "Fluss des Januars" heißt, gibt es wohl keinen Fluss, auf den Athleten aus aller Welt in diesem Januar sehnsuchtsvoller blicken. Doch die Brücken über den vermeintlichen Fluss vor der Olympia-Stadt, der in Wahrheit eine Bucht ist, sind Mangelware. Und manchmal werden sie sogar plötzlich gesperrt; so wie zuletzt für Anissa Korth vom Münchner Sportclub (MSC), die im vorläufigen Kader der Hockeymannschaft für die Olympischen Spiele steht, anders als ihre Klubkolleginnen Nina Hasselmann und Hannah Krüger aber nicht für die jüngste Testspielreise nach Singapur nominiert wurde.

Wenn es auf einer Brücke nicht weitergeht, gibt es zwei Möglichkeiten: sich bedauern und erst mal ein paar Kekse essen - oder kehrtmachen und eine andere suchen. Die 22-Jährige entschied sich für die zweite Variante, als sie kurz vor dem Jahreswechsel spontan in die Hallensaison einstieg, für die sie der MSC wegen der Feld-Vorbereitung der Nationalmannschaft eigentlich nicht eingeplant hatte. "Auch wenn ich ihr Singapur gegönnt hätte: Für uns ist es positiv, dass sie nicht dort ist", sagt ihr Trainer Benjamin Lang fast entschuldigend. Neben der besseren Athletik, die A-Kader-Spielerinnen ihrem persönlichem Fleiß ebenso wie der intensiven Betreuung durch den Hockey-Bund verdanken, schätzt er vor allem Korths schnelles Umschaltvermögen: "Wir entwickeln mit ihr mehr Offensivkraft aus der Abwehr."

Der Begriff "Verteidigerin" ist beim Hallenhockey irreführend. Die Aufgabe einer guten Defensiv-Chefin besteht nicht darin, vor dem Tor auf den Gegner zu warten. Sie hat das Spiel als einzige Feldspielerin immer vor sich und ist somit Ausgangspunkt fast jedes Angriffs. Dass Korth eroberte Bälle bisweilen gleich behält und auf dem Weg zum Tor selbst ein paar Gegnerinnen austanzt, ist eine besondere Qualität. "Anissa ist eine, die auch mal zockt und damit enorm Tempo nach vorne macht - das hat uns zu Saisonbeginn gefehlt", sagt MSC-Torhüterin Kim Platten.

Wer Korth am vergangenen Wochenende spielen sah, als sich der MSC gegen den TSV Mannheim fürs Viertelfinale um die deutsche Meisterschaft qualifizierte (3:2), sah keine Frustbewältigung, sondern eine Bewerbung: Zwei der drei Münchner Tore fielen, nachdem Korth Mannheims Abwehr mit einer Offensivaktion in Unordnung versetzt hatte. Trotz Erkältung setzte sie jedem verlorenen Ball nach. Ein-, zwei-, dreimal - bis sie ihn wiederhatte. Dann rannte sie vor und kurz darauf fast genauso schnell rückwärts zurück, den Ball stets im Blick. Wäre Rückwärtslaufen olympisch, Korth könnte schon mal packen.

Doch so einfach ist es nicht. Der Hockey-Kader umfasst derzeit 27 Spielerinnen, neun von ihnen werden am Ende zu Hause bleiben, zwei weitere lediglich mit einer Ersatzakkreditierung als potentielle Nachrücker mitreisen. Die gute Nachricht ist, dass eine verpasste Länderspielreise wie in Singapur nichts aussagt. Die schlechte, dass das für eine absolvierte - wie die World League im Dezember, die Korth spielte - genauso gilt. Eine Garantie haben die wenigsten. Krüger und Hasselmann, die vor Peking respektive London leidvoll erfuhren, wie es sich anfühlt, kurz vor dem Ziel von der Liste gestrichen zu werden, dürfen sich bei stabiler Leistung sicherer fühlen.

Spielerinnen wie Korth müssen für ihren Traum in Vorleistung gehen. Die gebürtige Heidelbergerin wechselte vor gut einem Jahr nach München, weil sie nicht mehr zwischen Studium (in Erlangen) und Hockey (in Mannheim) pendeln wollte. Trotzdem hat sie nun ihre Kurse reduziert. "Ich verliere dadurch ungefähr zwei Semester", sagt sie und lächelt, als wäre das ein Sechser im Lotto. "Es ist wirklich nicht schlimm", versichert sie, "ich mach das gerne, weil ich es unbedingt probieren will." Vermutlich braucht ein junger Mensch, der ein ganzes Jahr in eine Möglichkeit investiert, genau ihre Einstellung. "Es wird eng, aber wieso sollte es nicht klappen?"

Mit dieser Haltung wird sie am 30. Januar mit dem MSC zum Viertelfinale nach Berlin fahren, zum überlegenen Ersten der Ost-Staffel. Die Qualifikation für die Endrunde werde "ein Brocken", aber speziell in der Offensive habe das Team sein Potenzial längst nicht ausgeschöpft. Dem MSC gelangen 23 Tore weniger als dem Staffel-Ersten Mannheimer HC. "Das haben wir uns alles fürs Viertelfinale aufgehoben", sagt Korth. Sie weiß, dass das Final Four Anfang Februar in Lübeck im Vergleich zur Feldrunde der kürzeste Weg zu einem Meisterwimpel ist. Und sie weiß auch, dass große Hallenturniere beobachtet werden; von Menschen, die darüber entscheiden, welche Brücken nach Rio führen und welche nicht.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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