Hockey:Der Hundertprozentige

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Wenn tagsüber für die Videoanalyse mal wieder keine Zeit war, kann es vorkommen, dass er nachts zu Hause die Spiegel von den Wänden abhängt. "Ich bin da Perfektionist", sagt André Schriever. (Foto: Lackovic/Imago)

André Schriever war einst der Schrecken aller Schiedsrichter. Als Trainer hat er sich gewandelt. Mit den Frauen des Münchner SC liegt er in der Hallenbundesliga auf Viertelfinalkurs. Maximalen Erfolg will er immer noch

Von Katrin Freiburghaus

Hätte jemand vor fünf Jahren einen Schiedsrichter gebeten, den Namen André Schriever in einem Satz mit dem Wort Ruhepol unterzubringen, hätte der Unparteiische - diplomatisches Geschick vorausgesetzt - mit einem breiten Grinsen geantwortet. Schriever war während seiner aktiven Zeit beim Hockey-Bundesligisten Münchner SC wegen seines hoch emotionalen Auftretens durchaus eine Herausforderung für jeden Referee. Seit der 34-Jährige, der gerade die Bundesliga-Frauen des MSC betreut, an den Spielfeldrand wechselte, ist er für Zuschauer kaum wiederzuerkennen.

"Dass er auf der Bank so sehr den Ruhepol gibt, hat mich auch ein bisschen gewundert", sagt Männer-Kapitän Felix Greffenius, der mit Schriever mehr als ein Jahrzehnt lang gemeinsam auf dem Spielfeld stand. Greffenius führt die Wandlung seines ehemaligen Mannschaftskollegen "auch auf seine Verantwortung als Chefcoach" zurück. Schriever selbst hat eine ganz pragmatische Erklärung: "Ich muss mich auf Wechsel, Taktik, das ganze Spiel und tausend andere Sachen gleichzeitig konzentrieren, da hab ich gar keine Zeit mehr, mich über jeden Pfiff aufzuregen."

Weil der erst im Sommer verpflichtete Chris Faust seit einem Hörsturz nicht mehr als Coach zur Verfügung steht, sprang Schriever ein und trainiert die Frauen mindestens bis zum Ende der Hallenrunde. Unabhängig von Fausts gesundheitlicher Situation sei eine Vollzeitstelle für ihn jedoch langfristig keine Option. Schriever hat eine Tochter und arbeitet bei einem Vermarkter für Online-Portale. Er könne weder Vormittagseinheiten anbieten noch Kontakte knüpfen oder Spielerinnen akquirieren. "All das gehört für einen Cheftrainer eigentlich dazu", sagt er. "Aber dafür habe ich keine Zeit. Das geht nur übergangsweise." Seine Frau Katrin (ehemals Eidinger) kennt als ehemalige Nationalspielerin das Pensum, das eine Amateur-Sportart wie Hockey allen nicht hauptamtlich Tätigen abverlangt. "Eine Hockey-Externe würde mich jeden Tag fragen, ob ich noch alle Tassen im Schrank hab", sagt Schriever.

Über die laufende Spielzeit hinaus Co-Trainer bei den Frauen zu bleiben, kann sich Schriever dagegen vorstellen. Es habe ihm "von Anfang an mehr Spaß gemacht, als die Karriere in unteren Spielklassen ausklingen zu lassen". Die Entscheidung, nach 15 Jahren Bundesliga-Hockey im oberen Leistungsbereich zu bleiben, passt zu ihm. Kaum einer der Befragten verzichtet auf den Satz: "Wenn er etwas macht, dann zu hundert Prozent." Schriever selbst sagt: "Ich will immer den maximalen Erfolg."

In der Hallen-Bundesliga führt der Weg dorthin über das Viertelfinale, dem sein Team an diesem Wochenende zu Hause gegen den Tabellenführer und aktuellen deutschen Meister Mannheimer HC (Samstag, 13.30 Uhr) und Rüsselsheim (Sonntag, 12 Uhr) einen großen Schritt näher kommen kann. Derzeit liegen der MSC, Rüsselsheim und der TSV Mannheim im Kampf um den zweiten Viertelfinalplatz in der Süd-Staffel punktgleich auf den Rängen zwei bis vier.

Auch die Männer unter dem neuen Bundestrainer Stefan Kermas sind vor den Partien gegen den Mannheimer HC (Samstag, 15.30 Uhr) und Frankenthal (Sonntag, 14 Uhr) Tabellenzweiter. Kermas überrascht die Entwicklung seines ehemaligen Spielers Schriever nicht. Im Gegenteil: Der frühere Angreifer habe sich abgesehen von einer besonneneren Außendarstellung kaum verändert. "Er gehörte schon immer zu den Spielern, die Hockey wirklich verstanden haben, und wusste, wie er das Beste aus seinen Situationen herausholt", sagt Kermas. "Ich erlebe ihn auch jetzt als taktisch klug und sehr analytisch", lobt der Bundestrainer.

Damit es mit der Analyse klappt, hängt Schriever nachts zu Hause schon mal die Spiegel ab, damit das Video vom letzten Spieltag Platz an der Wand hat. Was er an Vorbereitung am Tag nicht schafft, erledigt er in Nachtschicht. "Ich bin da Perfektionist", sagt er: "Ich erwarte viel von den Mädels - aber auch von mir."

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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