Hockey:Dauergast ohne Teller

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Ein Leben ohne Hockey? Nicht bei Familie Kirschbaum

Von Katrin Freiburghaus, München

Juristisch betrachtet besteht die Familie Kirschbaum aus fünf Mitgliedern: den Eltern Jürgen und Frauke sowie ihren drei Kindern. Realistisch betrachtet fehlt bei dieser Aufstellung jemand. Seit Elisabeth und Sebastian vor 16 Jahren zu klein fürs Tischtennisspielen waren, sitzt immer noch ein sechstes Familienmitglied mit am Tisch. Es benötigt keinen eigenen Teller, denn es ist der Münchner Sportclub (MSC). "Der Klub begleitet uns ständig", sagt Elisabeth, mit 22 Jahren die Älteste der Geschwister. Der MSC ist seit anderthalb Jahrzehnten nicht nur überall dabei, er erstellt auch den Zeitplan der Familie. Frauke Kirschbaum sagt: "Wir leben ums Hockey herum."

An diesem Wochenende wäre es beispielsweise ziemlich sinnlos, sich mit den menschlichen Mitgliedern der Kirschbaums an einem anderen Ort als der MSC-Anlage verabreden zu wollen. Am Samstag spielt dort Sebastian, 20, mit den Zweitliga-Männern zum Rückrundenauftakt gegen Nürnberg (17 Uhr). Seine 17-jährige Schwester Katharina steht beim Spiel der Erstliga-Frauen gegen Köln (14.45 Uhr) auf dem Feld. Normalerweise stünde dort auch Elisabeth, die aufgrund einer Meniskusverletzung aber derzeit als Betreuerin fungiert. Am Sonntag empfangen die MSC-Frauen dann den Meister UHC Hamburg (15 Uhr).

Ungewöhnlich souverän: Katharina Kirschbaum, 17, ist in ihrer ersten Bundesligasaison Stammspielerin und hofft auf die Teilnahme an der U18-EM. (Foto: Schunk)

Für den Klub sind Familien wie die Kirschbaums ein Glücksfall, denn Spieler, die von Anfang an darin groß wurden, sind selbst beim MSC, der mangels finanzieller Kapazitäten kaum fertig ausgebildete Bundesliga-Spieler anwerben kann, die Ausnahme. Sportdirektor und Männer-Trainer Stefan Kermas betont die Bedeutung echter Eigengewächse: "Sie haben eine viel höhere Bindung an den Verein und damit auch eine andere Bereitschaft. Das ist was anderes, als wenn jemand zum ersten Semester nach München zieht und nebenbei ein bisschen Hockey spielt." Auch Frauen-Trainer Benjamin Lang sagt: "Als MSC-Kind hat man immer einen besonderen Status."

Die Kirschbaums stiften nicht nur Identifikation, sondern bringen auch sportliche Qualität mit. Elisabeth stand bis zur U18 im Nationalkader und ist wie ihr Bruder fester Bestandteil der Stammmannschaft. Katharina arbeitet auf eine EM-Teilnahme mit der U18 hin. Trainer Lang traut ihr auch den folgenden Sprung in die U21 zu. "Ich glaube, dass die Nationaltrainer das genauso sehen, sonst stünde sie ja nicht im Kader", sagt er. Für ihre 17 Jahre sei sie bereits sehr souverän. "Sie hat in dieser Spielzeit fast jedes Spiel gemacht, das ist nicht selbstverständlich in der ersten Bundesliga-Saison", sagt Lang.

Sebastian Kirschbaum, 20. (Foto: Claus Schunk)

Der Ehrgeiz, in den ersten Mannschaften anzukommen, sei bei allen Kindern früh ausgeprägt gewesen, sagt Frauke Kirschbaum. "Es war immer mein Traum", präzisiert Katharina. Dass die Wahl der Familie überhaupt auf Hockey fiel, war reiner Zufall. Die Eltern spielten Tischtennis, engagierten sich dort als Trainer und Abteilungsleiter. "Wir wollten, dass unsere Kinder Sport machen", sagt Frauke Kirschbaum. "Weil wir noch zu klein für Tischtennis waren, sind wir zum Hockey, und es hat mir so gefallen, dass ich gleich Mitglied geworden bin", sagt Elisabeth. Ihr Bruder ebenso. Katharina tapste als Baby dazwischen herum und kann sich an keine Zeit erinnern, zu der Hockey nicht zu ihrem Leben gehörte.

Jürgen Kirschbaum ist mittlerweile stellvertretender Abteilungsleiter und aktiver Spieler der dritten Mannschaft, Mutter Frauke war zehn Jahre lang Betreuerin von Sebastians Jugend-Team und ist Jugendwartin. "Wir treiben unsere Kinder nicht an, unterstützen sie aber und richten uns komplett danach", sagt sie. Auch im Urlaub, der klassischen Zeit für den Athletik-Aufbau, gehen die Kinder laufen. "Wenn wir früher an die Nordsee gefahren sind, haben wir halt die Schläger mitgenommen und im Sand gespielt", sagt Elisabeth. Ob sie das jemals gestört habe? Klares "Nö". Es klingt so selbstverständlich, als hätte man sie gefragt, ob sie das Atmen nerve.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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