Fußball-Bayernliga:Plötzlich frei

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Dem BCF Wolfratshausen gelingt beim 4:1 gegen Schwabmünchen fast alles. Plötzlich beträgt der Rückstand auf den Zwölften nur noch drei Punkte.

Von Andreas Liebmann, Wolfratshausen

Es war eine der seltsamsten Schreiereien, die im Wolfratshauser Isar-Loisach-Stadion je zu hören waren. Die gereizte Stimmung hatte sich aufgeschaukelt, obwohl dem BCF nach 0:1-Rückstand im Bayernliga-Duell gegen den TSV Schwabmünchen der Ausgleich geglückt war. Plötzlich explodierten alle, sie brüllten einander an. Die Nerven im Abstiegskampf waren dünn, klar. Nur die Texte passten nicht. "Beruhigt euch!", schrie einer. "Bleibt doch mal locker!", forderte ein anderer. "Positiv, alles ist gut", keifte der Nächste. Und von der Trainerbank: "Weiter! Hört auf zu labern!" Alle klangen, als würden sie einander gleich an die Gurgel gehen, und doch versuchten sie nichts anderes, als sich gegenseitig zu beruhigen.

Die Partie hatte mäßig begonnen für die Gastgeber, nach wenigen Minuten und eigenem Einwurf hatten sie durch Schwabmünchens ersten Torschuss das 0:1 kassiert. Nichts deutete danach auf eine Wende hin, schon gar nicht auf den 4:1-Heimsieg, der es am Ende werden sollte. Die Gäste wirkten ballsicher und selbstbewusst, Wolfratshausen fahrig. Immerhin gelang Marian Knecht der Ausgleich nach einer Flanke von Marco Tomicic (21.). Knecht, 25, hatte beim 1:1 am Wochenende gegen Pullach wegen einer Zerrung ausgesetzt, das Nachholspiel drei Tage später sei "viel wichtiger" gewesen, erklärte er. Trotz anfänglicher Zweifel: Der Oberschenkel hielt. Und es tat dem Team, für das gegen Pullach noch Angelo Hauk vorne Kilometer abgespult hatte, sichtlich gut, dieses Mal wieder Knecht im Sturm und Hauk dahinter zu haben, also zwei laufstarke Offensivspieler. Zwei weitere Chancen ließ Knecht verstreichen, einmal verpasste Vincenzo Potenza das rechtzeitige Abspiel in seinen Lauf. "Wir haben uns in die Pause gerettet", grantelte Schwabmünchens Trainer Paolo Maiolo später. "Wir haben super begonnen." Dann habe es an Zweikämpfen gemangelt, die Taktik sei völlig über den Haufen geworfen worden. "Wir haben nichts mehr von dem gemacht, was wir uns vorgenommen hatten, die zweite Halbzeit war indiskutabel. Wenn die Jungs nicht das tun, was der Trainer sagt, wird es schwierig."

In der zweiten Halbzeit passierten dann unglaubliche Dinge. Ein paar Chancen hatten die Wolfratshauser vergeben, dann prallte ein Ball etwas glücklich zu Knecht, der auf der rechten Seite enteilte, prima querlegte auf Hauk - und der ließ den Ball zwar etwas weit vom Fuß springen, anstatt direkt abzuschließen, traf dann aus der Drehung aber trotzdem zum 2:1 (58.). Zum 3:1 wuchtete er einen Strafstoß ins Netz, den wiederum Knecht herausgeholt hatte, indem er sich im Laufduell mit Maik Uhde behauptete und dann vom herauseilenden Torwart Felix Thiel gefoult wurde. "Das war die Schlüsselszene, dass Angelo den mit Selbstvertrauen reinhaut", urteilte Knecht, der selbst noch das 4:1 nach feinem Zuspiel von Jona Lehr erzielte. Längst lief fast alles bei den euphorischen Gastgebern, und dann stellte sich Rechtsverteidiger Marin Culjak, der gegen Pullach bereits das Tor erzielt hatte, dem Publikum noch einmal gesondert vor: Erst streichelte der 19-jährige Winterzugang den Ball von der Seitenlinie ins Feld zurück, dann nahm er ihn mit der Sohle mit, stoppte, hob ihn auf den Fuß und lupfte ihn auf engstem Raum über seinen verdutzten Gegenspieler hinweg, um ihn danach aus vollem Lauf herunterzupflücken. "Jetzt packt der den Ronaldinho aus!", rief BCF-Trainer Marco Stier verzückt. "Wenn wir doch die ganze Saison so befreit gespielt hätten."

Was nicht ist, kann noch werden: Selbst der Tabellenzwölfte TSV 1860 München II ist plötzlich nur noch drei Punkte entfernt. Allein Stiers Kommentare auf der Bank waren ein prima Beleg dafür, wie schnell sich Dinge im Fußball entscheidend verändern können. In der ersten Halbzeit hatte er noch laut gehadert, dass das Glück fehle, als Knecht am Gegenspieler hängen blieb; als ein Pass nur um Zentimeter nicht ankam. "Warum geht der nicht durch?", jammerte er. "Das ist das, wenn man unten steht!" Auch auf Hauk, seinen Kapitän und Freund, hatte er geschimpft: dieses Hacke, Spitze, eins, zwei, drei. Und überhaupt, dieses ständige Gerede. Nach Hauks perfektem Strafstoß teilte er freudestrahlend mit, Hauk sei "in der Form seines Lebens".

Nur das Ende des Spiels passte nicht ganz. Weit entfernt von den Trainerbänken, am anderen Ende des Platzes, scharte sich eine besorgte Gruppe um Mittelfeldspieler Potenza, der kurz zuvor rüde vom Schwabmünchner Gabriel Merane gefoult worden war und sich schreiend am Boden krümmte. Sogar Altministerpräsident Edmund Stoiber, der wie so oft im Stadion war, kam herübergeeilt, um nachzusehen. Potenzas Verletzung stellte sich tags darauf als glimpflich heraus: starke Schienbeinprellung. Hätte schlimmer sein können. "Alles ist gut!", könnte man brüllen. "Beruhigt euch!"

© SZ vom 12.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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