Eishockey:Von der Wiege bis zur Trage

Lesezeit: 3 min

"Bauern" gegen "Bergaffen": Das Duell zwischen Tölzer Löwen und SC Riessersee ist eines der ältesten deutschen Derbys - und eines der härtesten. Nun treffen sich beide in Bad Tölz wieder. Endlich.

Von Johannes Schnitzler

André Frech, den alle "Hacky" nennen, wollte vergangene Woche mal was klarstellen: "Jetzt spielen wir ja gegen Ravensburg und am Sonntag in Kassel", schrieb Frech auf seiner Facebook-Seite. Aber "egal, wie diese Partien enden: Alles außer ,ausverkauft' gegen Garmisch wäre eine Enttäuschung!!!" Drei Rufzeichen.

Frech ist Equipment Manager beim Eishockey-Zweitligisten Tölzer Löwen, der Zeugwart, wie man noch sagte, als der EC Bad Tölz in der Bundesliga spielte. Frech ist die gute Seele der Mannschaft. Vom richtigen Schliff der Kufen über das Befüllen der Getränkeflaschen bis zur seelischen Verfassung kümmert er sich um alle kleinen und großen Nöte der Spieler. Und das bereits in zweiter Generation: Sein Vater Ernst "Opa" Frech und sein Bruder Peter gehören ebenfalls zum Betreuerstab.

Enttäuschung bei Torhüter Anton Klett und Verteidiger Helmut Eberhardt (von links): 2:7 unterlag der EC Bad Tölz am 5. November 1971 im Garmischer Olympia-Stadion dem SC Riessersee. 2478 Tage nach dem letzten Pflichtspiel gegeneinander in Bad Tölz kommt es in der dortigen Arena zum Wiedersehen. (Foto: Imago)

Vieles hat Tradition in Bad Tölz. Aber nichts eine so lange und so innig gepflegte wie die Rivalität mit dem SC Riessersee, dem Kontrahenten von der Zugspitze. Den "Bergaffen", wie man in Bad Tölz sagt. Bei den "Bauern", wie man in Garmisch sagt.

An diesem Sonntag, 18 Uhr, treffen die beiden Klubs zum 235. Mal aufeinander, zum ersten Pflichtspiel gegeneinander in Bad Tölz seit dem 16. Januar 2011, als beide noch in der Oberliga spielten. Riessersee gewann 5:4 nach Penaltyschießen und stieg später in die zweite Bundesliga auf, die heute DEL2 heißt. Zum Vergleich: Das Revier-Derby Schalke 04 gegen Borussia Dortmund gab es seit der Premiere im Jahr 1925 genau 172 Mal, das sieben Monate ältere Hamburger Stadtderby zwischen HSV und St. Pauli 92 Mal, das Duell FC Bayern gegen den TSV 1860 München 204 Mal seit der ersten Auflage 1902.

2478 Tage sind seitdem vergangen. Danach begegneten sich beide Klubs nur noch freundschaftlich. Aber was heißt das schon bei diesen Gegnern: freundschaftlich. Vor dieser Saison dauerte es im ersten Testspiel gegeneinander gerade einmal drei Minuten bis zur ersten Disziplinarstrafe für den Tölzer André Lakos, später musste Maximilian Hörmann mit einer Spieldauerstrafe vorzeitig vom Eis.

Die Partie zwischen Isarwinklern und Werdenfelsern ist seit jeher ein Kampf. Um Punkte. Um die Ehre. Um den Führungsanspruch im Oberland. Ein Kampf, der in Titel mündete und nicht selten im Krankenhaus endete. 1962, als die Tölzer ihre erste von zwei deutschen Meisterschaften gewannen, holten sie den entscheidenden Sieg im Garmischer Olympia-Stadion (6:2). Vier Jahre später waren sie wieder Meister, mit den Garmischern Rudi Pittrich und Albert Loibl im Kader. Den "Verrätern", wie sie beim SCR hießen.

Über die Jahrzehnte, dekoriert mit Titeln, geschüttelt von Insolvenzen, ist zwischen den Klubs eine tief gehende Hassliebe gewachsen. Letztlich aber ging es beiden immer am besten, wenn sie in derselben Liga konkurrierten.

2011, in der Oberliga, nannte der damalige Garmischer Geschäftsführer Ralph Bader den damaligen Löwen-Trainer Axel Kammerer den "Münchhausen von Tölz": "Weil er ständig behauptet, seine Mannschaft wäre die jüngste und billigste." Später engagierte Bader Kammerer als Trainer für den SCR - um ihn acht Monate später zu entlassen. Bader ist mittlerweile selbst entlassen, von dem Gesellschafter, den er holte. Seine Klage läuft. In Garmisch war er seither nicht mehr im Stadion, aber das Derby am Sonntag in Bad Tölz, "das lasse ich mir nicht entgehen", sagt Bader. Für ihn ist es "das Spiel der Spiele".

"Das ist kein normales Spiel. Da schlagt's Herz schon beim Aufwärmen höher."

Unvergessen ist die Viertelfinalserie in der zweiten Liga im Jahr 2001. Die Löwen setzten sich in fünf Spielen durch, eine Partie in Tölz stand nach einem Schlittschuhtritt des Garmischers Tim Regan gegen den Tölzer Sven Valenti kurz vor dem Abbruch. Regan spielte später in Tölz, trainierte dann den SCR und ist aktuell dessen Sportlicher Leiter. Seit den Zeiten von Pittrich und Loibl gab es etliche solcher Pendelbewegungen zwischen den beiden Vereinen, die sich räumlich und wirtschaftlich so nahestehen und einander doch so fremd erscheinen. Beppo Schlickenrieder, 2001 Trainer in Tölz, sagte damals: "Hier steht die Wiege des deutschen Eishockeys." Sein Gegner auf der anderen Bank sagte: "Das ist kein normales Spiel. Da schlagt's Herz schon beim Aufwärmen höher." Sein Name: Peter Kathan. Ein Ur-Tölzer.

Einiges hat sich bewegt in diesen 2478 Tagen. Trainer in Tölz ist nun Rick Boehm, der einst für beide Klubs spielte, Trainer des SCR der Finne Toni Söderholm. Als die Löwen Ende September, es war der dritte Spieltag, zum ersten Mal seit sieben Jahren zu einem Punktspiel in Garmisch gastierten, stand auf der SCR-Homepage: "endlich". Riessersee - aktuell Tabellendritter - gewann gegen den Aufsteiger aus Bad Tölz - aktuell Tabellenletzter - 9:4. Es war der höchste Garmischer Derbysieg seit 1995, als das DEL-Team des SCR in der Vorbereitung gegen den damaligen Zweitligisten Tölz 10:0 gewann, der höchste Pflichtspielsieg seit 28 Jahren.

Am vergangenen Wochenende verloren die Löwen übrigens zwei Mal, 1:5 gegen Ravensburg, 1:2 in Kassel. Aber egal, am Sonntag dürfte es trotzdem voll sein. Schon am Donnerstag waren alle Sitzplätze verkauft. Hacky Frech muss nicht enttäuscht sein.

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: