Eishockey:Mit Leib und Seele

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Größer, stärker, härter: Nach dem frühen Playoff-Aus hat der EHC München Spieler verpflichtet, die mehr physische Präsenz und Siegeswillen garantieren sollen. Einen Kampf haben sie trotzdem schon verloren

Von Christian Bernhard

Der Körper von Eishockeyprofi Steve Pinizzotto ist von Tattoos übersät. Seinen Rumpf zieren die Wörter strength und courage, die englischen Begriffe für Stärke und Mut. Sie stehen damit nicht nur sinnbildlich für das Credo ihres Trägers. Pinizzottos Körper ist gewissermaßen Leib und Seele seines neuen Arbeitgebers.

Die Saison des EHC München war gerade erst zwei Wochen vorbei, als Cheftrainer Don Jackson sie vor dem Abflug in seine amerikanische Heimat aufgearbeitet hatte. Sein Fazit: Der EHC, im Viertelfinale sang- und klang- und teilweise körperlos 0:4 am Hauptrunden-Siebten Wolfsburg gescheitert, habe viel zu wenig Tore geschossen - auf eigenem Eis blieben die Münchner zweimal ohne jeden Treffer. Vor allem aber habe es ihm "an Größe und Präsenz auf dem Eis gefehlt", so Jackson.

Nach dem desillusionierenden Playoff-Aus hatte sich im Verein die Erkenntnis durchgesetzt, dass es dem Team an Robustheit, Härte und Durchsetzungsvermögen fehle, mental und physisch. Der im Eishockey äußerst beliebte Spruch, man müsse dahin gehen, wo es weh tut, wurde beim EHC zwar regelmäßig bemüht, auf dem Eis aber war davon wenig zu erkennen. Speziell in den Playoffs, wenn das Spiel noch einmal ruppiger und körperlicher wird, waren die Münchner trotz der großzügigen Verstärkungen durch ihren Eigentümer Red Bull wieder nur zweite Sieger. Die Vorgabe bei der Zusammenstellung des Kaders für die Saison 2015/16 ließ sich unter dem Motto "Größer, stärker, härter" zusammenfassen - und wird, nach allem, was bisher zu erkennen ist, konsequent umgesetzt. Die Vertragsverlängerung mit Abwehrhüne Matt Smaby, der seine 1,96 Meter und 109 Kilogramm weiter für den EHC über das Eis wuchten wird, ist da nur ein Mosaiksteinchen.

Nicht jeder Zugang fügt sich freilich sofort in dieses Bild. Der 37-jährige Finne Toni Söderholm etwa bringt lediglich 1,86 Meter und 85 Kilogramm mit, dafür aber viel Erfahrung. Nationalspieler Frank Mauer, der von Meister Mannheim kommt, ist eher in der Abteilung Höchstgeschwindigkeit einzuordnen. Und der Kanadier Derek Mayer war zwar einst ein gefürchteter DEL-Verteidiger, kommt aber nur als Nachfolger für Co-Trainer Helmut de Raaf, der nach Schwenningen gegangen ist, vom eigenen Nachwuchsteam. "Don und ich kennen uns schon seit unserer gemeinsamen Berliner Zeit", erklärt der 48-Jährige. "In München werde ich eine ähnliche Rolle übernehmen. Mein Hauptaugenmerk liegt auf den jungen Spielern, darüber hinaus werde ich auch in den Bereichen Video-Coaching und Statistik arbeiten", sagt Mayer. Wie kein Zweiter aber verkörpert Pinizzotto die Sehnsucht des EHC nach Dominanz.

Die Maße des Kanadiers (1,85 Meter, 91 Kilogramm), der unter anderem für die Vancouver Canucks stürmte, sind an sich noch nicht beängstigend. Wie er seinen Körper einsetzt, dagegen schon. In acht Spielzeiten in der AHL, der zweiten Ebene im nordamerikanischen Profi-Eishockey unterhalb der NHL, kassierte der 31-Jährige viermal mehr als 100 Strafminuten. Die Liste seiner Faustkämpfe ist beachtlich. "Härte ist nur ein Teil meines Spiels", sagt Pinizzotto. "Ich bin aber auch ein Offensivspieler und habe gute Statistiken vorzuweisen." Und dazu einen deutschen Pass: Pinizzottos Mutter ist deutsche, sein Bruder Jason spielt seit zehn Jahren in Deutschland, vergangene Saison gewann er mit Bietigheim den Titel in der DEL2.

Pinizzotto will sich nicht als Rollenspieler abstempeln lassen. "Ich will in München ein Punktelieferant sein", betont er. In seinen Worten schwingt mit: Einer, der in der vergangenen Saison 18 NHL-Spiele für die Edmonton Oilers bestritten hat (zwei Tore, zwei Vorlagen), möchte in Deutschland als Scorer agieren. Die Harter-Hund-Rolle hat er für die beste Liga der Welt reserviert. "Ich soll einfach ich selbst sein", antwortet er auf die Frage, was die Verantwortlichen beim EHC von ihm erwarten. Er wisse, was er zu tun habe. Jackson verwies bei Pinizzottos Verpflichtung auf dessen "Vielzahl wichtiger Eigenschaften" und hob explizit seine Physis hervor.

Das dürfte auch auf Jerome Samson zutreffen. Der 27-jährige kanadische Stürmer bezeichnet sich selbst als "Arbeiter", bescheinigt sich "fighting spirit", also Kampfgeist, und sagt: "In den Ecken bin ich wirklich stark." Samson glaubt, dass er ein Führungsspieler sein kann. Genau das, einen Kämpfer mit Leaderqualitäten, kann der EHC gut gebrauchen.

In der vergangenen Saison hatten die Münchner zahlreiche technisch versierte Angreifer im Kader, die ihre Qualitäten meist vor, nicht hinter dem Tor oder gar in den Ecken - da, wo es wehtut - einzubringen versuchten. Samson gilt als Energiebündel. Er gebe "immer alles", sei "topfit" und wisse, "wie man scort", sagt Jackson. Samson dürfte die schnelle EHC-Reaktion auf die überraschende Vertragsauflösung mit David Meckler gewesen sein, der seine Karriere aufgrund einer Wirbelsäulenverletzung erst einmal unterbrechen muss.

Einen Kampf haben die Münchner allerdings bereits verloren: Verteidiger Jim Sharrow, zuletzt fünf Jahre in Berlin unter Vertrag und als Zugang beim EHC gehandelt, wird nicht nach München kommen. Der Sieger heißt, wieder einmal: Wolfsburg. Auch dort passen 1,88 Meter große und 90 Kilo schwere Spieler ins Konzept.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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