Eishockey:Konsequenz-Konsequenz

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Meister Frankfurt demonstriert den Tölzer Löwen, wie hart Fehler in der zweiten Liga bestraft werden. Beim Aufsteiger hinterlässt das 4:7 Interpretationsspielraum.

Von Johannes Schnitzler, Bad Tölz

Wo war eigentlich Paul Gardner? Eben noch hatte der 61-Jährige mit dem weißgrauen Fu-Manchu-Bart auf der Trainerbank verfolgt, wie seine Löwen aus Frankfurt den Tölzer Löwen die Heimpremiere in der DEL2 versauten. 7:4 besiegte der Meister den Aufsteiger, der sich nach acht Jahren aus der Drittklassigkeit emporgearbeitet hat. Nun standen alle bereit zur Pressekonferenz: Rick Boehm, der Trainer der Tölzer Löwen, die Journalisten - nur Gardner fehlte. "Hat dem Trainer jemand Bescheid gesagt?", fragte Boehm. Schließlich finden Pressekonferenzen in Bad Tölz neuerdings ohne Publikum in einem kahlen Kabuff direkt neben der Eisfläche statt - die Liga will eine Atmosphäre der Seriosität gewährleisten, ohne johlende Zurufe oder spontane Pöbeleien im VIP-Raum. Nur: Woher sollte Gardner wissen, wo dieser Raum zu finden ist?

Boehm machte sich also kurzerhand selbst auf die Suche. Nach kurzer Zeit kam er zurück, mit dem Frankfurter Sportdirektor Rich Chernomaz im Schlepptau, der zuallererst Gardner entschuldigte: "Paul hat Probleme mit den Augen."

Hatte Gardner sich die Augen wund gerieben über die Stärke dieses Liganeulings? Sich Tränen der Rührung ausgewischt ob der Leistung seines Teams? Weder noch. Nach der Pressekonferenz lief er an Boehm vorbei und präsentierte ihm auf der flachen Hand die Ursache für seine Unpässlichkeit: "Meine Kontaktlinsen."

Huch, geht das schnell hier: Die Tölzer Löwen Philipp Schlager (Zweiter von rechts) und Florian Strobl lernen von Meister Frankfurt, wie hoch das Tempo in der DEL2 ist. (Foto: Manfred Neubauer)

Auch wenn man es nicht durch Gardners Augen sah, war Folgendes passiert: Der Meister buchstabierte von Beginn an das Wort Konsequenz durch und offenbarte dem Neuling, was er noch zu lernen hat. "Frankfurt hat verdient gewonnen", sagte ECT-Trainer Boehm, "weil sie als Mannschaft etwas weniger Fehler gemacht und die Torchancen besser genutzt haben." Nach wenigen Sekunden waren die Tölzer bereits erstmals tief in die Frankfurter Zone vorgerückt, wurden prompt ausgekontert und lagen nach nur 1:34 Minuten 0:1 zurück. Torhüter Andreas Mechel hatte bei seinem Versuch zu klären den Puck genau auf den Schläger von Torschütze Wade MacLeod gewischt. Vier Minuten später leisteten sich die Tölzer wieder eine Ungenauigkeit im Aufbau, und Vladislav Filin traf zum 0:2. Jede Tölzer Unachtsamkeit beantworteten die Frankfurter mit einem Treffer. Das 1:3 und das 2:4 fielen noch im ersten Drittel, bei beiden Gegentoren saß jeweils ein Tölzer auf der Strafbank. "Die Gegentore sind zu leicht gefallen", sagte Boehm. "Vielleicht wollten wir zu viel. Vielleicht müssen wir uns etwas Geduld angewöhnen." In der Oberliga habe man manchen Lapsus noch ausbügeln können. "Aber in dieser Liga wird zu viel Risiko bestraft. Die können Eishockey spielen."

Dass sie ebenfalls mit der Scheibe umzugehen verstehen, zeigten die Gastgeber beim wunderschön über Michael Endraß und Julian Kornelli herausgespielten 1:2 durch Josef Frank (8./Überzahl) und beim 2:3 (11.) durch Kapitän Florian Strobl, der später mit Verdacht auf Rippenbruch ausschied. Ein wildes erstes Drittel endete 2:4.

"Wir haben vernünftig gespielt und uns genügend Torchancen erarbeitet", fand Boehm. Nur nutzten sie davon zu wenige. Und ließen selbst zu viele zu. "Wir haben zu viele individuelle Fehler gemacht", sagte Verteidiger André Lakos. "Das war nicht unbedingt ein schlechtes Spiel von uns, aber sicherlich auch kein gutes."

Frankfurt erhöhte im Mitteldrittel durch MacLeod (26.) und C.J. Stretch (33.), als Tölz mit einem Wechselfehler die Mitte entblößte, auf 2:6. Die Partie war damit entschieden. Das sahen auch die Fans des ECT unter den 2745 Zuschauern so, die sich längst mit den Anhängern der Frankfurter Löwen darauf verständigt hatten, dass man den SC Riessersee nicht mag, was in Tölz schon mal immer sehr gut ankommt. Vielleicht wird eine Fanfreundschaft daraus. Frankfurt schaltete danach in den Economy-Modus, erhöhte nach einem Konter in Unterzahl auf 2:7 (50.) und ließ es damit bewenden. Rich Chernomaz, einst als "Axt von Manitoba" gefürchtet, sprach dafür einen sanften Tadel aus: "Nach dem sechsten Tor haben wir zu viele Strafzeiten genommen und waren zu passiv."

Johannes Sedlmayr nutzte den nun vorhandenen Raum zu zwei Toren (53./59.), so dass sein Trainer am Ende "nicht ganz unzufrieden" war: "Wir haben nach dem 2:6 Charakter gezeigt und nicht aufgehört zu kämpfen", lobte Boehm. Zwar stehen seine Löwen nach dem 2:3 vom Freitag in Crimmitschau nach zwei Spielen mit null Punkten auf dem vorletzten Platz. Dennoch nehme er einige positive Aspekte mit in die Trainingswoche. Erstens: Strobls Verletzung stellte sich lediglich als Rippenprellung heraus. Der Kapitän fehlt am Freitag beim Derby in Garmisch und muss wohl vier Spiele pausieren. Aber "zum Glück ist nichts gebrochen", sagte Boehm. Zweitens: "Wir sind definitiv konkurrenzfähig! Crimmitschau war absolut schlagbar. Und mit etwas Glück bist du auch gegen Frankfurt dabei. Wir waren die bessere Mannschaft. Frankfurt hatte heute Massel." Boehms lapidares Fazit: "Wir müssen die vermeidbaren Fehler vermeiden."

So weit gingen in ihrer Interpretation nicht alle. "Dem würde ich eher widersprechen", sagte etwa André Lakos. "So nah waren wir nicht dran, wenn man sieben zu vier verliert." Mit der Erfahrung seiner 38 Jahre sezierte der ehemalige österreichische Nationalspieler das Ergebnis: "Frankfurt hat im letzten Drittel nicht mehr so viel machen müssen, weil wir das Spiel schon in den ersten beiden verloren haben." Sein Rat: "Wir müssen schnell aus unseren Fehlern lernen. Wir müssen besser werden, sonst gewinnt man in dieser Liga nicht." Klarer hätte es Paul Gardner auch mit Kontaktlinsen nicht sehen können.

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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