FC Bayern München:Innere Mondlandung

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Meister FC Bayern München besteht den Stresstest gegen Aufsteiger Crailsheim. Sportlich ist das 110:76 eher ein kleiner Schritt, für das angekratzte Selbstvertrauen aber ein großer Sprung.

Von Matthias Schmid, München

Bryce Taylor ist keiner dieser Basketballprofis aus den USA, die nach dem Spiel in so große Kleider schlüpfen, dass sich darin eine ganze Familie verstecken könnte. Er trägt seine Jeans und seinen Pullover eng anliegend. Auch sonst neigt der US-Amerikaner nicht zu Großspurigkeit, sondern schätzt die sportliche Lage meist sachlich und seriös sein. Während sein Mannschaftskollege vom FC Bayern München, Yassin Idbihi, am Samstagabend nach Spielende noch immer in Sportklamotten auf dem Parkett herumtollte und seinem Sohn Bälle zupasste, stand Taylor längst geduscht und umgezogen abseits des Spielfelds und gab Interviews. "Es war wichtig für unser Selbstvertrauen, dass wir heute so klar gewonnen haben", sagte der Flügelspieler des FC Bayern.

Dass ein Sieg gegen den Aufsteiger Crailsheim Merlins einmal eine tiefere Bedeutung für den deutschen Meister erlangen würde, hätte vor ein paar Wochen niemand geglaubt. Doch der 110:76-Erfolg öffnet ein wenig den Blick in die Gefühlswelten der Münchner Basketballer. Auch die Mitglieder des deutschen Meisters sind nur normale Sportler, die ihr Selbstvertrauen über Erfolge vermehren. Nach zwei überraschenden Niederlagen - zu Hause gegen Braunschweig und in Göttingen - waren die hochdekorierten und in der Euroleague erprobten Bayern doch verunsicherter, als sie anfangs zugeben wollten. Nach den Niederlagen im Eurocup gegen Valencia, sagte Taylor, "hatten wir vor allem große Probleme in der Offensive beim Punkten". Der Kapitän selbst offenbarte eine unerklärliche Abschlussschwäche, er verwarf reihenweise Bälle, die sogar Idbihis Sohn verwandelt hätte. In den beiden Spielen gegen Valencia kam er auf mickrige vier Punkte, in Spanien traf er sogar überhaupt nicht. "Ich habe sehr mit mir in der Offensive gekämpft", gibt der 28-Jährige zu: "Wir alle waren zuletzt zu hektisch und haben den Ball schlecht laufen lassen." Eine Erklärung, die ihn persönlich hätte zufriedenstellen können, hatte er aber auch nicht finden können. "Ich habe im Training deshalb versucht, viele einfache Körbe zu machen und noch mehr als sonst zu werfen, um meinen Rhythmus zurückzubekommen", sagte Taylor.

Wie der Beginn gegen Crailsheim zeigte, scheint die Plackerei erste positive Effekte zu zeitigen. Der Kalifornier traf gleich seinen ersten Drei-Punkte-Versuch zum 9:5. Sein Trainer Svetislav Pesic honorierte den Wurf mit aufmunterndem Klatschen. Es kommt selten vor, dass der Serbe einzelne Aktionen seiner Spieler mit Applaus begleitet, aber nicht nur bei seinem Kapitän hatte er gespürt, dass er eine Extraanerkennung nötig hatte, auch John Bryant spendete er Beifall. "Es war ein Spiel, das wir alle gebraucht haben", bekannte Pesic hinterher. Der 65-Jährige meinte damit weniger das Resultat als vielmehr das Gefühl der Spieler. "Alle haben mehr oder weniger Spielzeit bekommen, in der Offensive sehr viel investiert und so ihr Selbstvertrauen entwickeln können."

Taylor verwandelte am Ende drei seiner sechs Dreierversuche, mit 13 Punkten war er zweitbester Werfer seines Teams hinter Bryant (19 Zähler). "Ich bin wieder bei 100 Prozent", sagte der US-Amerikaner. Eine komplizierte Hüftverletzung mit Operation hatte ihn zu Beginn der Saison mehre Monate vom Sport befreit. Es hat anschließend lange gedauert, bis er wieder die prägende Figur im Spiel war, die in der vergangenen Saison großen Anteil hatte, dass München den Titel gewann. Er lebt von seiner Athletik, von seiner gewaltigen Sprungkraft. Gegen Crailsheim zeigte er eine kleine Kostprobe, er flog einmal über einen Gegenspieler hinweg und stopfte per Dunk den Ball aus der Luft in den Korb, die Zuschauer schrien vor Begeisterung. "Ich habe aggressiv gespielt, aber wir alle haben das getan", hob Taylor hervor. In der Tat war es verblüffend mitanzusehen, wie die Bayern die Bretter dominierten. 52 Abpraller vom Brett, die so wichtigen Rebounds, sammelten sie im gesamten Spiel. "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir das jemals geschafft haben", sagte Pesic.

Aber er weiß genauso wie sein Kapitän, dass der abgeschlagene Tabellenletzte nicht für einen seriösen Stresstest taugt. Beim Aufsteiger lassen sich mit viel Wohlwollen vielleicht fünf Spieler finden, die Erstligaansprüchen genügen. Die großen Spiele kommen erst noch, am Ostersonntag reisen die Münchner zum Tabellenvierten Ulm, bevor nach dem Pokalwochenende Tabellenführer Bamberg in der bayerischen Hauptstadt gastiert. Es stehen entscheidende Wochen an. Den ersten oder zweiten Platz in der Tabelle nach der Vorrunde, der das Heimrecht bis zum Halbfinale in den Playoffs garantiert, schreibt Taylor noch nicht ab. "Das ist nach wie vor möglich", bekannte der Flügelspieler.

Er will weniger auf die Gegner schauen, fügte Taylor hinzu, "wir müssen unser eigenes Spiel verbessern." Dann lächelte er und trottete von dannen. Yassin Idbihi warf immer noch seinem Sohn die Bälle zu.

© SZ vom 30.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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