Basketball:Dosengulasch für Dirk Nowitzki

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Ungewöhnliche Basketball-Wohngemeinschaft: Der Pakistaner Salman Manzur und der Engländer Liam Carpenter wollen sich beim MTSV Schwabing auf eine Profikarriere vorbereiten

Von Matthias Schmid, München

Ohne Dosengulasch geht es natürlich nicht. Die Fertigmischung einer feinen exotischen Karotten-Curry-Kokossuppe, wie der Packung zu entnehmen ist, liegt auch noch auf der Ablage herum. Der letzte Einkauf ist noch nicht vollständig in den Schränken verstaut. Es wäre auch zu viel verlangt von 18 Jahre alten Burschen, die den Haushalt völlig allein und ohne Hilfe der Eltern führen, dass sie jeden Abend ein Drei-Gänge-Menü zaubern oder täglich ein anderes saisonales Gemüse klein schnippeln. "Wir schieben schon öfters eine Fertigpizza in den Ofen", sagt Salman Manzur mit einem Lächeln. Der gebürtige Pakistaner teilt sich gemeinsam mit zwei Teamkollegen eine Wohnung an der Schwabinger Ursulastraße.

Es sieht ordentlich aus in der Küche, sie ist aufgeräumt, ein großer Topf mit Pastaresten steht auf dem Herd, ein paar Becher, etwas Besteck und einzelne Teller warten in der Spüle darauf, noch von den Essensresten befreit zu werden. Der Putzplan scheint aber zu funktionieren. "Ja, fast alle halten sich daran", sagt Manzur.

Noch mehr als er selbst, wundert sich seine Mutter darüber, dass ihr Sohn noch nicht verhungert ist, seit er das exklusive Hotel Mama in Nürnberg verlassen hat. Sie wollte ihn im Alter von 17 Jahren nicht alleine nach München gehen lassen, wo er sich zum Basketballprofi ausbilden lässt. "Sie glaubte, dass ich nicht allein für mich sorgen kann", erzählt er. Ein Jahr lebt er nun in der WG mit wechselnden Mitbewohnern. "Anfangs hatte ich starkes Heimweh", bekennt Manzur. Aber inzwischen "bin ich viel selbständiger geworden".

Seit Sommer gehört auch Liam Carpenter zum festen Ensemble der Wohngemeinschaft, die der Regionalligist MTSV Schwabing seinen begabten, auswärtigen Spielern zur Verfügung stellt. Carpenter kam aus dem englischen Reading nach München, er absolvierte dort das Henley-College. Ihm ist ein eigenständiges Leben nicht fremd. Neu ist aber, dass er im Ausland lebt. "In den ersten Wochen war das eine große Umstellung für mich", sagt Carpenter. Doch das Zusammenleben in der WG hat vieles vereinfacht. Mittlerweile fühlt er sich wohl. "Alles ist ganz großartig", sagt er. Die Wohnung, die Umgebung mit dem nahe gelegenen Englischen Garten und natürlich die Mannschaft. Und er müsse nicht einmal Deutsch lernen, fügt er hinzu, "weil alle Englisch sprechen".

Während sich Carpenter ein Zimmer teilen muss, kommt Salman Manzur in den Genuss eines eigenen. Doch meistens sitzen sie ohnehin abends gemeinsam in einem der Zimmer und spielen auf der Playstation - am liebsten Basketball. Sie fliehen dann in eine Liga, die für sie wohl unerreichbar bleiben wird: die nordamerikanische Profiliga NBA, die Traumfabrik ihres Sports, der große Sehnsuchtsort. Jeder Basketballer träumt davon, dort zu spielen, für die wenigsten wird das Realität. Basketball bestimmt natürlich auch den Alltag von Carpenter und Manzur. Bis auf Mittwoch ist an jedem Abend Training, an den Wochenenden finden die Spiele statt. Beide gehören zu den Begabten in Schwabing, die sowohl in der U19-Bundesliga als auch bei den Männern in der 1. Regionalliga auflaufen. "Das Niveau ist viel höher als in England", erzählt Carpenter, es werde mehr Wert auf technisch-taktische Elemente gelegt. Deshalb hat er das Angebot auch angenommen, nach München zu wechseln. Er kann hier sogar zweimal am Tag trainieren, er muss nur die Treppen hinabgehen, einmal ums Haus, und schon steht er in der kleinen Halle des MTSV Schwabing samt Korbanlage und Kraftraum. "Perfekte Bedingungen", sagt er. Carpenter will unbedingt Profi werden. Bisher bekommt er nur ein Taschengeld für Einkäufe, weil er die U12 des Klubs trainiert. Er sieht Schwabing als Zwischenstation auf dem Weg in die USA, wo er im Sommer studieren und spielen will. Mehrere Universitäten hätten Interesse: "Ich muss ihnen noch ein wenig Filmmaterial von mir schicken."

Zwei, die sich verstehen und die selbe große Leidenschaft haben: Liam Carpenter und Salman Manzur leben, kochen und spielen gemeinsam. (Foto: Claus Schunk)

Der Engländer ist Spielmacher, schnell, athletisch, mit gutem Auge und feinem Wurf. Für die NBA ist er vielleicht ein wenig zu klein, er misst nur 1,83 Meter. Aber womöglich wird er in nächster Zeit gar nicht in die Vereinigten Staaten reisen. Im Januar darf er beim Bundesligisten Crailsheim Merlins ein paar Tage vorspielen. Der Erstligaaufsteiger ist Schwabings Kooperationspartner und lädt immer wieder talentierte Nachwuchsspieler zum Probetraining ein. "Das ist eine Riesenchance für mich", sagt Carpenter, "vielleicht kann ich so auch in Deutschland bleiben."

Salman Manzur muss sich mit einer Einladung aus Crailsheim noch etwas gedulden. Der 2,05 Meter große Spieler feierte am 21. Dezember seinen 18. Geburtstag. Er muss zunächst auch noch die Schule beenden. Im Frühjahr stehen seine Prüfungen zum Fachabitur an. Seine schulische Karriere findet er selbst erstaunlich. Mit vier Jahren war er von Pakistan nach Deutschland gekommen, alles war anders, er konnte die Sprache nicht, er hat deshalb zunächst die Hauptschule besucht, anschließend die Mittlere Reife erlangt, nun folgt das Abitur. "Der Sport hat mich viel Disziplin gelehrt", sagt Manzur. Der Center will deshalb auch im Basketball nichts überstürzen. Er könnte schon jetzt irgendwo in der drittklassigen ProB auflaufen. "Aber ich will spielen und nicht auf der Bank versauern", sagt er.

Er profitiert vielleicht am meisten von der Wohngemeinschaft. Das Doppelleben als Schüler und Basketballer falle ihm nicht immer leicht. Aber wenn er mittags oder abends nach Hause kommt, ist er nicht allein. Er kommt erst gar nicht ins Grübeln. "Ich kann über alles mit meinen Mitbewohnern reden", sagt Manzur, "auch über meine Probleme." Dieses besondere Miteinander hebt auch Liam Carpenter hervor. "Wir sind alle füreinander da", sagt er.

Nach der Schule will Manzur im Klub ein Freiwilliges Soziales Jahr dranhängen und dann an seinen Defiziten als Basketballer arbeiten: Er muss fitter werden, athletischer. Schließlich will er später auch mal als Berufsbasketballer sein Geld verdienen. Wie es sich anfühlt, wie Dirk Nowitzki zu reisen, hat er schon hautnah erleben dürfen. Er ist 2010 als 13-Jähriger mit dem NBA-Champion gemeinsam im Bus gesessen, beim All Star Game in Dallas. "Dirk hat alles gezahlt", erzählt Manzur. Bei einem sozialen Basketball-Projekt in Nürnberg hatten sie sich kennen gelernt. Er ist noch immer ziemlich stolz auf die Begegnung, weil sich der Würzburger an ihn auch noch ein Jahr später erinnern konnte und ihn fragte, ob er jetzt einen Dunk könne. "Der ist so ein normaler Typ", sagt Salman Manzur. In die WG kann er ihn allerdings nicht einladen. "Ich habe mich nicht getraut, nach seiner E-Mail-Adresse zu fragen", gesteht er. Liam Carpenter hätte bestimmt nichts dagegen, Nowitzki in der Ursulastraße zu begrüßen, auch wenn er für LeBron James schwärmt und mit Vorliebe T-Shirts mit dessen Konterfei trägt.

Verhungern müsste Nowitzki in jedem Fall nicht. Die Mama von Salman Manzur kommt regelmäßig vorbei und füllt den Kühlschrank mit pakistanischen Köstlichkeiten. So ganz traut sie den Kochkünsten ihres Sohnes nicht. Das Dosengulasch versteckt er vor ihr.

© SZ vom 31.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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