Spannend und entspannend:Der Schlendrian in seiner schönsten Form

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Livemusik und Zuckerwatte, Gewinnspiele und Bier aus Plastikbechern: Das siebte Isarinselfest fasziniert wieder alle, von Kindern bis zu Senioren - warum eigentlich? Ein Rundgang

Von Philipp Crone

Feuer schlägt Wasser, ganz klar", sagt Dirk Bickert und schaut rüber zu dem mit einer Kordel abgesperrten Bereich, wo es brennt. Der 52-jährige Feuerwehr-Brandinspektor steht neben einer Taucherausrüstung, es ist 11.03 Uhr, und er wartet auf die ersten Kinder, die sich über den Kabelsteg in Richtung Praterinsel aufmachen. Dort stehen Bickert und seine Kollegen, um den jungen Münchnern zu zeigen, was die Feuerwehr so alles macht. Nichts auf dem Fest ist faszinierender für Kinder, als selbst einmal Feuerwehrmann zu spielen. Nicht Zuckerwatte, Livemusik, die Kletterwand oder die Gewinnspiele. Gut, vielleicht kommt die Gesichtsmalstation noch ähnlich gut an, aber vor allem bei den Mädchen. Bei der siebten Auflage des Isarinselfests, bei dem bis Sonntagvormittag 70 000 Besucher kamen, ist wieder das Phänomen der vergangenen Jahre zu beobachten: Ein paar Stände rund um den Fluss scheinen alle Besucher in ihren Bann zu ziehen. Warum? Was ist die Faszination dieses Festes? Ein Rundgang.

"Nein, gegen Feuer kommen wir nicht an", sagt Bicker und lacht. Dabei ist Wasser genauso gefährlich. Der Mann, Körperhaltung wie eine Notrufsäule, kennt die Fragen der Kinder an die Rettungstaucher. Was wiegt die Ausrüstung? 25 Kilo, dazu kommt der Neoprenanzug. Wie lange können sie mit der Sauerstoffflasche unter Wasser bleiben? 30 Minuten. Wie läuft so ein Einsatz ab an der Isar? "Eine Einheit sind normalerweise vier Mann: Ein Fahrer, der das Fahrzeug steuert, während sich bei der Fahrt vom Ostbahnhof oder von Pasing, wo wir stationiert sind, die anderen umziehen." Auf das Boot gehen sie dann zu dritt, einer taucht, einer sichert, dazu der Gruppenführer. "Oft ist auch noch ein Hubschrauber im Einsatz, der uns über Funk Hinweise gibt." Kinderfrage: Hat auch der Taucher Funkkontakt? Ja. So, wie die Isar am Samstagmorgen träge und armeegrün vor sich hinfließt, wirkt sie nicht besonders gefährlich. Aber das täuscht eben.

Die ersten Kinder kommen zur Feuerwehr, sie wollen Feuer löschen, natürlich. Man bekommt da auch zur Belohnung von den Männern in Dunkelblau einen Plastikhelm geschenkt. Benedikt Biedermann steht 100 Meter weiter nördlich und trägt neongelb. Er ist einer von 150 Ordnern, die sich wie die Feuerwehr ebenfalls über Funk verständigen, allerdings keine zu Rettenden durchgeben, sondern eher ein paar Sprüche untereinander. Biedermann, der 19-jährige BWL-Student, muss genervten Autofahrern, die von der Sternstraße kommen, an der abgesperrten Kreuzung Maximilianstraße erklären, dass sie nur rechts oder links fahren können. "Manche sind ein bisschen verärgert, aber es hilft ja nichts." Vielleicht ist das eines der Erfolgsgeheimnisse des Isarinselfests: An einem der Orte, die das ganze Jahr über für Eile, Ungeduld und Hektik stehen, wo gestresste Berufspendler entlangdüsen wollen, dort ist auf einmal Ruhe und Langsamkeit, fast Stillstand. Die Ampeln hinter Benedikt Biedermann sind ausgeschaltet. Blinde Ampel-Masten, allein das ist schon ein wunderbarer Anblick.

Biedermann hält eine kleine Gruppe an. In diesem Jahr sind die Ordner auch angewiesen, Rucksäcke zu prüfen. Die meisten Besucher haben aber nichts dabei, außer Kinderwagen und aufgeregt herumhüpfende Kinder. Die wollen beim Eisstand ein Eis, beim Knödelstand einen Knödel, beim Bierstand kein Bier, beim Zuckerwattestand eine Zuckerwatte und vor allem erst einmal einen Luftballon.

Am Nachmittag, um 16.09 Uhr, ist die Steinsdorfstraße voll, an der "Kinderfundstelle" neben der Lukaskirche wurde noch nichts abgegeben. Schlangen bilden sich vor den Ständen, wo es kostenlos Luftballons, Klettern, Gewinnspiel oder Papierflieger-Zielwerfen gibt. Alle drei Meter ist etwas zu entdecken, optisch und akustisch. Die dreijährige Elise hat den Schminktisch entdeckt und lässt sich in einen blauen Schmetterling verwandeln, sagt nach dem Blick in den Spiegel ganz Topmodel-routiniert: "Noch Glitzer!" Den bunten natürlich.

Im Laufe des Tages geht den Kindern allmählich die Energie aus, Schmetterlinge und Katzen hüpfen anfangs noch über die Stege und rennen von Bühne zu Bühne, vom blueselnden Gitarren-Solist über die Amy-haft raunende Klavierspielerin zur Reggae-Kombo. Am Nachmittag sitzen sie im Gras, während die Väter nun mit dem dritten Plastikbecher-Bier langsam aufdrehen, sich auf der Wiese der Isarinsel vor der Kulturbühne aus den Liegestühlen erheben und den Frauen beim Tanzen Konkurrenz machen.

Die Kinder führen Luftballons spazieren, am Vater-Rhein-Brunnen spielt die Bress Bäänd eine Bläserversion von "99 Luftballons". Angestrengt schauen da nur die Jogger, die sich durch das Kirmeschaos durchschlängeln müssen. Ein Seniorenpaar geht ganz langsam von Stand zu Stand, es teilt sich ein Paar türkise Krücken, sie eine, er eine, als Gehhilfe. Niemand hat es eilig, man hat das Gefühl, dass die träge dahinziehende Isar den Bewohnern an ihren Ufern die Hektik der Woche langsam entzieht, mit freundlicher Mithilfe natürlich von jeder Menge Zuckerwatte, Bier, Bratwürsten oder Cocktails. Es herrscht der spätsommerlich Münchnerische Schlendrian in seiner schönsten Form.

Und so ist es für die meisten der mehr als 70 000 Besucher an diesem Tag irgendwann nicht mehr entscheidend, welcher denn nun der spannendste Ort am Fluss ist. Es macht sich vielmehr das angenehme Gefühl breit, dass man sich am entspannendsten Ort der Stadt befindet.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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