Restaurants:Amerikanisches Soulfood für gestresste Münchner

Restaurants: Amerika, wie es im Kochbuch steht: Im Little Wolf serviert Matthias Götz.

Amerika, wie es im Kochbuch steht: Im Little Wolf serviert Matthias Götz.

(Foto: Robert Haas)

Oft kommt Unappetitliches im Namen der US-Küche auf den Teller. Doch es gibt Läden wie das Little Wolf, wo man auf mehr setzt als nur auf einen billigen Effekt.

Von Jonathan Fischer

Wenn Donald Trump den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf zuletzt zu einer Schlacht der billigen Effekte degradierte, so wird der heimischen Küche oft das selbe durchwachsene Niveau unterstellt: schnell zubereitet, schnell verputzt. Futter für die niederen Instinkte des Menschen eben. Der schlechte Ruf der traditionellen afroamerikanischen Küche liegt aber vor allem an ihren Fastfood-Derivaten: Öltriefende Chicken Wings, schwarzgebrutzelte Spareribs oder dieser süße Kraut-Mayonnaise-Salat namens Coleslaw sorgen weltweit für fettige Servietten und sind längst auch in Münchner Restaurants und Biergärten eingezogen.

Ursprünglich aber kommen diese Gerichte aus einer Arme-Leute-Küche, in der schwarze Amerikaner lernten, zu veredeln, was andere wegwerfen. In den Sechzigerjahren taufte man die Südstaaten-typische Kost auf den Namen "Soulfood" - immerhin ging es, wie in der Soulmusik, um Gemeinschaftssinn, Zugehörigkeit und den Stolz auf die eigene Geschichte. Nachzuhören in vielen Blues-, Funk- und auch Hip-Hop-Songs. Wo aber kann man probieren, wovon afroamerikanische Musiker so sehnsuchtsvoll singen? Das war bisher nur mit einem Transatlantikflug möglich - oder mit jeder Menge Insiderwissen.

Eines der ältesten und besten Barbecue-Grills der Stadt findet sich in einem unwirtlichen Neubau-Gürtel an der Grillparzerstraße: Das Rusticana war - so behaupten Alteingesessene - das erste Restaurant, das Ende der Siebzigerjahre ordentlich marinierte Spareribs in unserer Stadt kredenzte. Angeblich hatte der aus New Orleans stammende Freund der Wirtin damals die Barbecue-Kultur mitgebracht. Urig ist es auch nach mehreren Wirtewechseln geblieben. Bauernstuben-Dekor, kaputte Sitzbänke und viel zu enge Tische wirken zwar alles andere als hip. Trotzdem ist der Laden mit Stammgästen gefüllt. Fleisch bedeutet hier alles. Die auf Holzbrettern geschichteten Grillrippchen und Riesen-Steaks machen die Beilagen wie Folienkartoffeln und Mais fast überflüssig. Soulfood für Menschen, die körperlich hart arbeiten.

Wo aber gehen die Feinschmecker und Fettverächter hin? Immer wieder tauchten in München Lokale auf, die ein "New Orleans" im Namen trugen - und mit mehr oder minder exotischen Spezialitäten wie Gumbo oder Jambalaya lockten. Dabei blieben die Südstaaten oft ein bloßes Image: chic, aber schal. Dass sich etwa das Mr. Mumble's in der Klenzestraße "New-Orleans-Bar" nennt, mag eher der Barmusik und dem exotischen Ambiente geschuldet sein als der mangels Nachfrage längst wieder eingestellten Südstaaten-Küche. Andere Münchner New-Orleans-Restaurants überlebten nicht allzu lange.

Die guten Amerikaner haben ihre Stammgäste

Erst letztes Jahr schloss das Big Easy in der Frundsbergstraße. Vorausgegangen war vernichtende Kritik vieler Gäste: ein Jazz-Brunch ohne Jazz und zerkochtes "Kantinenessen" gehörten zu den häufigsten Beschwerden auf einschlägigen Gastro-Portalen. Und wenn in München auch noch waschecht amerikanisierte Blues- und Country-Lokale wie der Rattlesnake-Saloon in Feldmoching existieren, kommt hier wohl niemand wegen der Burger oder Burritos her - das Essen ist hier vor allem nahrhafte Grundlage, um einen whiskey-seligen Abend unter mitsingenden Freizeit-Cowboys und Harley-Fahrern zu überstehen.

Nun aber verlässt das Little Wolf in der Pestalozzistraße die Trampelpfade des Süßen und Fettigen. Hier gilt Soulfood noch als Küchenkunst. Was das bedeutet? Ein Buchenholz-befeuerter Räucherofen, selbstgemachte Soßen und vor allem lange, arbeitsintensive Zubereitung. "Unter acht Stunden Garzeit", sagt Restaurant-Chefin Corinna Götz, "esse ich meine Rippchen nicht". Gerade in den Biergärten werde die Zubereitung von Geräuchertem auf einen Bruchteil der Zeit verkürzt. "Wir aber lieben traditionelle, also altmodische amerikanische Esskultur. Deswegen kam es für uns nicht in Frage, noch einen Grill oder einen Burgerladen, wie es schon Tausende gibt, zu eröffnen." Und überhaupt: Das Räuchern hätten bereits die Indianer und Inuit praktiziert - "es ist die ursprünglichste Art zu kochen".

So bereiteten schon die Ureinwohner ihre Speisen zu

Wer den schmalen Raum betritt, erkennt den Grundriss eines amerikanisches Diners: Kleine Sitzabteile mit Holzbänken. Eine ausladende Theke mit Bar und Küche in der Mitte. Und als Herzstück der mannshohe Räucherofen, wo man den großen Fleischbrocken beim Garen zuschauen kann. Allerdings wirkt die Einrichtung im Little Wolf etwas eleganter als in den Hollywood-typischen Diner-Kaschemmen: Kein Plastik, keine Instant-Würzer, keine Deko auf dem Teller. Dafür schmückt den Laden ein Patchwork gerahmter Schwarz-Weiß-Fotos von Bluesmusikern, indianischen Ringern und schrägen Hillbilly-Typen.

Restaurants: Authentisch amerikanisch ist das Essen im Little Wolf - sowohl die Präsentation als auch der Geschmack.

Authentisch amerikanisch ist das Essen im Little Wolf - sowohl die Präsentation als auch der Geschmack.

(Foto: Robert Haas)

Little Wolf bezieht sich sowohl auf einen indianischen Häuptling als auch einen Wrestler aus dem mittleren Westen. Corinna Götz zeigt entsprechende Fotos im Waschraum, während raue Bluesgesänge durch das Lokal scheppern. Noch aus einem anderen Grund lag der Name auf der Hand. Gleich gegenüber unterhält Corinna Götz zusammen mit ihrem Mann Wolfgang und Schwager Matthias einen weiteren gut gehenden Familienbetrieb. Die Bar Zum Wolf. "Wir haben in der Bar ab und zu Freunde kochen lassen. Aber dort fehlt der Platz. Nun können wir endlich alle Aspekte schwarzer Kultur zusammen bringen. Die Blues-Musik, den guten Whiskey - und erdiges, bodenständiges Essen".

Das liegt nicht zuletzt an Sven Christ. Der DJ, Journalist und Autor hatte mit "Soulfood - Fat & Yummy" das erste deutschsprachige Kochbuch der Südstaatenküche im Trikont-Verlag veröffentlicht und dafür die besten Rezepte afroamerikanischer Rapper-Freunde und ihrer Mütter gesammelt.

Das Soulfood hat einen schweren Stand

"Leider", sagt Christ, "hat diese Küche in Zeiten der Fitness einen schweren Stand. Zu viel Zucker, zu viel Fett, zu viel Cholesterin". Dass Seelennahrung nicht gleich Kalorienbombe ist, gehört seit jeher zu Christs ureigener Soulfood-Botschaft. "Ich habe zusammen mit den Köchen des Little Wolf das Smoken, also das Fleisch-Räuchern, entwickelt", sagt der Soulfood-Experte und schneidet eine Scheibe vom Brisket ab, einem trocken mariniertem und sechs Stunden lang bei niedriger Temperatur geräuchertem Kalbsbrustfilet, das zu den Spezialitäten in dem Restaurant zählt.

Restaurants: "Coffee and Cigarettes" sind nicht nur in den USA eine beliebte Mischung.

"Coffee and Cigarettes" sind nicht nur in den USA eine beliebte Mischung.

(Foto: Robert Haas)

Christ untersucht sein Fleisch mit der Andacht eines Sommeliers bei der Weinprobe: "Dieser schmale rosa Rauchring hier unter der schwarzen Kruste verrät, wie lange das Fleisch im Rauch war". Das indirekte Garen in der Rauchkammer sei nicht nur schonender und halte das Fleisch saftiger als im direkten Grillfeuer. Es sorge auch für den unvergleichlich zarten Barbecue-Geschmack. Da darf natürlich auch die Soße kein Ketchup-Verschnitt aus dem Supermarkt sein. Vielmehr mischt sie Chefköchin Sarah Strobl nach geheimem Rezept selbst an: Verraten wird lediglich, dass dabei verschiedene Chili-Sorten, Äpfel und bisweilen auch verkochter Whiskey zum Einsatz kommen.

Die Konkurrenz in punkto anspruchsvollem Südstaaten-Essen ist in München dünn gesät. Rippchen-Fans empfehlen noch das Red Hot in der Amalienpassage. Der Laden nennt sich selbst eine New- York-Bar im Stil der Dreißigerjahre, bestätigt aber nolens volens eine alte Südstaatenregel: Eine gute Barbecue-Soße sticht jede Inneneinrichtung aus. Was hier an Atmosphäre fehlt, das machen saftige Ribs und fünf Dutzend Biersorten wett. Andere pilgern ins Ruff's Burger in der Occamstraße. Ein Burgerladen, ausgerechnet! Doch das von drei Niederbayern mit drei Münchner Filialen ausgebaute Restaurant bietet selbst für den schmalen Geldbeutel allerhand Südstaaten-Schmankerl: Feinste "Baby Back Spareribs" vom Bio-Bauernhof, geräuchertes und gegrilltes "BBQ Chicken" und - last not least - der angenehm Mayonnaise-freie Coleslaw.

Ein Gaumen-Schmeichler ist der "Pastrami-Burger" für sieben Euro: Im selbstgemachten Brot steckt neben dem Fleischbrätling eine gute Portion zartes Pökelfleisch. Da möchte man gerne vergleichen: Bietet doch das viel gerühmte Occam Deli gleich um die Ecke ein Pastrami-Sandwich. Ob es wirklich das beste der Stadt ist? Zartrauchiges Fleisch wird da mit wenig Soße in gegrilltem Graubrot serviert. In Kombination mit der hausgemachten Ingwer- oder Beerenlimonade ein magenstärkender Imbiss. Man sollte hier aber unbedingt langsam essen. Beim happigen Preis von fast 16 Euro für das Pastrami-Sandwich kommt ein Nachschlag kaum in Frage.

Was das Little Wolf von all diesen Läden unterscheidet, ist nicht allein die Speisekarte - Rippchen und Pastrami-Graubrot-Sandwich gehören auch hier dazu. Sondern das Gesamtkonzept. Little Wolf-Chefköchin Strobl experimentiert ständig. Und kreiert so immer wieder bayerische Soulfood-Originale: "Anfangs haben wir natürlich die Rezepte aus Svens Buch nachgekocht. Aber inzwischen spiele ich mit neuen Zubereitungsweisen". Das schmeckt man nicht nur beim saftigen, fast vom Knochen fallenden Sparerib-Fleisch oder dem ebenso zart geräucherten Schweinebauch. Sondern auch bei den Beilagen, die fast ohne Zucker und Fett auskommen.

Eine schmale Speisekarte mit guten Überraschungen

Die klassischen Greens etwa haben hier dank Grünkohl mit Erdnussbutter eine herb-nussige Note. Cornbread, dieses typische krümelige Maisgebäck, schmeckt im Little Wolf eher nach Brot als Kuchen. Und auch sonst überrascht die bewusst schmal gehaltene Speisekarte. Alle paar Wochen findet sich etwas Neues in dem halben Dutzend Hauptgerichten. Der sämige vegetarische Jambalaya-Eintopf mit Tomatenreis, geräuchertem Gemüse und Blauschimmelkäse würde wohl auch schwarze Omas in Louisiana zum Schwärmen bringen.

Danach sollte man unbedingt den Pecan Pie, also Südstaaten-typische Nusstorte probieren. Oder sich von Barchef Matthias Götz die Rezepte seiner selbstgemachten Limonaden erklären lassen. Etwa das für den Pfirsich-Eistee: "Ich koche Earl Grey mit Zitronenschalen auf, lasse ihn sehr lange ziehen, bevor ich ihn mit Zuckersirup, frisch gepresstem Zitronensaft, zerschnittenen Zitronen mische und auf Eiswürfeln abschrecke. Am Ende rühre ich noch Pfirsichmark aus frischen Früchten ein".

Die Leute sollen reden - nicht nur über das Essen

Wir beschränken uns hier auf die Kurzversion. Denn es geht um mehr. Viel mehr. Wenn die Gäste anfangen, über die Rezepte zu reden, Zutaten zu erraten und den Nachbarn nach den subtilen Raucharomen - Kirsch- oder Buchenholz? - des Filets zu befragen, dann hat Corinna Götz ihr Ziel erreicht: die Leute miteinander ins Gespräch zu bringen. "Ich wünsche mir einen Ort, der niemanden ausschließt", sagt die Little-Wolf-Chefin. "Kommen, Palavern, Essen, Gehen: Das bedeutet für mich Diner-Kultur". Tatsächlich kann ein Besuch in dem Restaurant selbst Kochsendungs-resistente und kulinarisch kaum alphabetisierte Zeitgenossen dazu bringen, ihrer Umgebung tage- bis wochenlang von Rezepten und Zutaten vorzuschwärmen.

"Die Nachhaltigkeit von "Soulfood", sagt Sven Christ, "spürst du nicht nur am Gaumen. Dieses Essen schweißt die Menschen zusammen. Denn was ist Südstaaten-Küche schon anderes als eine große Geschichtensammlung?"

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