Sendling:Im Ensemble wertvoll

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Das Landesamt für Denkmalpflege will die Großmarkthalle samt zugehörigen Gebäuden als Ganzes unter Schutz stellen. Die Sendlinger sind entzückt, die Stadt muss sich noch positionieren

Von Birgit Lotze, Sendling

Die Großmarkthalle und die ihr zugeordnete Bebauung sollen unter Ensembleschutz gestellt werden. Ein entsprechendes Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege liegt vor, die Stadt hat bis zur zweiten Februarhälfte Zeit, sich dazu zu äußern. Der Denkmalschutz soll nicht für das gesamte Areal, aber für alle historischen Gebäude auf dem Sendlinger Großmarktgelände gelten. Auch für die, die nach dem Zweiten Weltkrieg rasch wieder aufgebaut worden sind und einzeln nicht denkmalschutzwürdig sind: die Hallen 2, 3 und 4 sowie die Sortieranlage. Alle Mitglieder der zuständigen Arbeitsgruppe folgten der Empfehlung von Oberkonservator Burkhard Körner.

Körner argumentiert, dass der Bereich der Halle mit der Umgebung "auf Grund der funktionalen Zusammengehörigkeit" ein stadtgeschichtlich bedeutsames Ensemble sei. Die städtebauliche Wirkung sei auch nach dem Wiederaufbau beibehalten worden. Die Anlage sei auch historisch von Bedeutung im Sinne der Denkmalschutzgesetze: Die Versorgung der Einwohner mit Obst und Gemüse sei entscheidend für die Großstadtbildung gewesen.

Die Auswirkungen des Ensembleschutzes auf das Areal, für Sendling und für die Großmarkthallen sind noch nicht absehbar. Das könne das Kommunalreferat, das für die Markthallen zuständig ist, derzeit nicht abschätzen, sagte eine Referatssprecherin. Letztlich werde aber auch ein zukünftiger Investor diese Rahmenbedingung zumindest berücksichtigen müssen. Der Großmarkt soll möglichst bald umstrukturiert werden. Seit einigen Jahren ist der Neubau einer großen Halle hinter den bisherigen Gebäuden im Gespräch.

Ensembleschutz bedeutet, dass nur eingeschränkt Veränderungen vorgenommen werden dürfen. Das Ensemble an sich ist ein Denkmal. Eine Wohnbebauung wäre nur im Benehmen mit den Denkmalbehörden umsetzbar. Das Bayerische Denkmalschutzgesetz schreibt diese Erlaubnis auch für Veränderungen an Bauteilen vor, die in das Ensemble hineinwirken - unabhängig davon, ob das Gebäude einzeln geschützt ist.

Die Großmarkthalle und die umliegenden Gebäude sind auf eine Anregung des Bezirksausschusses (BA) Sendling hin auf ihre Denkmaleigenschaft geprüft worden. In dem Gremium befürchtet man insbesondere, dass die ehemalige Sortieranlage an der Thalkirchner Straße verfällt, eventuell sogar an Investoren verkauft werden könnte. Gesondert wird die Sortieranlage nicht unter Denkmalschutz gestellt. Die Denkmalpfleger hatten einen solchen Antrag bereits früher abgewiesen. Dafür sei von der ursprünglichen Substanz zu wenig übrig.

Doch im Ensemble um den Großmarkt könnte die Sortieranlage als geschützt gelten. Der BA hat auf das Gutachten in der ersten Sitzung des Jahres mit Applaus reagiert. Ernst Dill, SPD-Fraktionssprecher und Vorkämpfer für eine Belebung der Sortieranlage, nannte die Nachricht ein Weihnachtsgeschenk. In Sendling ist die Freude doppelt groß, denn der Landesdenkmalrat will auch den alten Sendlinger Ortskern um die Kirche St. Margret und den Stemmerhof weiterhin unter Ensembleschutz halten. Mit zwei so gewichtigen Ensembles könne es vielleicht gelingen, "doch noch ein Stück Sendlinger Identität in die brave new world hinüber zu retten", sagt Dill. Der Denkmalschutz helfe angesichts kommender Auseinandersetzungen in Zeiten, in denen das Großmarktgelände neu bebaut werden solle, der Gasteig an der Hans-Preißinger-Straße einziehen wolle und Grundstücksverwerter wie Finanzinvestoren sich die Filets teilen wollten.

Die zwischen 1910 und 1912 von Richard Schachner erbaute Großmarkthalle in Sendling zählt zur zweiten Generation der europäischen Großmarkthallen. Die Schrannenhalle von Carl Muffat reichte um 1900 nicht mehr aus: Der Urbanisierungsprozess erforderte die Anbindung an die Eisenbahn. Schachner baute die Obstzollhalle in Sendling, danach folgten die Markthalle mit Verwaltungsflügel, ein Vorbau mit Restaurant und Postamt an der Kochelseestraße. In den Zwanzigerjahren, als sich München zum Hauptumschlagplatz für Südfrüchte in Deutschland entwickelte, wurde die Anlage um den Bahnhof zwischen Thalkirchner und Schäftlarnstraße und um den Gärtnermarkt, die Sortieranlage und das Kontorgebäude I erweitert.

Bei Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg wurden 80 Prozent der Marktanlagen zerstört. Die Münchner begannen nach dem Krieg mit dem Wiederaufbau: Man setzte den Gärtnermarkt instand, richtete eine Tankstelle ein, stockte das Kontorhaus auf. Die Hallen 2, 3 und 4 wurden einfacher wieder aufgebaut. Nur die Halle 1 wurde aufwendiger renoviert. Dann erst kam das Kontorhaus 2 hinzu, 1970 auch die Gärtnerhalle. Schachners Großmarkthalle mit den vier parallelen Haupthallen im Stil der Reformarchitektur dürfe als "charakteristisches Beispiel für den Übergang von der historistischen Architektur des 19. Jahrhunderts hin zur Moderne in Deutschland" angesehen werden, so Oberkonservator Burkhard Körner. Die Anlage bilde eines der wenigen Beispiele moderner Architektur in München um 1910.

© SZ vom 10.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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