Sendling:Engel in weißer Kombi

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Die Auszubildenden Hata Osmanovic und Diego Schwan helfen der Heimbewohnerin Inge Jacob aus dem Bett. Ausbilderin Gertraud Mayer (rechts) ist bei Patientenbesuchen oft mit dabei. (Foto: Florian Peljak)

Reflexion ist wichtig beim Projekt "Lehr- und Lernhaus Sendling", das Pflegepädagogin Gertraud Mayer leitet. Für sie gilt, in der Ausbildung Praxis und Theorie zu verbinden. Das Modell könnte Vorbild für andere Einrichtungen werden

Von Hannah Schuster, Sendling

"Sie ist unser Schutzengel!", sagt Diego Schwan und grinst. Gertraud Mayer, die er da als himmlisches Wesen bezeichnet, ist auch stilecht in Weiß gekleidet. Die 42-Jährige trägt aber kein wallendes Kleid, sondern eine praktische Altenpfleger-Montur, ihre schulterlangen braunen Haare sind zum Zopf gebunden. Auch Schwan trägt die weiße Kombi: Er ist Altenpflegeschüler im zweiten Jahr. Die beiden arbeiten im Evangelischen Pflegezentrum Sendling. Mayer ist ausgebildete Pflegepädagogin, sie leitet seit einem Jahr das Projekt "Lehr- und Lernhaus Sendling".

Dabei handelt es sich um eine Zusammenarbeit des Pflegezentrums mit der Evangelischen Pflegeakademie. Beide Einrichtungen befinden sich unter einem Dach; laut dem Leiter des Pflegezentrums, Florian Walter, ist das in München einzigartig. 15 Schüler der Akademie sind Teil des Projekts, darunter auch Diego Schwan. Das Ziel dabei ist, "die Lernkultur positiv zu beeinflussen", sagt Gertraud Mayer.

So haben die Pflegeschüler unter anderem jeden Tag eine halbe Stunde Zeit für den sogenannten Lernkorridor. In dem kleinen Raum stehen zwei Computer und ein Flipchart, in einem weißen Schrank stapeln sich einige Fachbücher. Diego Schwan trifft dort seine Kollegin Hata Osmanovic. Die beiden bezeichnen das Zimmer als ihren "Hilferaum". Hier können sie fehlendes Wissen nachschlagen oder wiederholen, was sie in der Schule gelernt haben. "Ich kann hier was Gutes für meine eigene Ausbildung tun ", sagt Osmanovic.

Diese Aussage bestätigt die Meinung von Lisa Hirdes, Schulleiterin der Pflegeakademie: "Die Praxis muss auch ein Lernort werden, damit die Ausbildung funktioniert", sagt sie. Gertraud Mayer ist dafür da, diesen Grundsatz einzuhalten. Sie erinnert die Schüler beispielsweise daran, sich die 30 Minuten Zeit zu nehmen. Außerdem koordiniert sie die Zusammenarbeit zwischen der Schule und der Einrichtung sowie zwischen den Pflegeschülern und den Praxisanleitern. Und natürlich ist sie die Ansprechpartnerin, wenn Fragen auftauchen. Dafür fordert sie ihre Schützlinge auch, Reflexion ist wichtig: Was hat man gut gemacht, was kann man unter Umständen verbessern?

In der herkömmlichen Ausbildung ist für so etwas im Arbeitsalltag kein Platz: "Die Zeit fehlt, und Mitarbeiter auch", sagt Gertraud Mayer. Im Alltag gebe es genug Praxiszwänge wie fehlendes Personal, während in der Schule lediglich ein hohes Maß an Theorie vermittelt werde. Deshalb gilt für Mayer die Anforderung, beide Bereiche zu verbinden. Ihre Stelle soll, zumindest nach den Wünschen von Schulleiterin Lisa Hirdes und Einrichtungsleiter Florian Walter, auch als Vorbild für andere Einrichtungen dienen.

Für Hirdes geht es in der Ausbildung nämlich "gar nicht anders", sagt sie, "wo soll der Nachwuchs denn herkommen?" Sie und Florian Walter wollen mit dem Projekt den Bereich der Altenpflege attraktiver machen, als er bisher in den Köpfen vieler Menschen ist. Gertraud Mayer, die nur für die Schüler da ist, schafft eine "gute Atmosphäre". Nur so ist es laut Lisa Hirdes auch möglich, dass die Schüler immer im Blick behalten, dass "sie mit Menschen zu tun haben, die Sensibilität fordern".

Der direkte Kontakt mit den Bewohnern hat aber auch noch einen weiteren Vorteil. "Theoretische Krankheitsbilder können an konkreten Personen besprochen werden", erklärt Gertraud Mayer. Sie ist manchmal auch dabei, wenn die Schüler Kontakt mit den Patienten haben. Allerdings nicht nur als "Vormacher", wie Mayer sagt: "Die Auszubildenden lernen ganz viel durchs Selbermachen." Diego Schwan kennt zum Beispiel die 75-jährige Inge Jacob schon länger. Die beiden verstehen sich gut - und auch die alte Dame bemerkt den Einfluss von Mayer: "Die Schüler sind nach einem Gespräch mit ihr wie ausgewechselt", sagt sie, "ich würde hier nicht mehr weg wollen."

© SZ vom 13.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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