Sendling:Der Siegersong vom gefressenen Besen

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Ohne Glitzer oder Glamour: Beim Wettbewerb der Liedermacher im Stemmerhof geht es ehrlich, schnulzig-schön und heimelig zu, ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Den Sendlinger Kulturpreis gewinnt Thomas Franz

Von Renate Winkler-Schlang, Sendling

Er fällt aus dem Rahmen: Karohemd und zerbeulte Jeans, statt des offenbar auch in Liedermacherkreisen üblichen Bühnenoutfits in Schwarz und Rot. Der einzige ohne Klampfe. Statt dessen das Keyboard auf vier Limokisten aufgebockt: Thomas Franz, der freche, aschblonde Berliner aus Bayern mit dem Allerweltsnamen und dem freundlichen Durchschnittsgesicht, gewinnt am Freitagabend im Stemmerhof mit seinem harmonischen Freundschaftslied und seinem skurrilen Krimisong vom gefressenen Besen den zweiten Sendlinger Kulturpreis.

Der Preis passt ebenfalls in keine Schublade: Kein Glitzer-Glamour- Songcontest mit aufwendiger Lightshow und Spezialeffekten. Initiator Rudi Vietz, Gründer der neuen "Friedensbühne Song Parnass", die nach dem Ende des früheren Unionsbräu bei Ars musica im Stemmerhof untergeschlüpft ist, will der guten alten Kunst des klassischen Liedermachens wieder Geltung verschaffen. Heutzutage meine fast jeder, Erfolg bringe nur Comedy. Mancher habe jedoch kein Talent für zweifelhafte Gags unter der Gürtellinie auf Kosten anderer - sehr wohl aber die Gabe, das Publikum mit eigenen ehrlichen Texten zu berühren. Das wolle er fördern. Vier Vorrunden und eine Endausscheidung mit kleinen Preisen, die er aus eigener Tasche beisteuert, das sei es doch wert, sagt Vietz.

Applaus: Das Publikum geht bei den kritischen und den gefühlvollen, den lustigen und den makaberen Songs mit. Jurorin Andrea Eicher macht fleißig Notizen. (Foto: Stephan Rumpf)

Jury ist zur Hälfte das Publikum, zur anderen sind es die Expertinnen Birgit Hufnagl, Claudia Bohlig und Andrea Eicher. Hufnagl, die jeden Tag ein Gedicht verfasst, gibt eines zum Besten, das in 14 Zeilen 34 Mal das Wort Wein enthält. Stimmiger Auftakt in dieser heimeligen, provisorischen Umgebung mit der alten Ziegelwand und den nackten Betondecken, der kleinen Holzbühne und dem bodenständigen Moderator Vietz. Er trägt ein schwarzes Käppi und hat die Lesebrille auf der Stirn. Authentisch ist das alles - wie es etwa in den Siebzigern noch Usus war. Man lehnt sich zurück und staunt: dass es so was noch gibt.

Neun statt acht Musiker buhlen um die Gunst des aufmerksamen und wohlwollenden Publikums - denn bei einer der Vorrunden waren zwei auf dem zweiten Platz punktgleich. Jeder hat nur exakt zehn Minuten für seine Performance - und das scheint die Künstler doch zu stressen: "Ich hab' noch gar keinen Soundcheck gemacht", jammert da die "Stianghausratschn" Roswitha Spielberger. Egal, ihre Tante aus Trudering sitzt in der ersten Reihe und drückt ihr die Daumen. Und ihre Songs vom Neid und vom Aldi, bei denen das Publikum mitsingen darf, kommen an - auch wenn sie hinterher hadert, dass sie doch etwas anderes hätte wählen sollen. Zuvor hatte Georg Spindler, gebürtiger Sendlinger, genannt "Da Ding", die Fans angewärmt. Erst das Lied vom Kreisverkehr, dann das vom Hundsbua, untermalt von den Klängen einer Lippenmaultrommel. Am Ende "Unsere Freunde, die Banker". Das bringt ihm den zweiten Platz. Dritter wird Christoph Everke, der interessant Tätowierte: Rockgitarre, eine Stimme, die entfernt an den jungen Herbert Grönemeyer erinnert. Er hat, wie Vietz lobt, beides drauf: Power und Gefühl. Erst singt er vom Vorschlaghammer und dann vom "Wunder, dass Du mich gefunden hast".

Thomas Franz (vierter v. re.) gewinnt den zweiten Sendlinger Kulturpreis bei dem von Unikum Rudi Vietz (li.) organisierten Wettbewerb. (Foto: Stephan Rumpf)

Freude haben aber auch die anderen, die in dieser Endausscheidung allesamt "Vierte" werden. Helga Brenninger erinnert an "Mutter Erde", wie manch anderer hier in bestem Bayerisch, und trällert am Ende zwar nicht "Ein bisschen Frieden", aber doch "D' Sonn scheint schee". "Cowboys sind so", intoniert Bea Schellmann und dann "Sehnsucht": schnulzig-schön. Sabine Faast wippt mit dem Fuß zu ihren Liebesliedern, zu denen man sich ein Lagerfeuer wünscht. Johannes Molz, zweifacher Vater, Gitarrenvirtuose mit Ohrringen und Minizopf, kommt bluesig daher, füllt den Raum ohne Mikro, macht Percussion auf seinem Instrument. Jörg Weger vom "VEB Brot und Spiele" hat seine weinrote Gitarre mit "Chaos" beschriftet, Palästinensertuch am Handgelenk. Geträumt habe man von internationaler Solidarität. Sein neuer Hit aber sei "sogar Generation- Y-kompatibel". Das Publikum johlt.

Sie sind allesamt echt, besonders, einmalig. Herrlich aus der Zeit gefallen. Das gilt auch für Vietz, der während der Auszählung seine schrägen Songs präsentiert.

© SZ vom 17.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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