Seltene Einblicke:Zwischen Himmel und Erde

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Die Bayerische Akademie der Wissenschaften offenbart bei einem Tag der offenen Tür die Vielfalt der Forschung: Die umfasst Satellitenbilder genauso wie barocke Deckenmalerei. Experten stehen den Besuchern für Fragen zur Verfügung

Von Martina Scherf

Die Bayerische Akademie der Wissenschaften ist ein Hort des Weltwissens, und sie hat viele berühmte Namen in ihrer Ahnengalerie: den Chemiker Justus von Liebig, die Physiker Werner Heisenberg und Max Planck oder den Philosophen Friedrich Wilhelm von Schelling. Manche der Wissenschaftler, die dort forschen, beschäftigen sich ein Leben lang mit einem einzigen Thema. Das umfangreichste Langzeitprojekt ist vermutlich der Thesaurus Linguae Latinae: das größte lateinische Wörterbuch der Welt, begonnen vor 123 Jahren, festgehalten auf mehr als zehn Millionen Zetteln. Aber zur Akademiegemeinschaft gehören genauso Gletscherforscher und Geodäten, die die Welt vermessen, Informatiker, die den Supercomputer im Leibniz-Rechenzentrum in Garching immer weiter entwickeln und Physiker, die im Walther-Meissner-Institut für Tieftemperaturforschung mit eisiger Kälte hantieren.

Meistens arbeiten sie alle im Verborgenen. Die Vorträge und Diskussionen, die übers Jahr zu aktuellen Themen stattfinden, sind immer sehr begehrt. Aber am Samstag, 20. Mai, öffnet die Akademie ihre Pforten für jedermann. Von 11 bis 18 Uhr nehmen Forscher ihre Besucher mit auf eine Reise zwischen Himmel und Erde. Die reicht von Satellitenbildern aus dem All bis zur barocken Deckenmalerei; von der Schönheit mittelalterlicher Handschriften bis zur Vermessung des Himalaya; von der Musik Richard Strauss' bis zu den Hinterlassenschaften der Römer in Bayern.

Im ganzen Haus gewähren Forscher Einblicke in ihre Arbeit. Akademiedirektor Thomas Höllmann, Experte für das Alte China und noch vieles mehr, empfängt Besucher in seinem Büro. Beim Speed-Dating mit ihren Gästen stehen Forscher Rede und Antwort. Daneben gibt es Vorträge und Diskussionen, etwa über die Verantwortung der Wissenschaftler in der Gesellschaft, oder die Frage: Eine Karriere in der Wissenschaft - lohnt sich das?

Im digitalen Salon debattieren Experten wie Bayerns oberster Datenschützer Thomas Petri und die IT-Professorin Claudia Eckert mit Besuchern über Big Data, Open Access und das "Digitale Ich".

Bei Rundgängen durch die Archive und sonst nicht zugängliche Räume der Residenz kann man sich der Geschichte der Akademie widmen. Schauspieler der Theaterakademie August Everding lassen Prinzessin Therese von Bayern auf Akademiegründer Johann Georg von Lori treffen. Kinder können antike Theatermasken basteln, Vulkane bauen, Arabisch lernen oder zusehen, wie Physiker der Tieftemperaturforschung ein Auto über eine supraleitende Rennbahn flitzen lassen.

Edith Hanke und Max Weber

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(Foto: Catherina Hess)

Ein ganzes Leben für Max Weber. Edith Hanke lacht und sagt: "Es ist immer noch super spannend." Seit 33 Jahren befasst sich die Politikwissenschaftlerin mit dem Soziologen (1864-1920), der auch in München lehrte. Webers Hauptwerk "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" markiert einen Meilenstein in den Sozialwissenschaften. Edith Hanke, 54, ist die Generalredaktorin der Gesamtausgabe seiner Schriften. 47 Bände sollen es einmal werden. Gerade geht Band 43 in den Druck: Webers Jugendbriefe. "Da wird der junge Max lebendig", sagt Hanke. Als Vierzehnjähriger und ältestes von fünf Geschwistern leitet er in Berlin den Haushalt, während seine Eltern durch Frankreich reisen. Der Gymnasiast muss sich Geld von Bekannten leihen, um die Rechnungen bezahlen zu können. "Da wurde mir selbst erst klar, wie sehr ihn die Verantwortung, die ihm seine Eltern übertragen haben, geprägt hat." Als Professor schrieb Weber später über "Gesinnungsethik und Verantwortungsethik". Seine Vorlesungen hat er meist auf Zettel gekritzelt, die gefaltet in der Jackentasche steckten - Hankes Kollegen haben sie alle mühsam entziffert. Auch seine Briefe an Kollegen, an seine Frau Marianne und seine Geliebte Else Jaffé gingen über ihren Schreibtisch - es gibt wohl niemanden, der den eigenwilligen Professor besser kennt als Edith Hanke. Jetzt neigt sich die Edition dem Ende zu. Aber Hanke wird Weber treu bleiben. Sie hält Vorträge, nimmt an Diskussionen teil und berät ausländische Wissenschaftler von Peking über Moskau bis Beirut: "Sein Denken inspiriert noch immer Menschen weltweit", sagt sie. mse

Josef H. Reichholf und die Tiere

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(Foto: privat)

Vögel, die sich in Wasserfälle stürzen, Ameisen, die Pilzgärten anlegen, Jaguare, die einst in Italien lebten - kaum ein moderner Naturforscher hat so viele Tiere beschrieben wie Josef H. Reichholf. 1945 in Aigen am Inn geboren, hat er sich seit seiner Kindheit mit der Natur beschäftigt. Bis 2010 forschte er an der Zoologischen Staatssammlung und ist noch immer Honorarprofessor an der TU München. Der Biologe schreibt fast jedes Jahr ein Buch, zuletzt erschien "Evolution - eine kurze Geschichte von Mensch und Natur" (Hanser Verlag). Reicholf legt sich gleichermaßen mit Umweltschützern wie mit Jägern oder Landwirten an. Die gängige Auffassung von Naturschutz bezeichnet er gerne als "Denkmalschutz", es gehe dabei ums Bewahren "eines Zustands von gestern oder vorgestern". Natur sei aber kein Idealzustand. "Leben ist Wandel, nichts bleibt so, wie es ist", lautet sein fast schon buddhistisches Credo. Und wenn er betont, der größte Feind der Natur sei die moderne Landwirtschaft, macht er sich keine Freunde unter Bauern und Politikern. Als Ketzer gilt er manchen gar. "Umso besser", sagt er dann mit einem Schmunzeln, "es ist doch immer einfacher, sich der Mehrheitsmeinung anzuschließen." Am Samstag wird er in der Akademie über Bayerns Tierwelt im Wandel sprechen. Nach Angaben des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz gilt die Hälfte aller frei lebenden Tier- und wild wachsenden Pflanzenarten Bayerns als gefährdet. "Für das Urlaubsland, das mit seiner Natur wirbt, ist das kein erfreulicher Befund." Verbote helfen aber nicht weiter, sagt Reicholf. Der Mensch muss kennen, was er schützen soll. mse

Anja Wendt und die Gletscher

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(Foto: N/A)

Andere vertiefen sich in mikroskopisch kleine Details, Anja Wendt hat es mit riesigen Massen zu tun: Die gebürtige Thüringerin ist Gletscherforscherin. Sie beobachtet, wie sich die Eisriesen weltweit verändern, ob sie wachsen (in Zentralasien kommt das noch gelegentlich vor) oder schwinden, und wie schnell sie fließen. Daraus ziehen die Glaziologen der Akademie dann Rückschlüsse auf die Rolle der Gletscher im kontinentalen Wasserkreislauf, auf Klimaveränderungen oder die Verschiebung der Erdmassen. Der Vernagtferner in den Ötztaler Alpen ist ihr Hausgletscher, er schrumpft aufgrund der Erderwärmung besonders schnell. Natürlich war Anja Wendt schon dort oben, aber ihre Satellitendaten bekommt sie unter anderem vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA). Am Computer erstellt sie daraus Höhenmodelle und Geschwindigkeitsprofile. "Ich muss nicht unbedingt ins Eis", sagt die 42-Jährige, "aber die Exkursionen sind schon faszinierend. Man bekommt dann Respekt vor den Kollegen, die dort bei Hitze und Kälte Feldforschung betreiben." Schon während ihres Studiums der Geodäsie an der Technischen Universität Dresden hatte sich Anja Wendt auf Gletscherforschung spezialisiert. Sie war auch schon in Grönland, und für ihre Promotion hat sie den Lake Vostok in der Nähe des Südpols untersucht: Das ist ein geheimnisvoller See, der unter einer 4000 Meter dicken Eisschicht liegt. In die Antarktis möchte sie gerne noch einmal reisen - "damit ich Pinguine sehe, das habe ich beim letzten Mal leider verpasst", sagt die Forscherin. mse

Julia Stenzel und das Theater Preußens

Jeder hat noch in den Alten gefunden, was er brauchte, oder wünschte; vorzüglich sich selbst." Das Zitat des Philosophen Friedrich Schlegel gefällt Julia Stenzel, "denn es stimmt zu jeder Zeit". Die Theaterwissenschaftlerin hat gerade ein Forschungsprojekt abgeschlossen zur Frage, wie die Preußische Kulturnation im 19. Jahrhundert das antike Theater interpretiert - und instrumentalisiert hat. Friedrich Wilhelm IV., sagt Stenzel, ging es darum, eine Leitkultur zu definieren. Das kommt einem bekannt vor. "Theater ist immer auch eine Bühne der Selbstreflexion im Politischen", sagt die 38-jährige Forscherin. Das Thema fasziniert sie, und es ist topaktuell, gerade jetzt, da deutsche Bühnen heftig über ihre Rolle in der Gesellschaft debattieren. Stenzel hat an der Ludwig-Maximilians-Universität Dramaturgie studiert, sich dann aber mit der Promotion der Theorie und Geschichte von Theater zugewandt. Sie war Sprecherin des Jungen Kolleg der Akademie der Wissenschaften. Dorthin werden nur die Besten des Landes berufen. 2012 wurde sie Juniorprofessorin in Mainz, ein Jahr später wurde ihre Tochter geboren. Seither pendelt sie zwischen Mainz und München. Das erfordert erhebliches logistisches Geschick von ihr und ihrem Mann, der ebenfalls Wissenschaftler ist. Julia Stenzel nimmt es in Kauf, denn sie betreibt ihre Forschung "mit Herzblut", sagt sie. Wenn sie beim Speeddating in der Akademie den Besuchern Rede und Antwort steht, dann kann sie deshalb nicht nur wunderbar über Sophokles, Schlegel oder Ferdinand von Schirach reden, sondern auch über Kinder und Karriere. mse

Anthony Rowley und die Sprache der Bayern

Eines weiß Anthony Rowley, 63, schon längst: Er muss wohl 110 Jahre alt werden, wenn er sein Lebenswerk selber vollenden will. Frühestens im Jahr 2060 wird der letzte Band des von ihm betreuten Bayerischen Wörterbuchs fertig sein. "Zum Abschluss, da tät' ich schon gerne reinkommen", sagt Rowley, und er meint damit sein Münchner Büro in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, wo droben im zweiten Stock die Kommission für Mundartforschung residiert. Rowley leitet sie seit 1988. Es ist ein Kuriosum: Ausgerechnet ein Brite dokumentiert die Sprache der Bayern. Dieses Faszinosum hat zur Popularisierung der Dialektologie wohl mehr beigetragen als Dutzende schlauer Wälzer. Dass er als ein englischer Dorfbub zum bayerischen Akademie-Professor und Wörterbuch-Chef aufgestiegen ist, kommentiert Rowley gerne mit dem Bonmot: "Vielleicht hat sich die Jury gedacht: Hauptsach', es is koa Preiß!" Jedenfalls habe er sich 1988 ganz normal beworben. Seine Leidenschaft für Dialekte ist bei einem Studienaufenthalt in Regensburg voll erblüht. 1981 promovierte er in Bayreuth mit einer Arbeit über eine bayerische Sprachinsel im italienischen Fersental. 1987 habilitierte er sich mit einer Arbeit über die Mundarten Nordostbayerns. Unter Rowleys Leitung arbeiten mehrere Wissenschaftler beiderlei Geschlechts am Bayerischen Wörterbuch, von dem die Buchstaben "A" bis "Dam" fertiggestellt sind. Es kostet viel Recherche, die historische Tiefe und die Etymologie der Wörter auszuleuchten. Rowley und seine Mitarbeiter werden von 500 ehrenamtlichen Mundart-Sammlern unterstützt, die dem Volk genau aufs Maul schauen. hak

Tag der offenen Tür: Samstag, 20. Mai, 11-18 Uhr; Alfons-Goppel-Straße 1 (Residenz); Eintritt frei, www.badw.de

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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