Schwanthalerhöhe:Einer geht, alles bleibt

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Drei, die sich verstehen: Markus Hönig, Gerhard Ammers und Semire Gülüm-Şahin (von links) sind sich über die Zukunft der Feuerwache einig. (Foto: Robert Haas)

Gerhard Ameres, Gründer und Leiter der "IG Feuerwache" auf der Schwanthalerhöhe, verabschiedet sich. Seine Nachfolger Markus Hönig und Semire Gülüm-Şahin wollen das erfolgreiche Integrationsmodell fortführen

Von Andrea Schlaier, Schwanthalerhöhe

Einen nach dem anderen hat Gerhard Ameres gefragt: "Was war dir hilfreich?" Damals, als deine Schläfen noch nicht grau waren, das erste Barthaar noch nicht gesprossen ist, als du zu uns gekommen bist, aus der Türkei, Jugoslawien oder einem anderen Krisengebiet der Welt. Die Antwort, die ihm viele seiner einstigen Schützlinge gegeben haben, sei fast immer dieselbe gewesen: Das "Heimatgefühl", das sie in Ameres' Großfamilie gefunden hätten, das sei hilfreich gewesen. Nicht nur die Unterstützung beim schulischen Lernen und auf dem Weg zur Ausbildung - "weil da halt auch ein Platz war, an dem man so sein kann, wie man ist". Danach gefragt hat der 63-Jährige die inzwischen teilweise ergrauten Ehemaligen beim Abschiedsfest, das ihm zu Ehren gegeben wurde. Gerhard Ameres war 35 Jahren bei der Initiativgruppe für Interkulturelle Begegnung und Bildung (IG) verantwortlich beschäftigt. Zuletzt als Gründer und Leiter der "IG Feuerwache" auf der Schwanthalerhöhe, die er an diesem Dienstag, 31. Januar, verlässt. Er geht in Rente.

Nicht ohne Stolz erzählt Ameres ein paar Tage nach dem Fest davon bei Tee und Wasser im Büro des Interkulturellen Jugendzentrums IG Feuerwache an der Ganghoferstraße. Neben ihm sitzen sein Nachfolger Markus Hönig und Semire Gülüm-Şahin, die künftig die gesamte Projektleitung des Hauses übernehmen wird. Hönig war 2000 Ameres' erster Praktikant bei der IG Feuerwache. Gülüm-Şahin, die als Zehnjährige "als Gastarbeiterkind aus der Türkei nach Deutschland geholt" und noch zu Schulzeiten "bei Gerhard" betreut wurde, fing 2000 bei der IG Feuerwache als studierte Pädagogin an. Vorher hatte die zweifache Mutter über den zweiten Bildungsweg das Abitur nachgeholt. So ist das in dieser IG-Familie: Sie begleitet manche ins, andere durchs Leben.

1981 hat Ameres als diplomierter Sozialpädagoge selbst bei dem Verein angeheuert, dessen Ziel es ist, Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Migrationshintergrund sprachlich, schulisch und politisch zu integrieren und gleichzeitig kulturell, sozial und politisch einzubeziehen: "Mein Aufgabenschwerpunkt war es, innerhalb eines Modellversuchs ausländische Jugendliche ins Berufsleben zu begleiten." Das Münchner Modell war so erfolgreich, dass es die Bundes-Arbeitsagentur längst übernommen hat.

2000 vollzog der gebürtige Niederbayer den nächsten Schritt: Er bezog als Hausherr mit einem Team aus vier Sozialpädagogen das sanierte Gebäude der ehemaligen Feuerwache am Südrand des alten Messegeländes. Die Geburtsstunde der IG Feuerwache, wo man sich zunächst um etwa 50 Migrantenkinder zwischen sieben und 16 Jahren kümmerte. Kümmern hieß immer dreierlei. Zum einen die Unterstützung von Mädchen und Buben beim formalen, schulischen Lernen, damit sie ihr Klassenziel, den Übertritt oder den Quali erreichen. Darüber hinaus Hilfe geben bei der Berufsorientierung; und schließlich bieten sie im Haus freizeitpädagogische Angebote, um den jungen Menschen genügend Raum und Luft für individuelle Neigungen zu gewähren.

Die Kombination erweist sich als Erfolg, der Stützpunkt ist aus dem Viertel mit seinen knapp 35 Prozent an Migranten nicht mehr wegzudenken - wenngleich das Angebot auch in andere Stadtbezirke exportiert wird. Erfolg auch deshalb, weil hier unter Ameres' Ägide nicht nur der Einzelne betrachtet wird, sondern sein gesamtes Umfeld. Die 47-jährige Semire Gülüm-Şahin hat wesentlich das Zuhause der Kinder miteingebunden, sprich deren Eltern. Das heißt unter anderem, Väter und Mütter aus Afghanistan, Irak, Afrika und Syrien zu Sprechstunden an die Schulen ihrer Kinder zu begleiten, beide Seiten über das Wesen der Anderen zu informieren - zum Wohl der in eine neue Gesellschaft hineinwachsenden Kinder. Ein Knackpunkt innerhalb der Integration und ein Segen. Dafür wurde die IG 2014 vom Bundesinnenministerium ausgezeichnet.

"Früher haben wir von außen in die Schulen hineingewirkt", erzählt Gerhard Ameres, heute haben die Kollegen etwa für die Schulsozialarbeit eigene Büros in den Schulen. Man ist zusammengewachsen. Die Feuerwachler betreuen mehrere hundert Kinder im offenen und gebundenen Ganztag an drei Mittel- und vier Grundschulen. Markus Hönig hat den Bereich bisher geleitet. Parallel hat sich der 40 Jahre alte Sozialpädagoge, der Ameres nachfolgt, noch zum Sozialwirt ausbilden lassen und ist bereit für die Stabübergabe.

Am Wesen des IG Feuerwachen-Konzeptes wollen der zweifache Vater Hönig und seine Kollegin auf jeden Fall festhalten: Neben der Entwicklung einer schulischen Perspektive soll im Haus immer ein Platz sein, "an dem man sein darf, mitbestimmen darf." Ameres sitzt daneben und lächelt. "Bilden und begegnen", sagt Hönig, "darum geht es".

© SZ vom 31.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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