Schwanthalerhöhe:Der Sandmann

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Sand statt Sekt: Das inspiriert Michael Fuhrmann. (Foto: Catherina Hess)

Feine Körnchen aus allen Teilen des Erdballs: eine Fahrschule mit ungewöhnlicher Fensterdekoration und buddhistischem Geist

Von Sonja Niesmann, Schwanthalerhöhe

Das Modell eines Verbrennungsmotors und ein Flipboard mit Verkehrszeichen gehören zur Ausstattung in dieser Branche, ein altes Kreidler "Florett" ist dekoratives, aber auch nicht überraschendes Beiwerk. Wenn jedoch dazu noch beide Schaufenster einer Fahrschule, wie hier an der Tulbeckstraße im Westend, bestückt sind mit Sektglas an Sektglas, gefüllt mit Sand von Küsten und Wüsten rund um den Erdball, bleibt doch der ein oder andere Passant stehen. Verdutzt, und dann lächelnd, eintauchend wahrscheinlich in Erinnerungsbilder von schönen Urlauben.

Grobkörniger, mit Steinchen versetzter, glitzernder Sand, extrem fein geschliffener, puderweicher Sand in allen Grau-, Beige-, Rotschattierungen. Sand aus dem Sinai und der Sahara, von Mauritius, aus Bhutan und dem Death Valley, von den Stränden Brasiliens, Tasmaniens und Mexikos, vom Schwarzen Meer, vom Platten- und vom Kochelsee, von der Nordsee und einer ostfriesischen Insel. 120 Gläser sind es, alle mit einer Nummer beklebt, der Herkunftsort ist dokumentiert auf zwei Listen "Sand aus aller Welt", die im Fenster hängen. Sand Nummer 106 übrigens, liest man, ist kein Exot; er stammt von der "Baustelle Tulbeckstraße 13".

Michael Fuhrmann, der Inhaber der Fahrschule, ist nicht an all diesen Orten gewesen, das stellt er ziemlich schnell von sich aus klar. Er hat aber das erste Sand-Korn für diese Sammlung, nun ja, gesät. 1983 ist er nach Sri Lanka gereist, saß dort am Strand und beobachtete das Spiel der Wellen, lauschte dem leisen Schlurfen des Sandes. Jedes Körnchen angeschwemmt und wieder fortgespült, einzigartig, unwiederbringlich. Für Fuhrmann spiegelt sich darin das Leben, bestehend aus lauter Momenten, seine Vielfältigkeit und Vergänglichkeit. "Und außerdem fühlt sich Sand einfach gut an." So also ist er zum Sandsammeln gekommen, und als der Grundstock erst einmal gelegt und im Schaufenster sichtbar war, trugen Freunde, Nachbarn, Fahrschüler mit ihren Mitbringseln stetig dazu bei, dass sich weitere Gläser füllten.

Nach diesem meditativen Moment auf Sri Lanka ist Fuhrmann zum Buddhisten geworden. Ein Porträt des Dalai Lama lächelt von der Schreibtisch-Unterlage zu ihm hinauf, drei Buddha-Figuren lächeln auf die jungen Fahrschüler auf ihren ausgemusterten, hölzernen Zirkus-Krone-Klappstühlen herab. "Der Moment ist wichtig im Leben. Sich nicht von der Vergangenheit abhängig machen, nicht in der Zukunft schweben", das zählt für ihn, das lässt er immer wieder einfließen ins Gespräch - das er ziemlich oft unterbrechen muss, um "Servus" nach links, "Griaß euch" nach rechts aus der offenen Tür seiner Fahrschule heraus zu winken.

Wie oft er inzwischen auf Sri Lanka, seiner Trauminsel, seinem Sehnsuchtsort gewesen ist, kann der 56-Jährige - von entspannter Lässigkeit, mit angegrautem Dreitagebart und leicht verstrubbelter Frisur bis hin zur oberbayerischen Klangfärbung stark an einen noch etwas jüngeren Konstantin Wecker erinnernd - gar nicht mehr zählen. "Bestimmt 50, 60 Mal". Aber er war auch unterwegs in der Ukraine, wo sein Vater herstammt, jagte mit der Harley durch die USA. Sand im Gepäck bei der Rückkehr. "Ich heiß' ja schließlich Fuhrmann", kalauert er. Da sei es doch stimmig, ein Reisender und Fahrlehrer zu sein.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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