Robbie Williams in München:"Ick abe einen großen Pimmel"

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Trotz wenig Hals gut in Form: Robbie Williams (Foto: Stefan M. Prager)

Robbie Williams lädt zur Krönungsmesse ins Münchner Olympiastadion. Er sieht nach all den Jahren ein wenig gestaucht aus und zelebriert einen bizarren Kopf-Kult. Dennoch reißt dieser fabelhaft alberne Narzisst wieder die Weltherrschaft im Pop an sich.

Von Sebastian Gierke

Verloren sitzt er am Ende auf der großen Bühne, die Arme und Beine von sich gestreckt, die Rauchschwaden des am Nachthimmel soeben verglühten Feuerwerks ziehen noch durch das Olympiastadion. Robbie Williams, der König, hat die Augen geschlossen - er lässt jetzt das Publikum für ihn singen.

"When I'm feeling weak/ And my pain walks down a one way street/ I look above/ And I know I'll always be blessed with love." Ein heiliger Moment. 68.000 singen "Angels", den Song, der 1997, kurz nach dem Ende von Take That, Williams Solokarriere gerettet hat. Er steht auf, ein letztes schiefes Grinsen, dann entschwindet er durch einen Tunnel hinter die Bühne. The King has left the building.

"For the next two hours, your ass is mine"

Ihn, den größten lebenenden Popstar diesseits des Atlantiks, zu krönen, darum ging es die zwei Stunden davor. Alles im Olympiastadion ist golden, selbst der Fußboden und die Lautsprecher. Zu Beginn des Konzertes entsteigt Williams in zwanzig, ach was, dreißig Metern Höhe einer gewaltigen Nachbildung seines Kopfes. Die großen toten Augen dieses Reliefs scheinen das Stadion - Big-Brother-gleich - zu überwachen.

Zu "Hey Wow Yeah Yeah" fliegt Williams an einem Stahlseil von seinem Kopf herab auf die Bühne: "Hello, I'm Robbie fucking Williams, for the next two hours, your ass is mine." Mit diesen Worten lädt der Junge aus dem englischen Stoke-on-Trent, gewandet in eine glitzernde, schwarze Zirkusdirektor-Jacke zu seiner Krönungsmesse.

Zum ersten Mal seit sieben Jahren ist Williams wieder auf Welttournee, "Take The Crown" heißt sie, so wie sein aktuelles Album. Das Motto ist klar, der vor kurzem Vater gewordene, ehemalige Boygroup-Star will die Weltherrschaft im Reich des Pop. Ach, Quatsch, in seinen Augen sitzt er natürlich längst auf dem Thron. Nur gesehen haben das eben noch nicht alle. Und so eine Tournee ist eine gute Gelegenheit, das nachzuholen.

"Take The Crown" ist ein mittelmäßiges Album. Breitwand-Pop, geschrieben für die Stadien dieser Welt. Sein Songwriter-Mojo hat Williams schon lange verloren. 39 Jahre alt ist er mittlerweile, und seine Stimme hat über die Jahre etwas gelitten, äußerlich wirkt er gestaucht: wenig Hals, kurze Beine, dafür etwas mehr Körper. Doch all das spielt keine Rolle.

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:In Spießigkeit gealtert

Auch Robbie Williams wird älter - nun feiert der Popsänger 40. Geburtstag und lässt es deutlich ruhiger angehen als früher. Seine wilden Zeiten sind vorbei. Und er ist nicht der einzige: Andere Rockstars entspannen sich beim Golf, tun Gutes oder besinnen sich aufs Religiöse. Eine Galerie der Geläuterten.

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Entscheidend ist auf der Bühne. Robbie Williams gibt wieder den Larger-Than-Life-Entertainer, der ihm eigentlich schon vor zehn Jahren zuwider war. Kann er sich noch überwinden? Bringt er noch genug mit von der urwüchsigen, theatralischen Artikulationskraft, irgendwo zwischen Arroganz und Albernheit, ohne die jeder Griff nach der Krone des Pop nur lächerlich wirkt? In ihr lebt die Geschichte des Robbie Williams fort und auch die Ahnung eines gelingenden Popstarlebens.

Williams gibt alles. Er liefert eine perfekt durchchoreografierte Blockbuster-Popshow ab. Dabei weiß kaum einer so gut wie er, dass Perfektionismus auf Dauer depressiv macht. Doch dieser Robbie Williams ist sich seiner Kraft so sehr bewusst, dass er keinerlei Angst davor hat, alte Fehler wieder anzudeuten, nur um der Lust willen, sie sofort zurückzuweisen.

Williams zitiert Britney Spears, tanzt wie Beyoncé

Er gibt sich locker und albern - und dabei unvergleichlich selbstverliebt. "Ick abe eine großen Pimmel", liest er von einem Zettel ab. "Der Satz kommt von Herzen." Mit zwei Italienerinnen verzieht er sich in ein aufrecht stehendes Bett, auf der roten Decke prangt, golden glänzend, das Take-That-Logo. Williams zitiert Britney Spears, tanzt wie Beyoncé, covert "Walk On The Wild Side" von Lou Reed.

So einer kann sich auch einen grotesken Kopf-Kult auf der Bühne leisten. Denn der überdimensionale Robbie-Kopf, der nach der ersten Stunde des Konzerts zu einem Display wird - Robbie Williams, die Projektionsfläche - ist nicht der einzige.

Bizarrer Kopf-Kult bei Robbie Williams.  (Foto: AFP)

Insgesamt zehn (!) Robbie-Williams-Häupter tauchen während des Konzertes auf. Eine kleine Handpuppe zum Beispiel und drei große, nach 3-D-Modellen angefertigte, glitzernde Diskoköpfe. Auf eine Art Schiff ist ein mehrere Meter hoher Robbie-Kopf montiert, Flammen schießen aus der Schädeldecke, und aus dem weit aufgerissenen Mund spuckt der Kopf Wasser ins Publikum. Ein anderer öffnet sich, gelbe und rote Luftballons steigen daraus empor - bis er leer ist. Und am Ende des Konzertes kommt Williams auf der Zunge eines Robbie-Hauptes sitzend auf die Bühne gefahren. Während er den 2002er Hit "Feel" singt, verwandelt sich der Kopf per LED in einen Totenschädel.

Robbie Williams, das hat die brillante Show in München bewiesen, ist immer noch ein fabelhafter, tragikomischer Narzisst, eine Gestalt, die sich auf der Bühne nicht mehr zu legitimieren braucht. Einer, der - und das ist im Pop das Wichtigste - über den einen entscheidenden Augenblick gebietet. Er kann einem das Gefühl geben, dass die Zeit still steht und man sich selbst in ihr bewegen kann wie man will: manchmal langsam, manchmal in rasender Geschwindigkeit. Jeder einzelne seiner Köpfe hat die Krone verdient. Lasst uns für ihn singen!

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