Regeln für Vierbeiner:Alles eine Frage der Erziehung

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Im Schäferhundeverein München-West in Lochhausen wird Hunden gutes Benehmen beigebracht. Mindestens ebenso gefordert wie die Vierbeiner sind bei den Kursen jedoch ihre Besitzer

Von Theo Harzer, Lochhausen

Erich Zander ist 61 Jahre alt, ein großer, knuffiger Mann und von Kopf bis Fuß tätowiert. "Als ich 14 war, hab ich mir mein erstes Tattoo stechen lassen." Er stülpt seine Unterlippe nach außen. Zum Vorschein kommt ein Schriftzug. "Vor 15 Jahren mein letztes. Hatte keinen Platz mehr." Zander kam in den Siebzigerjahren als Punker nach München, er arbeitete in einer Kneipe, scherte sich nicht um Regeln und gesellschaftliche Normen. "Andere Menschen waren mir damals scheißegal." Heute resozialisiert er aggressive und ängstliche Hunde im Schäferhundeverein München-West in Lochhausen.

Zander zeigt den Besitzern im Junghundetraining, wie sie ihren Vierbeiner zu einem Familienhund ausbilden. "Meistens ist es der Mensch, nicht der Hund, den man erziehen muss", sagt Zander, denn: Viele Hundebesitzer vermenschlichen das Tier und zeigen ihm nicht, wo sein Platz im Rudel ist. "Dann zeigt der Hund dir den Mittelfinger und tanzt dir auf der Nase herum!" Erich Zander lacht und hält seine bedruckte Faust in die Luft. Er hat sieben Hunde zuhause. "Ich bin das Alphatier, das weiß jeder einzelne von denen."

Manche Hunde strecken dir die Zunge heraus, manche blecken die Zähne: Muriel Schicketanz zeigt, was ihr Vierbeiner kann. (Foto: Catherina Hess)

Beim Tag der offenen Tür im Schäferhundeverein München-West findet man nicht nur reinrassige Kommissare Rex. Auf dem fast 6000 Quadratmeter großen Gelände darf sich jeder Hund austoben: Papillons segeln mit ihren Fledermausohren Gummibällen hinterher, ein Dobermann zerrt sein junges Frauchen Richtung Futternapf, und Border Collies liegen unter den Gartenstühlen, scheinen die Situation zu analysieren.

"Als der Verein 1951 gegründet wurde, hat der Name noch gepasst", erklärt die Vorsitzende Michaela Hertel, 47. "Heute sind wir offen für jeden." Das gilt für die tierischen wie die menschlichen Mitglieder: Muriel Schicketanz ist 22 Jahre alt und studiert Biologie an der Ludwig-Maximilians-Universität. Sie ist seit sieben Jahren im Verein und seit einem Jahr im Vorstand. Schicketanz hat mit ihrer Australian-Cattle-Hündin Nani schon in jungen Jahren an Wettkämpfen teilgenommen. Zum Beispiel im "Agility", einer Hundesportart, bei der man den Hund über einen Hindernisparcours führt, Wippen, Brücken, Slalomstangen und Tunnel sind zu bewältigen. "Bei der bayerischen Jugendmeisterschaft haben wir damals gar nicht schlecht abgeschnitten", schmunzelt Schicketanz.

In der Welpenspielstunde wiederum lernen ganz junge Hunde Sozialverhalten, im Junghundekurs werden Grundbefehle wie "Sitz" und "Platz" verfestigt, und beim Schutzhundesport erlernen die Hunde Fertigkeiten in den Bereichen Unterordnung, Fährtenarbeit und Schutzdienst. Dafür ist Rainer Hanke zuständig. Seine Schäferhündin Cobra sieht gefährlicher aus, als sie ist. Gerade verbeißt sie sich in einen Schutzärmel. "Die Hunde lernen, auf Befehl in den Ärmel zu beißen und wieder loszulassen." Cobra, die Hanke liebevoll Mausi nennt, bleckt zwar die Zähne, gehorcht aber aufs Wort. "Das ist unser Ziel", sagt Michaela Hertel. "Wir wollen ein friedliches Zusammenleben von Hunden, Hundebesitzern und anderen Spaziergängern. Dafür muss der Hund im täglichen Leben auf sein Herrchen hören."

Thomas Trilar ist beim Tag der offenen Tür dabei. (Foto: Catherina Hess)

Neben Gehorsam ist aber auch die Kommunikation von Hund und Mensch wichtig. "Man muss seinen Hund lesen, muss ihm ansehen, was er vorhat", erklärt die Elektrounternehmerin. Ihr eigener Hund ist vor zwei Jahren gestorben. Noch ist sie nicht über den Verlust hinweg, ein neuer Welpe kommt für sie zurzeit nicht in Frage. Trotzdem trainiert Michaela Hertel hier mit Leihhunden, kümmert sich um die Organisation und betreut die Mitglieder. Der Verein ist wie ein zweites Zuhause für sie und die anderen Hundehalter. "Wir haben zum Beispiel eine ältere Dame im Verein, der es gesundheitlich sehr schlecht geht. Dennoch kommt sie jede Woche her, weil sie die Hunde und ihre Freunde braucht", erzählt Hertel.

Aber im Hundeparadies droht der Sündenfall: Vor wenigen Jahren war der Platz noch umgeben von Wald und Wiesen, jetzt sind ein Wertstoffhof und Fabrikhallen hier angesiedelt. Auch der Hundeplatz, den der Verein von der Stadt gepachtet hat, soll wohl bald bebaut werden. "Weil niemand mit uns redet, wissen wir nichts Konkretes, aber Gewerbesteuereinnahmen sind der Stadt sicher lieber als ein Hundeverein", sagt Michaela Hertel betrübt. "Die Hundevereine aus Moosach und Allach mussten schon weichen."

Das erzürnt auch Erich Zander. Als er nach München kam, konnte sich ein Normalsterblicher das Leben hier noch leisten, Vereine konnten auf städtischen Flächen aufblühen, und Subkultur fand man nicht nur in nassen Kellerlöchern. Dank Gentrifizierung und Investorengeschäften droht das alles verloren zu gehen. Zander verabschiedet sich trotz seines Ärgers mit einer Bärenruhe, sein Manchester-Terrier Willard steht brav neben ihm, scheint freundlich zu lächeln. "Der Hund ist das Spiegelbild des Herrn", zwinkert Zander.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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