Prozess:Misslungener Eingriff

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44-Jähriger verklagt Neurochirurg, weil er nach Wirbelsäulen-OP schwerbehindert ist

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Im Ärzte-Ranking von Boulevardzeitungen rangiert der Wirbelsäulen-Operateur ganz oben: "Eine der besten Adressen Münchens." Selbst schwerste Fälle "kriegt er wieder hin". Vor Anfragen von Kollegen, die seine Methoden lernen wollen, könne er sich kaum retten, wird der Neurochirurg gelobt. Solch einem Zeitungsbericht hat auch ein heute 44-jähriger Lastwagenschlosser aus Thüringen geglaubt. Der Mann, den damals schon lange schlimme Rückenschmerzen plagten, hatte sich 2010 von dem Münchner Arzt operieren lassen. Seither ist der Patient zu 100 Prozent schwerbehindert und arbeitsunfähig. Die Schuld daran gibt er dem Doktor und hat ihn verklagt. In der Verhandlung am Montag vor dem Landgericht München I kristallisierte sich heraus, dass der Mediziner bei dem Eingriff womöglich zu schnell und damit nicht penibel genug gearbeitet hat.

"In Thüringen wollte ihn niemand operieren", sagte die Ehefrau des Klägers in einer Verhandlungspause zur SZ. "Zu riskant." Der Münchner Experte habe ihm dagegen zu verstehen gegeben, dass der Eingriff für ihn kein Problem sei.

Wenn die Wirbelsäule instabil wird, etwa durch den Verschleiß einer Bandscheibe, kann eine Versteifungsoperation Schmerzen lindern und helfen, die Alltagstätigkeiten wieder besser zu bewältigen. Dazu wird das "Bandscheibenfach" zwischen den betroffenen Wirbeln ausgeräumt und mit körpereigenem Knochenmaterial wieder aufgefüllt. Dazu können auch sogenannte Cages eingesetzt werden - Platzhalter, etwa aus Kunststoff.

Dieser Eingriff ist bei dem klagenden Patienten im Endergebnis völlig misslungen: Der Mann muss seither ständig starke Schmerzmittel einnehmen und kann kaum noch laufen. Der "Cage" hatte sich verschoben und mit seinen Schrauben Nervenwurzeln verletzt. Eine Reihe von Nachoperationen wurde notwendig - doch die Lebensqualität des Mannes bleibt massiv eingeschränkt.

Der von der Arzthaftungskammer beauftragte Sachverständige, ein früherer Direktor einer Neurochirurgischen Uni-Klinik in Hessen, konnte den Richtern zwar keinen konkreten Behandlungsfehler präsentieren: Ein eher knapp gehaltener OP-Bericht und das vorhandene, für die Begutachtung unzureichende Bildmaterial ließen das nicht zu. Der Experte machte dem Gericht aber klar, dass solch eine Operation in nur 60 Minuten, wie vom Arzt selbst dokumentiert, den Verdacht aufkommen ließe, dass der Chirurg nicht mit der notwendigen Sorgfalt gearbeitet habe. Für solch einen Eingriff würde er selbst 90 Minuten für angemessen halten, von ihm befragte Kollegen sogar bis zu zwei Stunden, sagte der Sachverständige. Zudem biete der Bericht eines nachoperierenden Arztes Anhaltspunkte dafür, dass der Münchner das Bandscheibenfach des Patienten nicht gründlich genug ausgeräumt habe und den "Cage" daher nicht fest genug zusammenpressen konnte. Das Gericht will den Nachoperateur nun als Zeugen anhören, der Prozess wird nicht vor Oktober fortgesetzt.

© SZ vom 05.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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