Prozess am Landgericht:Tagesmutter weist Vorwürfe der Kindsmisshandlung zurück

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  • Eine Tagesmutter steht vor Gericht, weil sie einen Säugling in ihrer Obhut so heftig geschüttelt haben soll, dass dieser massive Hirnblutungen erlitt.
  • Das Kind ist seitdem schwerstbehindert.
  • Die Tagesmutter weist die Vorwürfe von sich. Sie behauptet, der Junge sei auf den Kopf gefallen.

Aus dem Gericht von Susi Wimmer, München

"Für die Eltern", sagt der Großonkel, "ist es ein einziges Martyrium." Wobei ein Wort wohl kaum das Leiden der Eltern beschreiben kann: Seit Mittwoch steht eine 54 Jahre alte Tagesmutter vor dem Landgericht München I, der vorgeworfen wird, den zehn Monate alten Säugling des Paares derart geschüttelt zu haben, dass dieser massive Hirnblutungen erlitt. Bis heute muss der mittlerweile fast Zweijährige über eine Sonde ernährt werden, er kann weder sitzen, stehen oder laufen. Die Tagesmutter leugnet einen Übergriff. Der Bub habe sich am Lego-Korb festgehalten und sei rückwärts auf den Kopf gefallen.

Die Eltern selbst wohnen dem Prozess nicht bei. Sie sind vertreten durch einen Rechtsanwalt - und durch Opa und Großonkel. Die Familie muss durch die Hölle gegangen sein. Seit dem 19. September 2016, an dem ihr Bub mit Hirnblutungen in eine Klinik eingeliefert wurde. Die Tagesmutter hatte an jenem Nachmittag den Notarzt gerufen. Der Bub kam in eine Kinderklinik, dann in die Kinderpalliativstation des Klinikums Großhadern.

Dort plädierte die Ethikkommission des Klinikums, aufgrund der Schwere der Hirnschädigung die künstliche Beatmung einzustellen. Die Eltern stimmten zu. Nach der Extubation atmete der Bub jedoch eigenständig weiter. Es konnte aber keine elektrischen Hirnaktivität festgestellt werden. Das heißt, das Kind reagierte weder auf akustische Reize noch Schmerzreize. Der Bub wird sein Leben lang schwerstbehindert bleiben, so formuliert es die Anklage.

Als Tagesmutter Angelika S. aus der Untersuchungshaft in Saal B 273 vorgeführt wird, zieht sie den Kopf nicht ein. Sie versteckt ihr Gesicht nicht vor den Presse-Fotografen und entledigt sich schwungvoll ihres Mantels. Als Staatsanwältin Nina Prantl die Anklageschrift verliest, zuckt sie nur kurz mit dem Mundwinkeln an der Stelle, an der ihr vorgeworfen wird, dass sie den Buben geschüttelt habe, weil er nicht schlafen habe wollen. Es ist ein selbstbewusster Auftritt der gebürtigen Wolfratshauserin, und auch wenn sie aus ihrem Leben erzählt, vermittelt sie den Eindruck, eine patente Frau zu sein.

"Es war sehr emotional. Ich bin ein emotionaler Mensch"

Seit 20 Jahren betreut sie fremde Kinder, obwohl sie selbst drei eigene großgezogen hat. Nach abgebrochener Lehre und einem Bürojob in Geretsried sei sie zu ihrem späteren Ehemann nach München gezogen. Sie habe sich ihr eigenes Geld verdienen wollen, sagt sie. So fing sie nach der Geburt der beiden Töchter an, als Tagesmutter zu arbeiten. Bis zu fünf fremde Kinder waren bei ihr zu Hause. "Ich habe das nie als stressig empfunden, es hat mir Spaß gemacht", sagt sie. Als die Ehe in die Brüche ging, zog sie nach Oberföhring. Ihre neue Partnerschaft, eine On-Off-Beziehung, wie sie sagt, sei "eine Katastrophe" gewesen. "Es war sehr emotional. Ich bin ein emotionaler Mensch." Im August 2016 war sie mit ihrem früheren Ehemann noch mal in Urlaub gefahren, wobei ihr klar geworden sei: Diese Beziehung war zu Ende.

Seit Sommer 2016 war auch klar, dass ihre Verträge mit den Eltern nun über das Stadtjugendamt liefen, dabei ging es um geförderte Plätze und Zuschüsse. Künftig sollte sie pro Kind mehr verdienen, 870 Euro pro Monat, doch im September ließen die Zahlungen auf sich warten. Finanzielle Rücklagen, so sagt die 54-Jährige, habe sie nicht. Die Frau hatte bereits einmal vor Gericht gestanden. Damals wurde ihr vorgeworfen, sie habe ein Mädchen in ihrer Obhut geohrfeigt. Das Verfahren wurde gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt. "Aber ich habe ihr nichts getan", versichert Angelika S. nun vor Gericht.

Im Juli 2016 kamen die Eltern des zweijährigen Buben mit ihm zur Eingewöhnung. Er habe "mehr geweint als andere Kinder", sagt die Angeklagte, "so ein Intervallweinen." Und er habe sich immer wieder an den Kopf gefasst. Im September habe die Betreuung begonnen, wie immer mit fünf Kindern. Schon beim Vormittagsschlaf habe der Bub geweint. Als sie zum Kochen in der Küche war, habe sie ihn am Lego-Korb gesehen und dann einen dumpfen Knall gehört. Das Kind sei schreiend auf dem Rücken gelegen. "Ich hab den Kopf angeschaut und nichts Auffälliges gesehen." Er habe nichts essen wollen, sie habe ihn hingelegt - dann wurde der Bub nicht mehr richtig wach. In dem Prozess, der am Montag fortgesetzt wird, werden medizinische Gutachten eine wichtige Rolle spielen, die die Verletzungen einordnen sollen. Die Verteidigung hat ein eigenes Gutachten anfertigen lassen.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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