Protest:München singt gegen Pegida an

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200 Islamfeinde stehen am Samstag 2500 Gegendemonstranten gegenüber. Als riesiger Chor übertönen sie die rechten Parolen mit Liedern. Die Polizei setzt Pfefferspray gegen ein paar Autonome ein, ansonsten ist der Protest friedlich und fantasievoll

Von Martin Bernstein und Anna Hoben, München

Kurz vor halb zwei am Nachmittag geht ein junger Mann durch die Menge am Max-Joseph-Platz, er hält einen weißen Kittel hoch. "Braucht noch jemand einen Arztkittel?" Eine Frau verteilt Liederhefte. "Fürchtet euch nicht, Pegida, wir helfen euch heim", steht darauf. Und dann geht auch schon die Chorprobe los. "Schön, dass so viele Ärztinnen und Ärzte es trotz Pflegenotstand hergeschafft haben", begrüßt Matthias Weinzierl von Bellevue di Monaco die Leute von der Bühne aus. Er bittet dann noch darum, sich nicht zu vermummen. "Mundschutz ist heute nicht angesagt." Wäre auch kontraproduktiv, schließlich sind die Menschen gekommen, um ihren Mund aufzumachen.

Protest muss sein an diesem Samstag, das empfinden viele Münchner so. "Pegida Dresden" hat sich in München angekündigt. Gründer Lutz Bachmann soll dabei sein und der Münchner Michael Stürzenberger. Gleich an mehreren Orten wollen die Münchner indes zeigen, dass auch "das Original" von Pegida in ihrer Stadt nicht erwünscht ist: am Isartor, am Marienplatz, am Max-Joseph-Platz und am Gärtnerplatz.

Und auch dazwischen, entlang der geplanten Pegida-Marschroute. Die Idee des Protests auf dem Max-Joseph-Platz, zu dem ein Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Kultureinrichtungen, Initiativen und Prominenten aufgerufen hat: Fremdenfeindlichkeit, Hass und Rassismus sind heilbar. Diese Pathologisierung hat im Vorfeld nicht allen uneingeschränkt gefallen - die Idee mit dem Gesang gegen rechts dafür umso mehr. Mehr als 35 Chöre sind gekommen, um ihre Meinung singenderweise kundzutun, insgesamt stehen laut Schätzungen der Polizei 2000 Menschen auf dem Platz. Die Bayerische Staatsoper hat Banner aufgehängt, auf denen steht "Humanität, Respekt, Vielfalt". Das Residenztheater zitiert Immanuel Kant: "Ursprünglich aber hat niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht als der andere." Es ist eine bunte und fantasievolle Veranstaltung, die Demonstranten sind gut gelaunt - trotz der Kälte. Manche schwenken Blumensträuße, andere Fahnen, eine Regenbogenfahne ist zu sehen und die Europaflagge.

Gegendemonstranten singen sich auf dem Max-Joseph-Platz vor der Oper warm. (Foto: Johannes Simon)

Auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) steht auf der Bühne. "Wir werden hier und heute und immer wieder beweisen, dass wir sie hier nicht haben wollen", sagt er. Sie, die Fremden- und Islamfeinde von Pegida, die selbsternannten Retter des Abendlandes vor einer angeblichen Islamisierung. "Es geht ihnen nur darum, die Gesellschaft zu spalten", sagt Reiter. Doch da seien sie in München falsch. Die Lebensqualität und Attraktivität der Stadt hingen "ganz entscheidend von der Vielfalt der Menschen ab, die hier leben".

Menschen wie Iman Othman zum Beispiel. Die 17-jährige Auszubildende trägt keinen weißen Arztkittel, aber ein pinkes Kopftuch. Warum sie heute hier sei? "Weil es wichtig ist, heute hier zu sein." Und außerdem: "Ich wurde oft genug von denen angepöbelt, da kann ich auch mal zurückpöbeln." Was heißt da pöbeln - sie singt ja nur. Mit "Bella Ciao" geht es los, dem italienischen Widerstandsschlager, instrumental begleitet von Mitgliedern der Münchner Express Brass Band.

"Das war in meiner Jugend das Lied", sagt Heide Böttger, 78. Sie ist mit ihrer fünfjährigen Enkelin Franziska zum Protest gekommen, "weil ich schon immer engagiert war bei diesen Fragen, und weil ich es bedenklich finde, was zurzeit passiert". Franziska hüpft um ihre Großmutter herum, gleich wollen sie zum Marienplatz laufen, um die Pegidisten singend und schmetternd zu übertönen.

Schnelle Lieder funktionieren am besten, zeigt die Chorprobe, "Bella Ciao" eben und "Schrei nach Liebe" von Die Ärzte. Bei den getrageneren Songs muss Weinzierl die Menge immer wieder antreiben. "Das geht noch ein bisschen lauter", ruft er nach John Lennons Friedenshymne "Imagine". Außerdem auf dem Programm: der Gefangenenchor aus Giuseppe Verdis Oper "Nabucco", Michael Jacksons "We are the world" und Beethovens "Ode an die Freude". Und dann ist auch schon eine Stunde rum und die Protestsänger machen sich auf zum Marienplatz, wo die Pegidisten ihre Auftaktkundgebung abhalten. Auch dort sind ihre Gegner in der Überzahl. Ein kleiner Junge steht auf der Mariensäule, direkt unter dem Putto, der den Drachen niederringt, und hält voller Stolz ein Plakat in die Höhe, auf dem ein selbst gemaltes Tier das tut, was der kleine Münchner sich wünscht: "Nazis wegpupsen", aber mit einem Herzchen dahinter.

Die Polizei - sie hat 500 Beamte im Einsatz - hat einen Teil des Platzes großzügig abgesperrt. "Vorsichtig" rechnete Pegida-Organisator Stürzenberger im Vorfeld mit 250 Anhängern. Am Ende verlieren sich gerade einmal halb so viele in dem Absperrbereich vor dem Rathaus, umgeben von rund 2500 Gegendemonstranten. Sie singen: "Alle Menschen werden Brüder."

Nun, alle vielleicht nicht - die Islamfeinde, die laut Polizei aus dem ganzen Oberland angereist sind, und die Münchner Zivilgesellschaft trennt mehr als nur rot-weiße Absperrgitter. "Schreikinder" seien die Demonstranten, wettert Siegfried Däbritz, einer der Pegida-Anführer aus Dresden. Und Stürzenberger kühlt sein Mütchen an den einstigen Parteifreunden von der CSU und beschwört "Schimpf und Schande über diesen neuen Ministerpräsidenten und über den Heuchler Josef Schmid" herbei. Nur Lutz Bachmann sagt nichts. Genau genommen sieht es so aus, als sei er gar nicht gekommen. Dann macht ein Gerücht die Runde: "Der sitzt im Bus." In einem geparkten, blauen VW mit Meininger Kennzeichen. Auch als sich der Pegida-Marsch in Bewegung setzt, tut er das ohne seinen Gründer.

Mit 250 Anhängern hat Pegida-Organisator Stürzenberger im Vorfeld "vorsichtig" gerechnet, im Absperrbereich vor dem Rathaus sind schließlich nur halb so viele da - umgeben von rund 2500 Gegendemonstranten. (Foto: Johannes Simon)

Neonazis, wie bei der Münchner Pegida üblich, wolle man nicht dabei haben, hat Stürzenberger im Vorfeld versichert. Die Münchner NPD-Chefin Renate Werlberger hält sich deshalb beim Umzug dezent im Hintergrund. Doch die bei Rechtsradikalen beliebte Parole "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen" tönt mehrfach durchs offizielle Pegida-Megafon. Stürzenberger gibt den Takt vor: "Maria statt Scharia", "Festung Europa! Macht die Grenzen dicht!", skandiert er. Oder: "Wir sind Pegida, wir kommen wieder!" Zunächst aber muss er seine "in der Spitze", wie die Polizei sagt, 200 Anhänger über den Rundkurs wieder zurück zum Marienplatz lotsen.

Die Polizei hat wegen einiger Engstellen Bedenken. Am Isartor, wohin etwa 400 Gegendemonstranten vom Gärtnerplatz aus gezogen sind, gibt es einen ersten Durchbruchversuch aus den Reihen des Schwarzen Blocks, einen weiteren an der Maximilianstraße. Polizisten drängen die Autonomen zurück, setzen auch Pfefferspray ein. Zehn Anzeigen werden erstattet. "Randerscheinungen", sagt die Polizei später. Deren Sprecher Marcus Da Gloria Martins wird erleichtert bilanzieren, wieder einmal hätten die Münchner gezeigt, wie große Versammlungen friedlich und gewaltfrei durchgeführt werden können.

Der Protest am Samstag ist kreativ und friedlich, Ärger mit der Polizei gibt es kaum. (Foto: Johannes Simon)

Bei der Schlusskundgebung am Marienplatz ist dann auf einmal Lutz Bachmann doch da. Eine Stunde lang hat er in einem Volkswagen gewartet und seine 200 Anhänger, "Wir sind das Volk!" skandierend, allein durchs Graggenauviertel laufen lassen. Man werde wiederkommen, verkündet Bachmann den gegen ihn protestierenden Münchnern. Und beschimpft sie als "Affen". Die Münchner singen darüber hinweg: "Bella Ciao!"

© SZ vom 19.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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