Projekt "Munich Central":Das neue Zentrum

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Gemüsestände, Sexshops und jede Menge Geschichten: Die Kammerspiele erklären mit dem Projekt "Munich Central" die südliche Hauptbahnhofgegend zum Zentrum Münchens.

Lisa Sonnabend

Ist das eigentliche Zentrum Münchens womöglich gar nicht der Marienplatz, sondern die Gegend südlich vom Hauptbahnhof? Also die Goethe-, Schiller- und Landwehrstraße, wo sich ein Gemüseladen an den nächsten reiht, wo es vor Dönerbuden nur so wimmelt und wo Männer unauffällig in Sexshops verschwinden?

Das Festivalbüro in der Goethestraße 30: Der Ausländische Elternverein trifft sich hier regelmäßig. (Foto: Foto: Umpfenbach/oh)

Dieser Ansicht sind zumindest die Münchner Kammerspiele. Sie haben ein Projekt gestartet, das den selbstbewussten Namen "Munich Central" trägt. Die Kammerspiel-Künstler machen sich auf die Suche nach einer idealen urbanen Gesellschaft - und vermuten, in der Hauptbahnhofgegend fündig zu werden.

Wer lebt eigentlich hier? Was macht diese womöglich ideale urbane Gesellschaft aus? Wird sie womöglich bereits wieder durch die Gentrifizierung bedroht? Darauf sucht "Munich Central" derzeit Antworten. Die Eindrücke werden zu verschiedenen theatralen Projekten verarbeitet, die ab dem 4. Juni an verschiedenen Orten im Viertel aufgeführt werden. Dabei wirken immer mit: die Bewohner.

"Hier leben Moslems, Juden, Christen und Menschen aus vielen Nationen an einem Ort zusammen - und das funktioniert", sagt Regisseurin Christine Umpfenbach. Außerdem gebe es viele kleine Läden und Lokale. "Man hat Kontakt mit den anderen Bewohnern. Das finde ich idealer, als wenn es nur anonyme Ketten gibt", sagt die 39-Jährige.

Zunächst einmal sollen sich bei dem Projekt die Bewohner des Viertels kennenlernen und vernetzen. Deswegen wurde vorübergehend ein Festivalbüro in der Goethestraße 30 eröffnet, in einem leer stehenden Supermarkt. Ein großer Tisch mit Stühlen steht bereits, bald sollen auch ein Café und eine Bar eröffnen. An diesem Vormittag sind gerade zwei Mitarbeiter dabei, einen Teppich zu verlegen. In dem Büro können die Bewohner des Viertels vorbeischauen, sich austauschen und Probleme oder Wünsche loswerden. Und das tun sie.

Passanten bleiben draußen stehen, blicken neugierig durch die großen Fensterscheiben. "Manchmal muss man ein wenig nachhelfen und sie hineinbitten auf einen Tee", sagt Umpfenbach. Jeder Bewohner kann täglich zwischen 13 und 16 Uhr in dem Büro in der Goethestraße vorbeischauen - ob Gemüsehändler, Spaziergänger oder Mitarbeiter einer IT-Agentur. Matthias Weinzierl vom Bayerischen Flüchtlingsrat überlegt dann mit den Interessenten, wie sie bei dem Projekt mitwirken können.

An der Wand im Festivalbüro hängt ein riesiger Stadtplan des Viertels. Nach und nach soll dieser mit den Geschichten der Bewohner bestückt werden. Das Fitnessstudio in der Schillerstraße, in dem Arnold Schwarzenegger in seiner München-Zeit trainierte, ist bereits verzeichnet. Auch der Ausländische Elternverein und eine Gruppe von Leiharbeitern, die hier ihre Treffen veranstalten, haben sich verewigt. Ebenso wie Gina, ein irakischer Flüchtling. Sie ist vor ein paar Jahren mit ihren drei Kindern alleine nach München gekommen. Heute arbeitet sie in dem Trachtenladen in der Goethestraße. Ziel des Projektes ist es, das Viertel neu zu kartographieren.

Die Erfahrungen der Bewohner verarbeiten die Künstler, Regisseure und Journalisten der Kammerspiele zu theatralen Projekten, die dann im Juni während eines dreiwöchigen Festivals der Öffentlichkeit gezeigt werden.

Bei "24 Stunden" zum Beispiel wird es zweistündige Rundgänge geben, die sich mit den Leuten aus dem Viertel beschäftigen. An einem Tag von 6 bis 8 Uhr in der Früh geht es zum Beispiel um den Aufbau der Obststände, gegen Mittag um die Polizeistreife und um 22 Uhr dann um einen Nachtportier und die Ausgehszene im Viertel.

Außerdem ist ein Theaterstück in Zusammenarbeit mit dem Drogennotdienst L43 in der Landwehrstraße geplant, bei dem Berliner Schauspieler den Zwang, den Dingen einen Namen zu geben, untersuchen. Und ein Stück mit Straßenmusikern und Schauspielern im Turm der St. Paul Kirche, das sich mit Ernst Jüngers utopischen Roman "Heliopolis" beschäftigt.

Am Hauptbahnhof neben dem Gleis 11 steht ein Bunker. In den fünfziger und sechziger Jahren kamen hier die ersten Gastarbeiter an und wurden von einem Arbeitsvermittler empfangen. Nun wird hier ein Theaterstück, das auf den Erfahrungen der Gastarbeiter beruht, aufgeführt. 20 Zeitzeugen haben Umpfenbach ihre Geschichte erzählt. Zum Beispiel Nicolo, der ein Jahr nachdem er nach München gekommen war, eine Deutsche heiratete. Seine Geschichte handelt von der Schwierigkeit ihrer Beziehung, da die Gesellschaft damals noch nicht so offen war wie heute.

Natürlich werden die Theateraufführungen alle in der südlichen Hauptbahnhofgegend stattfinden. Im neuen Zentrum von München.

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