Präsidenten beim TSV 1860 München:König der Löwen

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Enter Erich Riedl (Mitte) stieg 1860 in die Bayernliga ab. (Foto: SZ Photo)

Einer musste sich nach dem Abstieg im Bundestag verspotten lassen, einer verkaufte die Seele der Löwen und einer wurde von einem Indio im Dschungel niedergestreckt: Hep Monatzeder tritt als Präsident beim TSV 1860 München ein sehr schweres Amt an - von seinen Vorgängern kann er einiges lernen.

Von Gerhard Fischer

Der Indio hatte eine Machete in der Hand, er schlug zu und traf Adalbert Wetzel mitten am Körper. Die Bauchdecke wurde aufgeschlitzt, viel Blut muss gespritzt sein. Wetzel überlebte, knapp und mit Glück, und alles, was später in seinem Leben kommen sollte, würde den Mann nicht mehr schrecken können. Auch der TSV 1860 München nicht.

Wetzel war zwischen 1952 und 1969 Präsident bei 1860, er ist eine Legende, einer der wenigen Löwen-Präsidenten, über die man nicht lacht oder schimpft. Als er Boss war, wurde 1860 Meister. Lange her.

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Adalbert Wetzel wurde 1904 als Sohn eines Bäckers in Kißlegg im Westallgäu geboren. Offenbar war ihm diese Welt zu klein, denn mit 17 Jahren riss er aus; er schlug sich nach Hamburg durch und fuhr zur See. Wetzel landete in Südamerika, lernte Spanisch und Englisch, suchte nach Öl, wurde reich, verlor das Geld wieder, erkrankte an Malaria und Schwarzwasserfieber, ging zu Fuß von Kolumbien nach Venezuela - und wurde im Dschungel von einem Indio niederstreckt. Er kehrte danach zurück nach Deutschland, wo der Zweite Weltkrieg tobte, Wetzel überlebte auch diesen, wurde Manager des Bürgerbräukellers (und später Direktor bei Coca-Cola) und am 24. Juni 1946 Mitglied des TSV 1860 München. 1952 wurde er Präsident der Löwen.

Als 1963 die Bundesliga eingeführt wurde, wusste Wetzel, was zu tun ist: Der Präsident, der eine Hypothek auf sein Privathaus in Harlaching aufnahm, pumpte Geld in die Mannschaft, eigenes und welches vom Verein; am meisten verdiente der Trainer, von dem sich Wetzel nicht weniger erhoffte als die Meisterschaft. Die Zeit schrieb damals, Max Merkel habe 132 000 Mark jährlich bekommen, "plus Spesen extra". Wetzel habe den Vertrag mit Merkel "mit Beistand des inzwischen abgesetzten Kassierers der Fußballabteilung hinter dem Rücken des übrigen Vorstandes" abgeschlossen. Das habe zu "schweren Auseinandersetzungen im Verein geführt".

1965 erreichten die Löwen das Finale des Europapokals der Pokalsieger (und verloren gegen West Ham United), 1966 wurden sie Meister. 80 bis 90 Prozent der Schüler in der Region hielten damals zu den Blauen. Und die Roten? Kaum der Rede wert.

Im Jahr nach der Meisterschaft rebellierten die Spieler gegen den autoritären Trainer, Max Merkel musste gehen. Adalbert Wetzel trat als Fußball-Abteilungsleiter zurück und 1969 auch als Präsident. Er starb im Februar 1990, kurz vor seinem 86. Geburtstag, in einem Münchner Krankenhaus. Eine Münchner Zeitung titelte: "Der Löwe ist tot."

Auf Wetzel folgten zwei CSU-Politiker, der Staatssekretär Franz Sackmann - und Erich Riedl, der sich selbst für einen profilierten Haushaltsexperten im Bundestag hielt. Riedl sah aus, wie CSU-Politiker damals aussahen: Hornbrille, Doppelkinn, gedrungen. Ein bisschen wie Strauß eben. Zweimal stiegen die Löwen mit Riedl in die Bundesliga auf (und zweimal wieder ab) und anfangs hatte er durchaus passable Ideen: 1975 kostete jede Eintrittskarte eine Mark mehr - das Geld sollte dazu dienen, die Mannschaft zu verstärken.

Diese Verstärkungen kamen auch, etwa die Nationalspieler Jupp Kapellmann und Heinz Flohe. Aber sie waren teuer, Riedl überhob sich, mit Spielergehältern, mit Trainergehältern, mit allem. 1982 hatte der TSV 1860 acht Millionen Mark Schulden und verlor die Lizenz. Die Löwen mussten in die Bayernliga, und Erich Riedl, der als Politiker mit dem Slogan "Wir bringen Ihre Finanzen in Ordnung" geworben hatte, musste gehen. Er hatte die Löwen "so umsichtig geführt wie Schiffskapitän John Smith 1912 seine Titanic", schrieb die Abendzeitung.

Sogar im Bundestag musste sich Riedl verspotten lassen. "Sie Absteiger, Sie!", rief ihm Herbert Wehner zu. Hinterher, im Parlamentspissoir, soll Wehner - so Riedl - versöhnlicher gewesen sein. Der SPD-Politiker soll gesagt haben: "Nicht dass Sie meinen, ich hätte was gegen 1860 München. Ist ja ein alter Arbeiterklub."

Riedl blieb Politiker, man warf ihm vor, er habe bei Panzerlieferungen Provisionen kassiert, später legte er sich mit den Strauß-Kindern an, 1998 flog er aus dem Bundestag. 2004 hörte man noch mal von ihm, es war eine ungewöhnliche Meldung: Er habe "als Berater der linken MPLA- und Unita-Nachbürgerkriegs-Regierung in Angola eine neue Herausforderung angenommen". Der Spiegel zitierte ihn so: "I sag denen (der angolanischen Regierung) immer, Korruption gibt's bei mir net."

Auf Riedl folgten weitere bunte Präsidenten, wie sollte es anders sein: Richard "Ritschie" Müller war früher Masseur beim FC Bayern und Laienprediger, der Bauunternehmer Karl Heckl steckte angeblich Millionen in den TSV 1860, aber die übergewichtigen Jugoslawen und die stolpernden Isländer, die er verpflichtete, konnten den TSV 1860 nicht nach oben schießen. In Erinnerung blieb auch, dass er eine Liaison mit Beatrice Prinzessin von Anhalt pflegte, die ein adoptierter Adel war und früher Thurnhuber hieß. Übrigens, nach Heckl soll sogar Hans-Hermann Weyer, der "schöne Konsul", als Präsident im Gespräch gewesen sein. Es wurde nichts daraus. Erstaunlicherweise.

Es kam schließlich der heute noch bestens bekannte Karl-Heinz Wildmoser, Großgastronom und Wiesnwirt. Mit ihm stieg 1860 von der Bayernliga in die Bundesliga auf und erreichte sogar die Qualifikationsrunde zur Champions League. Aber er nahm den Fans ihre Heimat, das Grünwalder Stadion, die Seele der Löwen ging vor die Hunde, der Verein wurde gespalten in Wildmoser-Anhänger und Wildmoser-Hasser. Dieser Graben besteht heute noch.

2003 musste Wildmoser wegen Steuerhinterziehung 27 000 Euro Geldstrafe zahlen. Es ging dabei um verdeckte Gehaltszahlungen an Spieler des TSV 1860, aber das war nur Pipifax gegen das, was 2004 geschah, als ein 2,8 Millionen schwerer Schmiergeldskandal um die Allianz Arena sogar zur Topmeldung der Tagesschau avancierte: Beide Wildmosers, Vater Karl-Heinz und Sohn Heinzi, wurden festgenommen. Es wurde ihnen Untreue und Bestechung vorgeworfen, der Vater war drei Tage in U-Haft, der Sohn musste länger ins Gefängnis. Der Senior trat kurz nach seiner Freilassung zurück.

Fans pinkelten auf sein Auto, als er am 15. März 2004 vom Vereinsgelände fuhr. Zwei Monate später stieg 1860 in die Zweite Liga ab und war so gut wie pleite. Mit diesem Erbe schlugen sich seitdem herum: der überforderte Karl Auer, Alfred H. Lehner, an den sich vielleicht sieben bis acht Leute erinnern werden, der eigenartige Albrecht von Linde, der sich immer mit Geschäftsführer Ziffzer stritt, der blasse Rainer Beeck - und zuletzt der tapfere Dieter Schneider.

Im Juli 2010 wurde Karl-Heinz Wildmoser ins Krankenhaus eingeliefert, wo ihn Reporter eines Boulevard-Blattes besuchten. Am nächsten Tag lächelte Wildmoser dem Leser entgegen, er machte das Victory-Zeichen. Wenige Stunden später war er tot. Auch das ist irgendwie 1860 München.

© SZ vom 15.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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