NullAchtNeun:Kuh, Drossel und Rousseau

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Eine ausbrechende Kuh beschäftigt die Polizei, die einen Hubschrauber einsetzt. Die Verwilderung der Stadt schreitet voran.

Karl Forster

Die Meldung ist zwar jetzt schon eine gute Woche alt, aber in diesem Falle tut das nichts zur Sache. Es ging darum, dass eine Kuh der Verladung zum letzten Weg ("dead cow walking") durch Flucht entkam, worauf der Ismaninger Biobauer die Polizei um Hilfe rief, welchselbige wiederum eine größere Suchaktion startete, die ihren Höhepunkt darin fand, dass ein weißgrüner Hubschrauber des Fabrikats EC 135 aufstieg zur Kuhjagd.

Die Stadt verwildert. Kühe tragen ihren Teil dazu bei. (Foto: Foto: dpa)

Es war dann eigentlich alles vergebens, weil der Bauer die Kuh doch selber fand, friedlich grasend in der Nähe eines Bahngleises. Was aber insofern die Aussage der Polizei stützt, dass man wegen des Gefahrenpotentials, das eine Kuh darstellt (Straße, Bahn), mit der ganzen Armada ausgerückt sei. Trotzdem stellt sich die Frage, ob es angemessen ist, eine Kuh mit einem Helikopter zu suchen, der an die sieben Millionen Euro teuer ist und dessen Betriebsstunde mit 3000 Euro kalkuliert wird. Zweimal 706 PS gegen eine Kuhkraft? Jetzt wären eigentlich die Stichworte Mücke/Elefant, respektive Verhältnismäßigkeit der Mittel fällig.

Doch ist dieser Vorfall mehr als nur die mögliche Verschwendung von Steuergeldern, zeigt er doch auf, welcher Art das Verhältnis heutzutage ist zwischen Mensch und Tier. Früher, auf der Alm, da hat der Senn die Kühe gehütet, und wenn eine abends abgängig war, ist er losgestiefelt in der Hoffnung, sie dank der Kuhglocke orten zu können.

Nie hätte er daran gedacht, die Polizei zu rufen. Auch nicht unter dem Aspekt der Fremdgefährdung, welcher ja durchaus relevant ist in solchen Fällen: Man stelle sich vor, die Kuh stürzt ab und fällt einem Bergwanderer auf den Kopf! Aber damals betrachtete man solche Unfälle noch als Kollateralschaden des aufkeimenden Tourismus.

Heute hat sich das alles ins Gegenteil verkehrt. Beklagte man noch vor nicht allzu vielen Jahren das Phänomen, in der Großstadt München würden urbanisierte Tiere heimisch wie etwa Fuchs und Marder (letzterer auch als Bremsleitungsfresser), so kämpfen heute Tier- und Naturschützer Hand in Hand für mehr Verwilderung der Metropole, auf dass, wenn schon nicht Fuchs und Marder, so doch Fink und Drossel hier nicht heimatlos werden.

Rousseaus Ruf "Zurück zur Natur" hallt heute von den Betonwänden der Stadt wider, deren Bewohner unter anderem deshalb nicht ins Grüne ziehen, weil dort die Mücke sticht, die aber wiederum von Fink und Drossel gerne verspeist wird. Ein seltsames Paradoxon.

Denkt man solche Gedanken weiter (an ein Ende wird man wohl nie kommen), so müssten auch im Englischen Garten künftig Kühe weiden mit Glocken um den Hals, damit sie, wenn sie ausbüxen, auf der Leopoldstraße wieder gefunden werden. Ohne Hubschraubereinsatz.

Dann könnte man sagen: Die Natur ist wieder heimisch geworden in der Stadt. Allerdings dürfte man gewiss sein, dass sich einer findet (das muss nicht zwangsläufig ein Zuagroaster sein), der gegen den Klang der Kuhglocken Klage einreicht.

© SZ vom 29.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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