Null Acht Neun:Mut zur Mutlosigkeit

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Selten wirkte München so mut- und ideenlos wie derzeit. Dabei böten all die vakanten Posten und arbeitslosen Promis doch so viel Chancen für Kreativität

Kolumne von Christiane Lutz

Mutlose Zeiten sind das. Mutlos und unkreativ. In München wollen gerade sehr viele Menschen gern an der Vergangenheit festhalten. Oder, noch besser, an irgendwas, das noch früher da war. Auf Neues haben sie keine Lust. Das Maxwerk an der Isar zum Beispiel gammelt vor sich hin und gäbe eine famose gastronomische Einrichtung mit famoser Dachterrasse ab. Aber nein, Bezirksausschüssler und Demonstranten wollen "keinen Ballermann am Maxwerk". Also: keine Musik von Jürgen Drews und kein Alkohol aus Eimern. In München wird sich kultiviert besoffen.

Die kreativen Energien der vergangenen Monate entluden sich ausschließlich im Umgang mit den Leihfarrädern Obike. Die knotete der Münchner leidenschaftlich gern um Ampelpfosten, schleppte sie auf Hausdächer und arrangierte sie zu anklagenden Radlhaufen. Nun sind die Obikes fast alle weg, zurück bleibt eine weinerliche Stadt ohne Mut und Ideen.

Teure Wohnungen, kein Ballermann-Besäufnis auf Dachterrassen, Jupp will den FC Bayern nicht mehr haben, und jetzt verlässt auch noch Matthias Lilienthal die Kammerspiele, was die Stadt auf der Mutlosigkeitsskala irgendwo zwischen Zwickau und Schwäbisch Hall abrutschen lässt. Dabei sind die unkonventionellen Lösungen oft so nah, wenn man sich traut, mal outside the box zu denken, wie die Amerikaner sagen.

Statt jetzt einen erwartbaren Niko Kovac zu holen, hätte der FC Bayern zum Beispiel Matthias Lilienthal verpflichten müssen. Lilienthal könnte seine künstlerischen Visionen in der Fröttmaninger Arena auf ein ganz neues Level heben, da ist eh mehr Platz. Für Lilienthal wäre die größte Umstellung vermutlich nur, dass es statt Pausensekt Stadionwurst gäbe - was aber eine Verbesserung darstellen dürfte. Ansonsten: Drama hier wie dort, ab und zu rennt ein Nackter über den Platz. Wär doch eine gute Idee. Sollen sich alle Beteiligten bitte noch mal überlegen.

Die verwaisten Kammerspiele würde man aber ungern in die Hände von Ex-Kunstminister Ludwig Spaenle wandern sehen, der ja auch noch auf eine kreative Lösung wartet. Nein, der soll lieber bei Lilienthal in der Arena Karten kontrollieren. Vielleicht könnte man ja Thomas Tuchel noch umstimmen, das Theater zu leiten. Von Sprechtheater mag er wenig Ahnung haben, aber hey: Er weiß, wie man ein Haus vollkriegt. Außerdem ist Tuchel ein bayerischer Schwabe, also so was Ähnliches wie ein richtiger Bayer. Dem derzeit keine Abos mehr kaufenden Abopublikum könnte das gefallen. Seit Freitag sucht auch der ungeliebte, "der macht das Theater zur Eventbude"-Volksbühnen-Intendant Chris Dercon wieder einen Job. In München war er mal als Chef des Hauses der Kunst erfolgreich. Inzwischen eignet er sich aber höchstens als Dachterrassenpächter. Denn Dercons Kunst wäre nach der neuen Mut-Offensive der Stadt leider viel zu gestrig.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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