Null Acht Neun:München, deine Lieder

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Über einen musikalischen Unfall mit Totalschaden

Von Rudolf Neumaier

Oft bebt es in die Provinz hinaus, wenn in München das sprichwörtliche Radl umfällt. Da braucht nur der ehrenwerte arabische Mäzen eines Sportvereins präpotente Journalisten maßregeln oder ein Eichhörnchen in einem Gullydeckel steckenbleiben, schon geilen sich die Leute da draußen an den irren Geschichten aus der großen Stadt auf. München hat schon was, keine Frage. Manchmal bebt's aber auch in die Stadt herein, wenn sich in exotischen Gegenden wie Schwaben, Franken oder der Oberpfalz Katastrophen ereignen. Zuletzt am deutlichsten vernehmbar war ein musikalischer Unfall mit Totalschaden. In Regensburg haben zwei junge Sangesmenschen, eine Frau und ein Mann, ein Lied mit Instrumentalbegleitung aufgenommen, das sie "Stadthymne" nannten und im Internet veröffentlichten.

Dieser eklatante Vorgang hallt inzwischen auch in München nach. Es gibt ziemlich viele Exulanten hier, die aus Regensburg geflohen sind. Zu bratwurstselig, zu neureich, zu spendensumpfig, sagen sie. Gemütlichkeitsflüchtlinge. Ihr Urteil über die Youtube-Aufführung der "Stadthymne Regensburg" fällt einhellig aus: schauderhaft. Sie ist dichterisch wie musikalisch und dann zwangsläufig auch interpretatorisch im, man kann es nicht anders sagen, Gullydeckel steckengeblieben und einer Hymne im herkömmlichen Sinn unwürdig. Denn sie klingt wie das glatte Gegenteil dessen, was die "Allgemeine Theorie der Schönen Künste" des beredten Ästhetik-Philosophen Johann Georg Sulzer schon im Jahr 1771 von einer Hymne verlangt: "Die Seele kann keinen höhern Schwung bekommen, als der ist, den die Hymne ihr geben könnte." Verse wie "Touristn fühln se wia zu Haus, von da Unesco ernten mia Applaus" und "Da Bischof über Rengschbuag wacht und a Engerl vom Himmel lacht, liebes Rengschbuag du bist a Pracht, dei Erhalt steht in unsrer Macht " jedoch fügen der Seele allenfalls Pein zu. Weil das Internet Scharlatanen freie Bahn gewährt, muss mit ähnlichen Frontalangriffen auf den guten Geschmack auch in München gerechnet werden.

Bekanntlich verfügt diese schöne Stadt bereits über mehrere adäquate Lieder, die durchaus als seelenbeschwingende Hymnen taugen und sich je nach Wetter und Stimmung aus dem Notenschrank holen lassen, wie ja auch das Glockenspiel am Marienplatz unterschiedliche Melodien bimmelt. Es müsste übrigens mal wieder gestimmt werden. Und vor allem wäre es endlich an der Zeit, dort auch den monacensischen Teil aus dem Œuvre der Spider Murphy Gang zu programmieren. "Sommer in der Stadt", "Schickeria" und "Skandal im Sperrbezirk" sind Oden an die Münchner Lebenslust. Liedgut der Spider Murphy Gang aufs Glockenspiel - das wäre doch mal ein sinnvolles Bürgerbegehren! Den Regensburgern hingegen sei empfohlen, sich mit einer alten Weise anzufreunden, die ihre Stadt besingt: "Zu Regensburg auf der Kirchturmspitz." Der Kehrvers ist leicht zu merken: "Widewidewitt dem Ziegenbock! Meck, meck, meck dem Schneider." Hymnischer bringt das kein noch so eloquenter Ästhetik-Philosoph auf den Punkt.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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