Neue Heimat:Atemlos durch den Fahrstuhlschacht

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Eine Fahrt im Aufzug ist nicht für jeden Passagier eine Freude. (Foto: dpa)

Die Fahrt im Aufzug ist für unseren Kolumnisten aus Afghanistan eher Strafe als Freude - vor allem, wenn die Mitfahrer unangenehme Gerüche ausdünsten und schlimme Schlager dudeln.

Kolumne von Nasrullah Noori

Im Fitness-Center kann man mit dem Aufzug nach unten fahren. Ich hatte es eilig und zwängte mich mit meinem großen Rucksack hinein. Zwei junge Frauen, die auch beim Training waren, fuhren mit mir hinunter. Erst jetzt merkte ich, wie wenig Platz hier war. Es war mir unangenehm, wie eng wir in der kleinen Kabine zusammen stehen mussten. Im Aufzug gab es einen Spiegel, und ich konnte sehen, dass mein Gesicht rot und nass vor Schweiß war. Als wir unten ankamen und die Tür aufging, atmeten wir alle auf. Als ich ausstieg, sah ich dann dieses Schild, das ich oben übersehen haben musste: maximal zwei Personen.

Aufzüge sind praktisch. Wer schleppt schon gern schweres Gepäck die Treppe hinauf? Was würden Rollstuhlfahrer und Mütter mit Kinderwagen machen, wenn es keine Aufzüge gäbe? Überhaupt: Was machen sie, wenn der Aufzug - wie so oft - kaputt ist? Deutsche Wertarbeit ist zwar bis nach Afghanistan bekannt, aber sogar hier macht die Technik manchmal Probleme - trotz Tüv. Neulich fuhr ein Bekannter mit meinem Bruder und zwei meiner Cousins im Aufzug nach oben, als dieser plötzlich stecken blieb.

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Ich selbst bin zum Glück nicht auf den Aufzug angewiesen, und wenn ich die Wahl habe, nehme ich sowieso lieber die Treppe. Wenn sich viele fremde Menschen zusammen in einen Aufzug drängen, ist mir das unangenehm. Wo soll ich hinschauen? Auf den Boden? In den Spiegel? An die Wand? Oder soll ich den Leuten ins Gesicht schauen, so wie das viele Deutsche machen? Für einen Afghanen wie mich ist es unhöflich, anderen Menschen direkt in die Augen zu schauen, so lernt man das in Kundus.

Aufzugfahren empfinde ich als äußerst belastend. Das liegt weniger an der Musik, die dort läuft, sei es Gedudel oder ein Helene-Fischer-Song. Schlimm ist es, wenn jemand schnupft und hustet. Wenn ein Mitfahrer nach Schweiß, Zigaretten oder Alkohol riecht, wird mir manchmal übel. Einmal war ich mit einem Mann im Aufzug, der sehr schlecht roch. Ich konnte nicht anders: Ich musste mir die Hand vor die Nase halten. Dem Mann entging das nicht. Ich schämte mich und schaute verlegen auf den Boden. Ich hoffe, dass diesem Mann die Leute nicht immer das Gefühl geben, als würden sie ihn nicht riechen können.

Nur in Kabul gibt es Fahrstühle

In Afghanistan muss man zum Aufzugfahren nach Kabul. Dort habe ich im großen Einkaufshaus, dem Kabul City Center, zum ersten Mal in meinem Leben einen Aufzug gesehen. Er ist ganz aus Glas und besonders bei Kindern sehr beliebt. Ich beobachtete dort einmal, wie zwei Jungen immer wieder rauf- und runterfuhren, während andere Leute wartend davor standen. Eine echte Gaudi, wie der Bayer sagen würde, allerdings nicht ohne Risiken: Wenn in Afghanistan ein Aufzug kaputtgeht, müssen Ingenieure aus Pakistan oder Iran geholt werden. Und das kann dauern.

In Kundus, meiner Heimatstadt, gibt es so gut wie keine Aufzüge. Meine Mutter ist zum ersten Mal in Deutschland Lift gefahren, nach mehr als drei Jahren im Exil hat sie sich aber immer noch nicht daran gewöhnt. Ich trainiere deshalb manchmal mit ihr, damit sie ihre Angst verliert. Hoffentlich passiert ihr nicht das, was meinem Bekannten in Neuperlach neulich widerfuhr.

Er wohnt in einem achtstöckigen Hochhaus. Er und meine Verwandten waren zu viert, doch diesmal war der Aufzug nur für drei Personen zugelassen. Die Tür ließ sich nicht öffnen, und mein Bekannter bekam Atemnot. Nach einer Viertelstunde trafen Polizisten und Feuerwehrleute ein und befreiten die Gefangenen. Für Ahmad war es höchste Zeit, dass er wieder frische Luft bekam. Die Lehre aus der Geschichte: Die Schilder mit den Passagiergrenzen, die hängen da nicht aus Gaudi.

© SZ vom 24.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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