Neuaubing:Volltreffer

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Die Integrationsmannschaft des ESV Neuaubing spielt auf hohem Niveau und gilt als Vorbild. Jetzt will der Verein diese Idee ausbauen und verpflichtet den Fußball-Profi Matthew Nwabueze Okoh

Von Ellen Draxel, Neuaubing

Das erste Spiel, und gleich ein Sieg. Seit zwei Wochen hat die Fußballabteilung des ESV Neuaubing wieder eine zweite Herrenmannschaft, Ergebnis der integrativen Politik des Vereins. Das Team gewann gegen den SC München Süd II mit 2:1 Toren. Am Ende der Partie bedankten sich die Gegner für das faire Spiel. "Bei uns gelten olympische Werte wie Fair Play, Toleranz und Freundschaft, aber auch körperlicher Einsatz und Ehrgeiz", sagt Fußball-Abteilungsleiter Olaf Butterbrod, "Nationalitäten spielen da keine Rolle." So simpel das klingt - es ist das Erfolgsgeheimnis des Vereins. Denn der Großteil der Mannschaften besteht aus Flüchtlingen.

Vorwiegend ihm und dem Vizepräsidenten des Vereins, Christian Brey, ist es zu verdanken, dass Neuaubing wieder die Chance hat, an seine Amateur-Glanzzeit in den Siebziger- und Achtzigerjahren anzuschließen. Doch darüber sprechen die beiden erst gar nicht.

Rückblick, Januar 2012. Olaf Butterbrod trommelt in seiner Freizeit junge Flüchtlinge aus Afghanistan, Irak, Iran und Eritrea zusammen, um mit ihnen im Englischen Garten Fußball zu spielen. "Wir haben bei Wind und Wetter gekickt, auch auf Eis", erinnert sich der frühere Trainer. Die Sprache ist unerheblich; auch dass viele Spieler traumatisiert sind, ist auf dem Platz nicht zu spüren. Im Vordergrund standen schon damals der Spaß, das Miteinander, der Team-Gedanke.

Harte Arbeit: Beim Training wird der integrativen Mannschaft des ESV Neuaubing nichts geschenkt. (Foto: Stephan Rumpf)

Drei Jahre später, März 2015. Die Fußballsparte des ESV Neuaubing ist dabei, sich aufzulösen. Es mangelt an Nachwuchs. Fortan kümmert sich "ESV-Urgestein" Brey, wie er sich selbst nennt, um die Fußballer: Er hat von dem Team im Englischen Garten gehört und holt die jungen Männer zu sich. Als erstes Flüchtlings-Fußballteam Bayerns nimmt Butterbrods Mannschaft am Ligaspielbetrieb des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) teil. Und auch sie gewinnt sofort. "Das war ein Experiment", sagt Butterbrod heute, "und es hat funktioniert."

Inzwischen zählt der Verein annähernd 50 Spieler aus neun Nationen: Syrer, Afghanen, Iraner, Iraker, Menschen aus Eritrea, Mali, Sierra Leone und Nigeria. Auch zehn deutschsprachige Fußballer sind dabei. Die meisten sind zwischen 18 und 22 Jahre alt. "Das ist die eigentliche Bestätigung, dass Integration machbar ist", findet Butterbrod, "diese Mannschaft gilt als so angesagt und cool, dass Deutsche wieder mitspielen wollen".

Ziel ist es nun, in der Fußball-Abteilung eine C-, B- und A-Jugend aufzubauen und "den Grad der Professionalisierung zu erhöhen". Auch Senioren, Mädchen, Frauen - alle sollen den Verein als sozialen Treffpunkt wiederfinden. Dafür hat der ESV eigens Matthew Nwabueze Okoh, geboren in Washington D.C. (USA) engagiert. "Wir sind extrem froh, dass wir ihn haben - als Trainer und als Mensch", sagt Butterbrod.

Der Mann für den Erfolg: Neuer Trainer ist Matthew Nwabueze Okoh, der einst auch für den TSV 1860 München spielte. (Foto: Stephan Rumpf)

Okoh ist Profi, hat als Mittelstürmer für Unterhaching und den TSV 1860 München gespielt, kurz sogar in der Bundesliga. Seine Karriere führte ihn nach Portugal und zu Clubs in den USA. Inzwischen arbeitet er als A-Lizenz-Trainer für mehrere deutsche Vereine. "Soul of Soccer" nennt der 43-Jährige sein Programm - Fußball als Sport, der alle anspricht, Fußball als Brückenbauer zwischen den Kulturen und Generationen. Fußball als Instrument, das zugleich den Charakter bildet. Okoh will ein mannschaftsübergreifendes Trainingskonzept mit Übungen und Taktiken umsetzen, das positive Motivation und faires Spiel ins Zentrum stellt. "Der Style of Play muss so typisch werden, dass jeder Verein weiß, was ihn erwartet, wenn er einen Spieler aus Neuaubing bekommt", erklärt der gebürtige Amerikaner in Deutsch-Englisch. Auch Spieler aus den "Integrationsmannschaften", wie die beiden Flüchtlingsteams jetzt heißen, sollen dabei zu Trainern ausgebildet werden.

"Wir haben ein wirklich hohes Niveau", sagt Butterbrod. Der Torwart der zweiten Herrenmannschaft beispielsweise, Naser Payendi, war auf dem besten Weg, in seiner Heimat Afghanistan Profi-Fußballer zu werden, bevor er durch einen Angriff der Taliban fast seinen Arm verlor.

Zu Okohs, Breys und Butterbrods Konzept gehört aber auch, dass "Fußball statt auf der Straße hier bei uns" gespielt werden soll. Von Montag, 18. April, an gibt es für alle Altersklassen und beide Geschlechter ein offenes Training ohne Leistungsgedanken: "Eine ideale Plattform für Hobbyspieler, ganz ohne Druck." Montags von 13 Uhr an sind Jungen zwischen sechs und 14 Jahren eingeladen, mittwochs zur selben Zeit die Mädchen. Männer von 15 bis 50 dürfen dienstags auf den Rasen, Frauen donnerstags, jeweils von 16 Uhr an. Zudem ist ein Ferienprogramm in Planung.

Um speziell Flüchtlinge einzubinden, haben mehrere der 25 Sparten des ESV den ganzen März über bereits Schnupperkurse für die Bewohner der Gemeinschaftsunterkünfte an der Mainau- und der Centa-Hafenbrädl-Straße angeboten. Der Zulauf war enorm, weshalb die Abteilungen Judo, Taekwondo, Tischtennis und Kinderturnen die Testphase bis Ende April verlängern wollen.

174 Euro kostet pro Jahr der Mitgliedsbeitrag für Erwachsene, der auch den Asyl suchenden Menschen nicht erlassen wird; Kinder, Senioren und Studenten zahlen 120 Euro. Für bestimmte Sparten sind zusätzlich geringe Sonderbeiträge fällig. "Die Finanzierung für die Flüchtlinge zu stemmen, das wird noch zur Herausforderung werden", meint Butterbrod. Es müsse zudem in den Einrichtungen "Kümmerer" geben, die dafür sorgen, dass die Leute auf Dauer zuverlässig kommen: "Pünktlichkeit hat etwas mit Respekt zu tun und damit, das Angebot zu würdigen sowie Regeln einzuhalten."

Wie schwierig es sein kann, Flüchtlinge auf Zeiten festzulegen, weiß Till Eichstaedt aus Erfahrung. Der Student engagiert sich nebenbei als Sozialarbeiter an der Mainaustraße und ist gleichzeitig einer der deutschen Spieler bei den Herren. Oft liegt es an der Sprache, es kommt aber auch vor, dass zehn Leute zugesagt haben, "und dann sind acht von ihnen beim Einkaufen". Dafür kämen wieder andere.

Dass Brey und Butterbrod nebenbei auch viel Soziales im Interesse der Flüchtlinge managen - Abschiebungen verhindern helfen, Praktika organisieren, sich um den Familiennachzug kümmern oder einfach Sofas von A nach B transportieren - ist alles andere als selbstverständlich. "Klar muss man das organisieren", sagt Butterbrod, "aber wir geben nicht nur, wir bekommen auch was. Nicht nur, dass wir sehen, wie extrem klein unsere Probleme hier in Wahrheit sind. Dank der Flüchtlingen haben wir auch wieder Mannschaften'. Insofern könne das Neuaubinger Modell durchaus eine "Blaupause" für andere Vereine sein.

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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