Neuaubing:Drohende Entzauberung

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Die Stadt will das Areal des ehemaligen Neuaubinger Zwangsarbeiterlagers zum Erinnerungsort umwandeln. Die Künstler, die dort seit 30 Jahren arbeiten, fürchten, dass der kreative Charakter des Geländes dann dahin ist

Von Ellen Draxel, Neuaubing

Die Zufahrt ist schwer zu finden. Lediglich ein verwittertes Schild mit der Aufschrift "Ehrenbürgstraße 9" weist zu der Idylle, von der Stefanie Hirt sagt, sie käme ihr manchmal vor wie ein Gallisches Dorf. Auf der einen Seite die stark befahrene Bodenseestraße. Auf der anderen Neuaubings Hochhäuser und das gerade erst entstehende Stadtviertel Freiham. Und dazwischen diese schöpferisch-beschauliche Welt, getragen von einer symbiotischen Gemeinschaft aus Künstlern und Handwerkern. Holzfiguren, die die Wege säumen. Plastiken, die an den Hauswänden hängen. Natur, die sich frei entfalten darf.

Keramik-Meisterin Stefanie Hirt hat ihre Werkstatt und einen Ausstellungsraum in Baracke 8 des ehemaligen Neuaubinger Zwangsarbeiterlagers. Vor ihrer Tür stehen keine Skulpturen wie vor denen ihrer Nachbarn, den Bildhauern Falk Benitz und Peter Frisch. Vor dem Lagercharakter, den das Gelände vielleicht einmal bekommen könnte, fürchtet aber auch sie sich. "Wenigstens die Kunst sollte bleiben dürfen, wenn das Areal demnächst zum Erinnerungsort wird", hofft sie.

Mehr als 400 Lager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter gab es während des Zweiten Weltkriegs in München, doch nur die acht Baracken an der Ehrenbürgstraße 9 sind als Zeugnis dieser Zeit erhalten geblieben. Sie stehen mittlerweile als Ensemble unter Denkmalschutz. Die Stadt, die den Grund erst vor wenigen Monaten erworben hat, will das historische Grundstück als Erinnerungsort in seiner Gesamtheit "sichtbar und erlebbar" machen. Wie, ist noch nicht endgültig geklärt.

Bildhauer Falk Benitz will weiterhin unabhängig und selbstbestimmt arbeiten. (Foto: Robert Haas)

"Ich sehe schon, wie die innere Fläche zwischen den Baracken museal aufgehübscht wird", meint der Vorsitzende des Vereins Freie Ateliers und Werkstätten Ehrenbürgstraße, Alexander Werner. Eine städtebauliche Feinuntersuchung erläutert, wie "im Freibereich abgeladene Gegenstände, Kunstobjekte, der ungeordnet wuchernde Grünbestand und die unterschiedlichen, hinzugefügten Fassadenelemente das Bild des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers verändern". Das aus dieser Untersuchung resultierende, vorläufige Konzept sieht deshalb vor, "die räumlich prägenden Kanten der Anlage freizulegen, vorhandene Gehölzbestände auszulichten sowie diversen Sperrmüll und Inventar, soweit nötig und möglich, entfernen zu lassen".

Alle Wege müssten weg, kritisiert Werner. Ein Teil des Grüns und auch die Sichtachsen sollen freigelegt werden. Vor allem aber - und diese Planung, so sie denn realisiert wird, würde den Mietern am meisten wehtun - sollen die Künstler und Handwerker künftig nur noch hinter ihren Häusern arbeiten dürfen. Ebenso müssten Anbauten, die als Ateliers dienen, abgerissen werden. "Eine Katastrophe wäre das, ich darf mir das gar nicht vorstellen", meint Bildhauer Falk Benitz. Nicht nur, dass den Künstlern im Gartenbereich der Platz zum Arbeiten fehlt. Auch die Nachbarn außerhalb des Areals, die Kinder- und Jugendfarm zum Beispiel, dürften "nicht begeistert sein, wenn ich mit dem Winkelschleifer Lärm und Dreck verursache".

Wenn im Innenbereich nichts mehr von den Künstlern und Handwerkern erleb- und sichtbar sein soll, dann, kritisieren die Mieter, wäre der jetzige Charme des Geländes dahin. "Bei der Domagkstraße war es dasselbe", sagt Schreiner Alexander Werner. "Das war auch so ein Idyll. Jetzt ist es zwar saniert - aber tot."

An der Ehrenbürgstraße soll sich, dafür wollen sie kämpfen, diese Entzauberung nicht wiederholen. "Unser Ziel ist es, möglichst viel von der Atmosphäre und Lebendigkeit des Ortes zu erhalten - und natürlich unsere Gemeinschaft." Zumal es die 20 Künstler und Handwerker waren, die mit Heizen und Reparaturen über mehr als 30 Jahre dafür gesorgt haben, dass die Bausubstanz der Baracken überhaupt erhalten blieb. "Die Erinnerung an die Leiden der Zwangsarbeiter im Dritten Reich war uns Nutzern über all die Jahre hinweg ein wichtiges Anliegen", betont Werner, der fast von Beginn an hier ist. Wichtig sei aber doch auch, die Entwicklung zu zeigen. Wie "aus einem Zwangsarbeiterlager ein Freiraum für unabhängiges, selbstbestimmtes Arbeiten, für Kreativität werden konnte". Ein besseres Beispiel für die Entwicklung unseres Staates und unserer Gesellschaft in den vergangenen 70 Jahren sei kaum denkbar. Dass Sanierungen dringend nötig sind, ist den Mietern klar. "Aber das kann nicht über unsere Köpfe entschieden werden", findet Musiker Philipp Winter. Alexander Werner bringt es auf den Punkt: "Wir befürchten, die Innensanierungen der Gebäude könnten ein Synonym für Entmietung werden."

Ob die Kunst- und Handwerker-Kolonie ein echtes Mitsprache-Recht bekommt oder ob sie lediglich informiert wird, ist noch offen. Die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS), die mit der Sanierung beauftragt werden soll, will die Mieter auf jeden Fall einbinden. "Wir hoffen, dass wir uns bis Ostern mit den Nutzern zusammensetzen können", sagte MGS-Geschäftsführer Ulf Millauer in der jüngsten Sitzung des Bezirksausschusses Aubing-Lochhausen-Langwied.

Auch die Lokalpolitiker sollen in den Gestaltungsprozess involviert werden. Die Grünen engagieren sie seit Jahren für die Künstler und Handwerker, sie fordern daher eine engmaschige Beteiligung des Gremiums, bevor Fakten geschaffen werden. "Es geht nicht nur darum, für uns eine Insel der Glückseligkeit zu bewahren", resümiert Bildhauer Falk Benitz. "Es geht um die Vielfalt, das Lebendige, das erhalten werden sollte." Dieses Engagement sei im Interesse aller.

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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